Dieses Interview erschien erstmals in der Weltwoche vom 5. Oktober 2017.

Nacht breitet sich aus ĂŒber Los Angeles. Vom Himmel her prĂ€sentiert sich die Stadt als gigantischer Glitzerteppich, der im Osten zwischen Kakteen und braunem Fels ausfranst und im Westen in den Pazifik abfĂ€llt. In diesem funkelnden La-La-Land werden seit hundert Jahren die TrĂ€ume fabriziert, die Millionen in Schauer, Lachen und TrĂ€nen versetzen. Doch es herrscht Endzeitstimmung. Die Genies der Branche flĂŒchten sich in TV-Produktionen. Die Grossen werden grösser, die Kleinen verglĂŒhen. Mehr Tempo, mehr Effekte, mehr Action. Das Seichte obsiegt. Das Banale triumphiert. So sieht es unser Protagonist.

Oliver Stone, 71, Vietnam-Veteran, Verschwörungspoet, dreifacher Oscar-Gewinner, Gewaltdramaturg und Pazifist, hat sich in der gigantischen Ödnis des Flackerlichts als eine Art Rebell eingebunkert. Er trotzt der Industrie, der Politik und Amerikas PrĂ€sidenten. Er hat ihnen regelrecht den Krieg erklĂ€rt. Ein alternder Prometheus, der dem Volk das Feuer zurĂŒckbringt. Mit Filmen ĂŒber das korrupte und kaputte Amerika und die Vor­zĂŒge missverstandener Diktatoren.

Nun sitzt der Titan an 3000 West Olympic Boulevard, Suite 2121, und wippt nervös auf seinem Stuhl. Das BĂŒro ist auf KĂŒhlschranktemperatur heruntergekĂŒhlt, aber Stone trieft der Schweiss von der Stirn. Er wischt ihn mit einem Bandana-Tuch, das er wie einen Waschlappen ĂŒber beide HĂ€nde ausbreitet, alle paar Minuten aus dem erschöpften Gesicht. Sein Kopf ist aufgedunsen, seine Augen sind Schlitze, von welchen sich Falten in alle Richtungen ziehen – Furchen eines obsessiven Lebens. «Gibt das ein Interview ĂŒber Hollywood?», fragt er. «Nein», lautet die Antwort. «Nicht nur.»

Oliver Stone, Sie kennen sich mit Autokraten aus. Reisst Kim Jong Un Amerika und die Welt in einen apokalyptischen Krieg?

Ich beobachte die Amerikaner mit einigem Misstrauen. Sie sind diejenigen, die grosse Kriegsmanöver an der nordkoreanischen Grenze durchfĂŒhren. Sehr ernsthafte ­Manöver. Und das seit Jahren. Wir haben die SĂŒdkoreaner bis an die ZĂ€hne bewaffnet und jĂŒngst auch mit Raketenabwehr ausgerĂŒstet. Besonders die Chinesen haben sich sehr da­gegen ausgesprochen, weil sich diese in Wirklichkeit gegen sie richtet. Es ist dieselbe Raketenabwehr, die die Amerikaner in Polen und RumĂ€nien gegen Russland aufgestellt haben. Nordkorea macht Schlagzeilen, aber hinter den Kulissen lĂ€uft noch ein anderes Spiel.

Trump und Kim drehen ungebremst an der Provokationsspirale. Wie sehen Sie dieses Duell?

FĂŒr die Presse ist das toll. Leute, die sich bestens mit Nordkorea auskennen wie Professor Bruce Cumings (ehemaliger Dekan der Historischen FakultĂ€t der UniversitĂ€t Chicago, d. Red.), sagen, es habe ­immer Verhandlungen zwischen dem Norden und dem SĂŒden gegeben. Bill Clinton habe fast einen Deal geschafft. Dann kam George W. Bush und ordnete Nordkorea der «Achse des Bösen» zu. Er machte einen klassischen Fehler. Wenn du solches Zeug sagst und Saddam Hussein und Muammar Gaddafi vom Thron stĂŒrzt, stellt sich ein Typ wie Kim natĂŒrlich die Frage: «Was mache ich? Soll ich die Atomwaffen aufgeben? Sobald ich das getan ­habe, kommen die Amerikaner und radieren mich aus.» Wenn ich Kim wĂ€re, wĂŒrde ich genauso handeln wie er.

