Vor 175 Jahren, am 12. September 1848, wurde die Schweiz mit der Annahme der Bundesverfassung durch die Tagsatzung zum Bundesstaat.

Die Verfassung wurde in einer Rekordzeit erarbeitet. Die Revisionskommission hielt am 17. Februar 1848 ihre erste Sitzung ab, und bereits 51 Tage später lag der Text der neuen Bundesverfassung vor. Die erste Teilrevision von 1874 brachte zahlreiche Neuerungen, vor allem das Referendumsrecht, denn damit veränderte sich die Stellung der Bundesversammlung grundlegend. Ihre gesetzgebende Tätigkeit kann seither mit einem Referendum blockiert werden.

Nach 163 Verfassungsänderungen erfolgte 1999 die nächste Teilrevision. Der schwer verständliche Text und viele veraltete oder überflüssige Bestimmungen wurden «aktualisiert».

Zahlreiche damit einhergehende sichtbare oder verdeckte Neuerungen und Neuinterpretationen wurden allerdings nicht von allen Stimmbürgern goutiert. Deshalb spannte der Bundesrat gezielt die Medien ein, um die Gegner der Verfassungsrevision mundtot zu machen.

Wenn man den Brief des damaligen CVP-Justizministers, Bundesrat Arnold Koller, an Chefredaktoren der Schweizer Medien liest, dann kann man sich heute über seine damalige einseitige Lagebeurteilung nur wundern. Keine Argumente der Gegner wurden widerlegt, sondern lediglich Polemik und Hass gegen Andersdenkende verbreitet. Damit man sich eine Vorstellung über die Manipulationen der Stimmbürger durch den Bundesrat machen kann, sei der Brief vom 12. April 1999 an die Chefredaktoren im Wortlaut wiedergegeben:

«Sehr geehrter Herr (angeschriebener Chefredaktor bekannt – und nein, es war nicht Roger Köppel)

Die Kampagne um die neue Bundesverfassung geht diese Woche zu Ende. Sie war gekennzeichnet durch eine erfreuliche grosse Zahl von fundierten, konstruktiven Beiträgen in sämtlichen Medien. Die Nachfrage nach persönlichen Stellungnahmen und Auftritten war gross wie bei keiner anderen Vorlage in meiner 12jährigen Amtszeit. Dieses Interesse ist nicht zuletzt auf Ihren Einfluss und ihre wohlwollende Unterstützung zurückzuführen. Ich möchte Ihnen für das Engagement herzlich danken.

In den letzten zwei, drei Wochen hat sich vor allem in Leserbriefen, Inseraten und Pamphleten – leider eine gehässige Opposition gegen das Verfassungswerk zu Wort gemeldet. Die vorher allzu lange andauernde Gleichgültigkeit der Befürworter hat so einer intensiven, radikalen und unsachlichen Anfeindung von rechts und links aussen Platz gemacht. Diese Auseinandersetzung wäre an sich positiv zu werten, bedauerlich ist jedoch, dass vor allem die rechtspopulistische Gegnerschaft mit Vorurteilen, Unterstellungen und Unwahrheiten operiert. Diese Art von Kampagne erinnert fatal an die Mobilisierungsversuche im Vorfeld der EWR-Abstimmung von 1992.

Die Befürworter der Vorlage dagegen fühlten sich offensichtlich ihrer guten Sache lange Zeit zu sicher, so dass ein ebenso engagiertes Einstehen für die Vorlage weitgehend ausgeblieben ist. Es wäre schlimm, wenn es den fanatischen Gegnern gelänge, ein überzeugendes Ja zu diesem sorgfältig erarbeiteten Konsens-Werk zu hintertreiben.

Dem wäre wohl am ehesten mit einer guten Stimmbeteiligung zu begegnen. Und deshalb wende ich mich nochmals an Sie: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie bei ihrem journalistischen ‘Endspurt’ diesem Aspekt in geeigneter Form hervorheben könnten.

Ich danke Ihnen noch einmal für Ihre Unterstützung und grüsse Sie freundlich

Arnold Koller»

So lautete die Befehlsausgabe aus dem Bundeshaus. Mit dem Verweis auf die EWR-Abstimmungs-Niederlage des Bundesrates 1992 versuchte er die SVP und die Mehrheit des Stimmvolkes ins Abseits zu drücken. Ob eine solche Instrumentalisierung der Medien im Einklang mit der Bundesverfassung steht, wurde von keinem Chefredaktor hinterfragt.