Sagt euren Eltern, dass sie diesen Krieg finanzieren», die Ukrainerin stellt sich den zwei jungen Russen in den Weg, als diese eben aus dem Bus in Tiflis aussteigen.

«Eure Eltern haben meine Eltern getötet und unser Haus zerstört», schreit sie die beiden an, die völlig vor den Kopf geschlagen wirken und zu keiner Antwort fähig sind.

Ohnehin trifft der Vorwurf in diesem Fall die Falschen: Beide studieren Theaterwissenschaft in St. Petersburg und sind alles andere als Putin-Unterstützer. Genauso wenig entsprechen sie aber auch dem Bild westlicher Medien, nach dem jeder junge Russe bemüht ist, sich der möglichen Einberufung zu entziehen und sich wenn immer möglich ins Ausland abzusetzen. Beide sind auf der Rückreise in ihre Heimatstadt.

Dennoch machen nicht wenige junge Russen seit Beginn des Krieges «Heimarbeit» aus der Ferne für ihre bisherigen russischen Arbeitgeber. Insbesondere von den Softwareentwicklern und IT-Experten arbeiten viele in Dubai, Thailand oder eben Georgien.

Doch es sind nicht nur junge Russen hier, sondern auch junge Ukrainer, für die Georgien seit Kriegsbeginn zum Aufenthaltsort wurde. Derzeit kommen wieder mehr. Gerüchte über eine neue Rekrutierungswelle der ukrainischen Regierung machen die Runde.

Der tatsächliche Gewinner der EU-Sanktionen gegen Russland ist China.

Einer von ihnen ist Sergeji. Der 24-Jährige aus Kiew wohnt seit Beginn des Ukraine-Krieges in einem Luxus-Apartment an der Strandpromenade von Batumi am Schwarzen Meer. In der Ukraine für sein Land zu kämpfen, darin sieht er keinen Sinn. Auch nach dem Krieg sieht er in der Ukraine keine Zukunft. Nach dem Krieg will er nach Wien.

Szenenwechsel: Wären nicht die Schaf- und Ziegenherden links und rechts und manchmal mitten auf der Fahrbahn, könnte man glauben, am Brennerpass zu sein. Laster an Laster fährt auf der Europastrasse 117 Richtung Wladikawkas in Russland. Genauso viele kommen von dort. Die nationalen Kennzeichen der LKW: Türkei, Armenien, Georgien, Russland. Tag und Nacht rollt der Verkehr zum Grenzkontrollpunkt in der Darialschlucht. Hier ist schnell klar, warum auch das 11. Sanktionspaket der EU seine Wirkung verfehlt.

Die endlose Schlange der LKW zeigt aber noch etwas anderes: die Krise des deutschen mittelständischen Speditionsgewerbes, die hohe Zahl der Geschäftsaufgaben im Fuhrgeschäft und die Folgen der EU-Umweltauflagen. Bei einer überraschend hohen Zahl der LKW ist schnell zu sehen, dass sie einstmals deutsche Eigentümer hatten: Die neuen georgischen oder armenischen LKW-Besitzer fahren meist weiter unter den ehemaligen Firmennamen, sei es «Schneider-Spedition» oder «Müller-Logistik». Das sei gute Werbung, sagt ein Fahrer und lacht.

Auf den ersten Blick scheint Georgien wie ein Gewinner des Ukraine-Konflikts. Der Immobilienmarkt boomt, Russen bringen Geld, und die Umgehung der EU-Sanktionen schlägt sich als Exportsteigerung nieder. Parallelimport heisst das Letztere selbst in der amtlichen georgischen Statistik.

Auch von den Ölsanktionen gegen Russland kann Georgien profitieren, wenn auch nur als Transitland. Eigentümer des Ölhafens von Batumi am Schwarzen Meer ist Kaztransoil, eine Tochtergesellschaft des kasachischen Ölkonzerns Kazmunaygas. Der tatsächliche Gewinner der EU-Sanktionen gegen Russland steht jedoch deutlich sichtbar auf unzähligen Grossbaustellen in Georgien: China Railway Tunnel Group Co. Ltd. steht an der Baustelle zum Kvesheti-Kobi-Projekt, das die Fahr- und Transportzeiten durch den Kaukasus, ähnlich dem Gotthard-Basistunnel in den Alpen, dramatisch reduzieren wird.

An anderer Stelle zeigt die China Nuclear Industry Co. beim Strassenbau am georgischen Abschnitt der Autobahn E-60 selbstbewusst, welche Projekte sie verwirklicht. Nichts weist gleichzeitig auf die EU-Förderung hin: Die Instandsetzung und der Ausbau der E-60 werden mit Mitteln der Europäischen Investitionsbank (EIB) finanziert.

Die chinesischen Unternehmen präsentieren stolz ihr Kobi-Projekt von «23 km Beton-Asphalt-Strasse, zweispurig, 6 Brücken, 5 Tunnel, einer davon mit 9 km Länge». Wenige Kilometer davon entfernt wirbt in einem völlig überdimensionierten, wenig besuchten Zentrum die bundesdeutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau – diese bezieht sich auf den Zweiten Weltkrieg – für sanften Tourismus und zeigt auf grossformatigen Plakaten glückliche Wanderer.

Wolfgang J. Hummel ist Jurist beim Berliner Senat und Oberfähnrich der Reserve. Er kennt die Ukraine und Russland aus beruflichen Zusammenhängen.