Plant Trump, Kim zu stĂŒrzen?

Das Problem mit Trump ist, er hat ein fettes Ego und eine dĂŒnne Haut.

Haben Sie in letzter Zeit mit ihm ge­sprochen?

Ich habe ihn vor Jahren das letzte Mal ­getroffen, als ich «Wall Street: Geld schlÀft nicht» drehte. Er hat eine kleine Rolle ­gespielt.

Seine Szene wurde herausgeschnitten. War Trump nicht gut genug?

Er war gut. Aber der Film war bereits zu lang und ich musste kĂŒrzen.

Wie fanden Sie ihn als Person?

Ich hatte ihn bloss einen Tag auf dem Set. Zu mir war er galant. Ich bin ein bekannter Regisseur, und er wollte PublizitĂ€t. Er ­hatte eine Liste mit Forderungen, wie er gefilmt werden sollte, aber er hat sie nie durchgesetzt. Er ist kein grosser Schauspieler. Er ist einfach Donald Trump. (Wischt sich den Schweiss aus dem Gesicht) Aber das Korea-Ding macht mir wirklich Sorgen. Meine Frau ist SĂŒdkoreanerin. ­Alle ihre Verwandten leben in Seoul.

Wie sehen Ihre Verwandten die Lage?

Sie sorgen sich. Ich gehe in ein paar Wochen hinĂŒber. Ich hoffe, sie greifen nicht an, wenn ich dort bin.

200.000 Amerikaner leben in SĂŒdkorea. FĂŒr die USA steht viel auf dem Spiel.

Das beunruhigt mich an Trump. Etwas ist mit ihm. Ich bin ĂŒberhaupt kein Fan von Hillary Clinton. Es war eine schreckliche Wahl. Ich habe fĂŒr die dritte Partei gestimmt, fĂŒr Jill Stein von den GrĂŒnen. Ich weiss nicht, was los ist mit unserem Land. Wir haben den Verstand verloren. Wir haben Amerika derart militarisiert, dass es von der Armee und dem Geheimdienst gelenkt wird. Die MilitĂ€rs sind die Bosse. Sie haben Trump in die rechte Ecke gedrĂ€ngt. Jetzt redet er dauernd von Krieg.

Die USA eine MilitÀrdiktatur? Einer der engsten Vertrauten Trumps, Stephen Bannon, ist ein ausgesprochener Gegner von MilitÀrinterventionen.

In diesem Punkt hat er recht. Man hat Bannon ja als Faschisten bezeichnet; aber bloss weil man nicht mit allem einverstanden ist, was er sagt, heisst das noch lange nicht, dass er völlig danebenliegt. Doch wo ist Bannon geblieben? Er hat das Weisse Haus verlassen. Trump hat sich mit diesen MilitÀrköpfen umgeben. Er hat sie selbst an Bord geholt. Aber das sind keine guten Leute.

Die Leitmedien in den USA finden durchaus lobende Worte fĂŒr die GenerĂ€le, allen voran die New York Times.

Die New York Times ist praktisch eine neokonservative Zeitung. Nennen wir die Dinge doch beim Namen. Die Journalisten lieben diese Militaristen um Trump herum. ­General Kelly, Trumps Stabschef, der alle abklemmt, die sich mit Trump unterhalten wollen, ist der erste Kommandant von GuantĂĄnamo gewesen. [GuantĂĄnamo wurde 2002 eröffnet. Kelly war von 2012 bis 2016 Kommandant des United States Southern Command, in dessen Bereich auch das umstrittene Haftlager auf Kuba gehört, d. Red.] Er ist schrecklich. Ein komplettes Arschloch. Ebenso wie die meisten Militaristen dort oben. Pentagon-Chef General «Mad Dog» Mattis inklusive. Sicherheitsberater General McMaster ebenfalls. Diese Typen haben in Afghanistan komplett versagt. Sie haben uns angelogen. Sie wollen immer mehr und mehr und mehr Geld. Im Senat wurden eben 700 Milliarden Dollar RĂŒstungsgelder fĂŒr 2018 gesprochen. 500 Millionen fĂŒr die Ukraine. Das ist verrĂŒckt.

Sie denken also, die GenerĂ€le haben die Macht ĂŒber Trump?

Trump hat keine Macht ausser ĂŒber seinen Twitter-Account.

