In Paris ist man erleichtert. «Die roten und grünen Pazifisten sind zurück an der Macht», hatte man in Frankreich nach der Bildung der neuen Regierung mit Kanzler Scholz und Aussenministerin Baerbock befürchtet. Zunächst drehte sich der Konflikt um die Kernkraftwerke. Und als die Bedrohung der Ukraine immer dramatischer wurde, sprach man despektierlich von «Neopazifisten».
Und dann das: . «Scholz bricht das pazifistische Tabu», wundert sich jetzt die Libération und verkündet das «Ende der Scheckbuch-Diplomatie». Berlin liefert Waffen in die Ukraine, freut sich der Figaro: «Fast 500.000 Demonstranten in Berlin, 250.000 in Köln.» Den Umschwung in Deutschland bezeichnet die Zeitung als «kopernikanische Revolution».

Dank Putin kommen sich Paris und Berlin näher.«Nie wieder Krieg», «Schwerter zur Pflugscharen»: Die Friedensbewegung war eine Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg gewesen – und die mit Abstand stärkste politische Bewegung der Bundesrepublik. Hunderttausende nahmen an ihren Demonstrationen teil. Im Umfeld der Friedensbewegung wurde 1980 die Partei der Grünen gegründet. Petra Kelly und General Gert Bastian waren die Ikonen des deutschen Pazifismus.

Es ging um den «Doppelbeschluss»: mit amerikanischen Pershings, die in Westeuropa stationiert wurden, reagierte die Nato auf die sowjetischen SS-20-Raketen. Die Friedensbewegung protestierte nur gegen die amerikanischen Waffen. Von den französischen Intellektuellen, die sich gerade vom Marxismus losgelöst hatten, wurden die deutschen Pazifisten als «Juden des Dritten Weltkriegs» verhöhnt.

Was damit gemeint war, fasste der marxistische Journalist und Philosoph André Gorz in Worte: «Die Sieger über Deutschland», hielt der aus Österreich stammende Weggefährte von Jean-Paul Sartre fest, «haben ihr Ziel erreicht. Sie haben aus einem Eroberervolk gute Deutsche gemacht, die akzeptieren, dass andere für sie ihr Leben riskieren. Die jedoch nicht bereit sind, das ihre aufs Spiel zu setzen – weder für andere noch für sich selbst: Lieber rot als tot.»

Der Pazifismus seiner Genossen kostete Helmut Schmidt die Kanzlerschaft. In Frankreich, das seit de Gaulles Austritt nicht mehr zur Nato gehörte, aber über die atomare force de frappe verfügt, kam der sehr viel linkere Sozialist François Mitterrand an die Macht. Er befürwortete die Nachrüstung und befand sich im Einklang mit der gewendeten öffentlichen Meinung.

Gerd Schröder kam von dem linken Flügel der Jusos und der SPD. In Niedersachsen gehörte er als Ministerpräsident zu den Ersten, die mit den Grünen koalierten. 1998 wurde er Bundeskanzler und Joschka Fischer sein Aussenminister. Der «Turnschuhminister» aus Hessen mutierte vom «Fundi» zum «Realo» und staatsmännischen Politiker. In Jugoslawien kämpfte die Bundeswehr erstmals im Ausland. Und deutsche und französische Soldaten Seite an Seite.

Jetzt, viele Jahre später, beobachten wir den nächste Schritt: Über die Ukraine kommen sich Deutschland und Frankreich wieder näher. Dank Putin, schwärmen Politiker und Intellektuelle, wird Europa zur Schicksalsgemeinschaft.

Die 3 Top-Kommentare zu "500.000 Demonstranten in Berlin, hundert Milliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr, Waffenlieferungen nach Kiew: Paris lobt die «kopernikanische Revolution» in Deutschland. Vor vierzig Jahren tobte der rhetorische Krieg um die roten und grünen Pazifisten. Vor Putin haben sie kapituliert"
  • Castus

    Wenn der Wind dreht, müssen auch Friedensbewegte in den Krieg ziehen!

  • oazu

    Wenn der Wind dreht, entlarven sich Friedensbewegte zur Kriegsanstachler. Den "Kopf" für sie hinhalten müssen alle anderen.

  • ksb

    Bei der Friedensdemo waren es 500k, bei der Anti-C-Maßnahmen Demo 17k. Der gefüllte Platz war annähernd der gleiche (Wieviel Fake an den News?). In meinem Umfeld bleibt die "kopernikanische Revolution" aus. Die Sorge vor einer weitere Eskalation und das scheitern französisch-deutscher Friedensbemühungen sowie die einseitige Kriegstreiberei seitens der West-Medien sollte jeden kritischen Menschen dazu bringen sicher nicht für Putin zu sein, aber die eigenen "Eliten" zu hinterfragen.