Am 4. April war es wieder einmal so weit: António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, durfte den dritten Teil des Weltklimaberichts 2022 vorstellen. Natürlich mit Worten wie «jetzt oder nie…» und «Es ist ein Bericht der Schande» und «Wir sind auf dem direkten Weg ins Klimadesaster». Man kennt die Floskeln.
Wie alle Klimaberichte besteht er aus einem Hauptbericht, in welchem auf rund 2900 Seiten über 18.000 wissenschaftliche Arbeiten der Klimaforschung ausgewertet wurden. Dort findet man Aufzeichnungen ausgezeichneter wissenschaftlicher Erkenntnisse. Da ist Substanz drin.

Abweisend ist bloss, dass auf jeder Seite diagonal ein Wasserzeichen «Akzeptierte Version – Vorbehältlich abschliessender Überarbeitung» prangert.
Wer das nicht alles lesen will, kann sich das «Technical Summary» zu Gemüte führen, das immer noch 142 Seiten umfasst. Auch hier herrscht weitgehend wissenschaftliche Nüchternheit vor.
Problematisch, wie immer, ist das «Summary for Policymakers», die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger. Dieses wird von ausgewählten Wissenschaftlern geschrieben, das Sagen haben auch Vertreter von Regierungen (zum Beispiel der Malediven) und schwierig verortbarer Organisationen (zum Beispiel Germanwatch). Nur diese Zusammenfassungen gelten als approved, als genehmigt.

Es ist schwer vorstellbar, dass sich Politiker durch die 63 Seiten Text mit völlig überladenen Grafiken durchquälen. Die meisten werden sich wohl auf die 28 Folien der Medienkonferenz beziehen. Doch dort überwiegt die politische Agenda: So werden zum Beispiel als technische Lösungen spezifisch nur Fotovoltaik, Windkraft und Batterien für Elektroautos hervorgehoben. Da spricht nicht die unvoreingenommene Wissenschaft.
Die Forderungen bleiben natürlich die gleichen: Halbierung der Emissionen bis 2030, Netto-null-Emissionen bis 2050. Insgesamt nichts Neues.

Man mag es dem Bericht verzeihen, dass er nicht darauf eingeht, wie sehr die Menschheit seit Beginn der Industrialisierung unter der bisherigen Erwärmung um ein Grad Celsius gelitten oder vielleicht sogar profitiert hat. Darauf hätte nämlich der zweite Bericht mit dem Thema «Auswirkungen, Anpassung und Anfälligkeit» Bezug nehmen müssen. Denn das macht es nicht plausibel, dass – gemäss António Guterres – eine Erwärmung um ein weiteres Grad im Desaster enden muss.

 

Markus O. Häring ist promovierter Geologe, ehemaliges Mitglied der Eidgenössischen Geologischen Kommission und Vizepräsident des Carnot-Cournot-Netzwerks.