Aber Trump hat die GenerÀle ja selbst an die Macht geholt. Er ist seit seiner Jugend in der Kadettenschule offenbar fasziniert vom MilitÀr.

Das beunruhigt mich ja. Er sagt, er wolle den nÀchsten Krieg gewinnen. Da sind sehr ­gefÀhrliche Dinge am Laufen. In diesem Irrenhaus ist Putin der einzige Normale. Und unsere Medien ziehen ihn ins LÀcherliche. Das ist wirklich beÀngstigend. Das sind keine normalen Zeiten, in denen wir leben.

Sprechen wir vom Film. Auf dem Flug zu Ihnen hoffte ich, ein paar packende, neue Spielfilme zu sehen. Ich wurde enttÀuscht: «The Circle» mit Tom Hanks war öde. «Ghost in the Shell» mit Scarlett Johansson eine Qual. Was ist los mit Hollywood? Wo sind die grossen GeschichtenerzÀhler geblieben?

Wollen Sie mich jetzt ĂŒber Hollywood ausfragen?

Wir können auch ĂŒber Sie sprechen. Sie gehören ja zu den talentiertesten Hollywoodregisseuren ĂŒberhaupt. Seit langem drehen Sie fast ausschliesslich Dokumentarfilme.

Hören Sie zu, meine Karriere ist voller Turbulenzen. Ich hatte immer mit dem Geld zu kĂ€mpfen. FĂŒr meine Projekte war es immer schwierig, Vertreiber zu finden. Überhaupt ist es heute sehr schwierig, Spielfilme zu machen. Die Branche liegt im Sterben. Die Leute wollen nicht mehr ins Kino gehen. Sie haben all diese GerĂ€te und schauen sich alles zu Hause oder unterwegs an. So verlierst du einen grossen Teil des Publikums.

Sie schaffen es allerdings immer wieder, Ihr Publikum zu begeistern. In Ihrem neusten Werk, «The Putin Interviews», liefern Sie faszinierende Informationen ĂŒber Russlands PrĂ€sidenten – so wie man ihn noch nie gesehen hat. Wie sind Sie an ihn herangekommen?

Ich kam mit ihm in Kontakt, als ich 2014 fĂŒr «Snowden» in Moskau war. Edward Snowden gab mir eine Menge Informationen. Der Film zeigte seine Sicht der Dinge. Es war sein Film. Schliesslich sagte sein Anwalt Anatoli Kutscherena: «Oliver, du solltest Putin treffen, wenn du schon hier bist.» Kurz darauf sass ich bei Putin. Das Treffen verlief sehr gut, und er willigte ein, offiziell mit mir vor die Kamera zu treten. Wir machten jeweils eine Interviewserie, dann schaute er sich das Ganze an. Schliesslich reiste ich neun Mal nach Russland und hatte zwanzig Stunden GesprĂ€ch im Kasten. Am Anfang machte ich mir Sorgen, Putin könnte zu steif oder zu langweilig rĂŒberkommen. NatĂŒrlich wĂŒrde er ganz anders sein als Castro oder ChĂĄvez, mit welchen ich Dokumentarfilme gedreht hatte; er hat nicht diesen lateinischen Hang zur Dramatik, den ich so liebe. Mister P. ist ein sehr kontrollierter Mensch.

Sie haben unglaublich viel aus Putin herausgeholt. Wie ChĂĄvez oder Castro öffnete er Ihnen die Tore der Macht. Was auffĂ€llt bei Ihren Dokumentationen ĂŒber Diktatoren und Autokraten: Sie filmen oft ihre Schreibtische. Was sagen sie ĂŒber den Charakter eines Leaders aus?

Nicht viel. Ich wĂŒrde sogar sagen, Putins Schreibtisch ist nicht besonders individuell gestaltet.

Putin hat sogar drei Schreibtische.

Ja, in drei verschiedenen RĂ€umen. Ich kann mir vorstellen, warum. Das Business, das er leitet, ist kompliziert. Es gibt eine nationale Seite, eine internationale et cetera. Ich meine, ich kenne den wirklichen Grund nicht, aber keines seiner PrĂ€sidentenzimmer hat mich besonders beeindruckt. Sie sind nichts im Vergleich mit den BĂŒros von amerikanischen Firmenbossen. WĂ€re ich PrĂ€sident, wĂŒrde ich mir einen gigantischen Kommandoraum einrichten mit einem riesigen Schreibtisch.

Wie die Kommandozentrale in Stanley Kubricks «Dr. Strangelove»?

So Àhnlich.

Ein grandioser Film – und irgendwie passend zur momentanen Weltlage. Sie haben ihn gemeinsam mit Putin angeschaut. Offensichtlich hat er sich amĂŒsiert.

Ich habe ihm den Film geschenkt.

Allerdings war er wenig erbaut ĂŒber das PrĂ€sent.

Ja, ich hatte vergessen, die DVD in die ­HĂŒlle zu stecken.

Er gab sie Ihnen zurĂŒck mit einem bitterbösen Kommentar.

Er sagte: «Ein typisch amerikanisches Geschenk.»

Grosse Fassade, kein Inhalt.

Es war keine böse Absicht, ich schwöre es. Und er hat das Ganze mit Humor genommen.

LegendĂ€r ist George W. Bushs Urteil ĂŒber Putin. «Ich habe ihm in die Augen geschaut und seine Seele gespĂŒrt. Ich fand ihn ehrlich und vertrauensvoll.» Was haben Sie in Putins Seele entdeckt?

Einen sehr anstĂ€ndigen, sehr bescheidenen und gescheiten Mann. Er hat nie Schlechtes ĂŒber andere Politiker geĂ€ussert.

Warum hat Putin Ihnen vertraut?

Ich glaube, er mochte mich, weil er mich, wie er sagte, fĂŒr intelligent hielt. Und weil ich gut recherchiert hatte und er unsere TV-Dokumentation «Amerikas ungeschriebene Geschichte» gesehen hatte. Sie erklĂ€rt – beginnend im Jahr 1917 – den russischen Standpunkt. Nicht nur die Revolution und den Angriff auf die Russen, sondern auch den BĂŒrgerkrieg, den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg. Wir betrachteten den Kalten Krieg in einem sehr neuen Rahmen. Nicht im deutschen Rahmen. Wir betrachteten ihn, als ob eigentlich die Amerikaner den Kalten Krieg begonnen hĂ€tten, weil sie ihn wollten. Denn es waren die Amerikaner, die im Grunde genommen den Kalten Krieg erklĂ€rt hatten. Stalin war es nicht. Und jetzt hören Sie mal genau zu, das ist sehr wichtig. Putin ist kein Kommunist, er hat sich klar ĂŒber Stalin geĂ€ussert. Er [Putin] aber verkörpert ein neues Russland. Er sieht sich als einen Mann der Marktwirtschaft. Er versucht nicht, das alte Russland zu verteidigen. Aber er war sich bewusst, dass wir den GefĂŒhlen der Menschen in Russland Sympathien entgegenbringen, vor allem ihren Leistungen im zweiten Weltkrieg.

Man wirft Ihnen vor, Sie seien viel zu rĂŒcksichtsvoll mit Putin umgegangen.

Wenn ich getan hĂ€tte, was die amerikanischen Interviewer wollten, hĂ€tte ich rein gar nichts erreicht. HĂ€tte ich ihn hart angefasst – Bum, bum, bum! –, wĂ€ren die TĂŒren zugegangen. So einfach ist das. Ich wollte ihm zuhören und ihn verstehen. Abgesehen davon habe ich bei den heiklen Themen sehr wohl nachgehakt und ihn herausgefordert. Als nach der Wahl Trumps VorwĂŒrfe kamen, Russland habe die US-Wahlen manipuliert, kehrten wir zurĂŒck nach Moskau und konfrontierten ihn damit.

Er hat rundweg abgestritten, dass Russland in den US-Wahlen interveniert habe. Hatten Sie manchmal den Eindruck, dass Putin Ihnen nicht die ganze Wahrheit sagte?

Das ist ein Thema der westlichen Medien.

In den USA gibt eine riesige Untersuchung darĂŒber. Eine Armada von AnwĂ€lten hat sich der Sache angenommen.

Das ist McCarthyismus (antikommunistische Hetzjagd unter der Leitung von Senator Joseph McCarthy in den 1950er Jahren, d. Red.). Es ist wie im Kalten Krieg. Als ob Russland auf dem Sprung wĂ€re, in West­europa zu invadieren. Diese MentalitĂ€t treibt absurde BlĂŒten. Sie erinnern sich, wĂ€hrend der Reagan-Ära hat man den ­Russen sogar vorgeworfen, sie hĂ€tten versucht, den Papst zu ermorden. Durch diesen tĂŒrkischen Typen.

Ali Agca.

Man hat behauptet, er arbeite fĂŒr den KGB. Ein absoluter Schwachsinn. Niemand konnte einen Beleg fĂŒr diesen Vorwurf ­liefern.

ZurĂŒck in die Gegenwart. SĂ€mtliche amerikanischen Nachrichtendienste sind der ­felsenfesten Überzeugung, Russland habe sich in die PrĂ€sidentschaftswahlen eingemischt. Glauben Sie Putin mehr als den Geheimdiensten Ihres eigenen Landes?

Die VorwĂŒrfe sind ein durchsichtiger Angriff auf Donald Trump. Drei Dienste, CIA, NSA und FBI, haben sie im Januar in einem dĂŒnnen Gutachten abgefasst. Das Ganze war ein Witz. Der damalige CIA-Chef John Brennan fuhr eine Kampagne der Furcht und Paranoia, ohne offiziell Beweise vorzulegen. Dies wĂ€hrend einer MachtĂŒbergabe, wenn es wichtig ist, dass wir unseren Leadern trauen können. Brennan ist ein Arschloch. Die CIA hat buchstĂ€blich versucht, den nĂ€chsten PrĂ€sidenten in seiner AmtsausĂŒbung zu unterminieren.

Aus welchem Grund?

Eine sehr gute Frage. Die mĂŒssen Sie Obama stellen. Oder Brennan. Schauen Sie, alle glaubten, Hillary Clinton wĂŒrde gewinnen. Als es anders kam, waren alle tief geschockt. Das Brennan-Papier kam vierzehn Tage vor dem Amtsantritt Trumps heraus, also noch unter Obama. Trump hatte Obama auf allen Ebenen angegriffen. Trump hat angekĂŒndigt, die Politik gegenĂŒber Russland zu Ă€ndern. Trump hat Sinn und Organisation der Nato hinterfragt. Aber die fĂŒhrenden KrĂ€fte in den USA wollen die alte Praxis fortsetzen, die lautet, dass wir Russland isolieren ­mĂŒssten. Vielleicht ist ihr ultimatives Ziel ein Regimewechsel in Russland.

FĂŒr das VerhĂ€ltnis Amerikas zu Russland war es wenig hilfreich, dass Putin Snowden die Aufenthaltserlaubnis in Russland erteilt hat. Agent Snowden hat riesige ­geheime Überwachungsprojekte verraten. Könnte es sein, dass er schon lĂ€nger mit den Russen kooperiert hatte?

Ich habe stundenlang mit Ed gesprochen. Ed hat nichts mit dem russischen Staat zu tun. Er ist total unabhÀngig.

Ist Snowden in Ihren Augen ein Held?

Snowden ist ein Held. Ebenso wie Julian Assange, der Chef von Wikileaks. Assange hat mehr Mut als irgendjemand sonst, den ich kenne. Er fordert das System frontal heraus.

Stellen Sie sich vor, Snowden wÀre Russe und hÀtte russische Geheimnisse verraten. Was hÀtte Putin wohl mit ihm gemacht?

(Schweigt)

Er hĂ€tte ihn wohl in den Gulag geschickt oder umbringen lassen. Was sagte Putin denn ĂŒber Snowden?

Er sei mutig und tollkĂŒhn.

Aber kein Held.

Er sagte, Snowden hĂ€tte zurĂŒcktreten mĂŒssen. Wie er es getan hat als KGB-Agent, als er 1990 mit der Politik Gorbatschows nicht einverstanden war.

Wird Snowden Russland je wieder verlassen?

Ich denke, er wird dort bleiben. Wer sonst könnte ihn beschĂŒtzen? (Denkt nach) Glauben Sie, dass Donald Trump Snowden in einer Husarenaktion aus Russland raus­holen möchte?

Wer weiss? Trump liebt Siege und Erfolg.

Ein grosses Ego ist ein Problem; das Leben richtet sich nicht danach.

WÀhrend Sie fremde Herrscher mit grossem Goodwill zu verstehen versuchen, attackieren Sie amerikanische ­PrÀsidenten frontal. Wer war Ihrer Ansicht nach der schlimmste Mann im Weis­sen Haus?

George W. Bush. In meinem Film «W.» ­zeige ich, wie er als Schwachkopf durch die Schule gondelt und schliesslich im Oval Office landet. Er hat im Irak ein Chaos angerichtet. Er hat unser Land ruiniert. Heute wird Bush als konservativer Traditionalist akzeptiert und Trump als grösster Idiot dargestellt. Aber Trump hat diesen Titel noch nicht verdient. Er hat bisher nichts unternommen, dass sich mit W.s ­Taten vergleichen liesse.

Sie waren im selben Jahrgang wie Bush an der SpitzenuniversitÀt Yale. Wie kamen Sie mit ihm aus?

Wir haben erst spĂ€ter zusammen ge­sprochen. Als er als PrĂ€sident kandidierte, wollte er mich treffen. Ich hatte nichts mit ihm am Hut. Unsere Wege haben sich frĂŒh wieder getrennt.

Sie gehörten der intellektuellen Elite Ihrer Generation an. WĂ€hrend Ihre Kollegen die Stufen der Macht hinaufstiegen, verliessen Sie Yale frĂŒhzeitig und gingen nach ­Vietnam.

Bush aber nicht. Er machte ein Training als Reservist und hat nicht mal das fertig­gemacht. Aber er zog spÀter in den Krieg, wie wir alle wissen. Kein Vietnam-Veteran, der diesen Krieg durchgemacht hat, wÀre im Irak einmarschiert.

Sie meldeten sich freiwillig an die Front in diesem mörderischen Krieg. Warum?

Ich wurde von meinem Vater konservativ erzogen. Er war Oberstleutnant im Stab von General Eisenhower und war 1944 an der ­Befreiung von Paris dabei gewesen. ZurĂŒck aus dem Weltkrieg, arbeitete er an der Wall Street. Also war es nur logisch, dass ich nach Yale gehen wĂŒrde. So wirst du Teil des Systems.

Haben Sie sofort gemerkt, dass Sie da nicht reinpassten?

Ich war bloss achtzehn, aber ich fĂŒhlte, dass ich dort nichts verloren hatte. Meine Eltern hatten sich scheiden lassen, als ich sechzehn war. Ich hatte keine Geschwister. Ich hatte keine Vorstellung davon, was Familie bedeutet. Ich war allein und musste meinen ­eigenen Weg im Leben finden.

Wollten Sie Ihrem Vater etwas beweisen?

Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich allein leben, dass ich ĂŒberleben konnte. Ich wusste nicht, wer ich war. Auch nach Vietnam wusste ich es nicht. Als ich aus dem Krieg zurĂŒckkehrte, war ich sehr ratlos.

Zehn Tage nach Ihrer RĂŒckkehr wurden Sie wegen Drogenschmuggels an der mexikanisch-amerikanischen Grenze verhaftet. Warum haben Sie das getan?

Ich hatte Marihuana aus Vietnam mitgebracht. Ich ging nach Mexiko, ich wollte abschalten und dröhnte mich mit Drogen zu. Bei der RĂŒckkehr erwischten sie mich. Es war lĂ€cherlich. Viele Leute taten dasselbe.

Sie landeten im GefÀngnis, es drohte Ihnen eine lange Haftstrafe.

Sie wollten mir fĂŒnf bis zwanzig Jahre wegen Schmuggels aufbrummen. Das war damals der Anfang des Drogenkrieges. Nixon war noch nicht im Amt, aber die Offensive gegen die Drogenschmuggler hatte bereits begonnen. Die GefĂ€ngnisse in San Diego, an der kalifornischen Grenze zu Mexiko, waren sinnlos ĂŒberfĂŒllt. Wir hatten keinen Platz zum Schlafen, so viele Drogenschmuggler hatten sie verhaftet.

Dank der Intervention Ihres Vaters kamen Sie frei. Die Erlebnisse im GefĂ€ngnis inspirierten Sie spĂ€ter zum Drehbuch von ­«Midnight Express», fĂŒr das Sie Ihren ersten Oscar gewannen. Was war Ihre persönliche Erkenntnis aus der Zeit im GefĂ€ngnis?

Oh, ich begann das System noch mehr zu hassen. Ich sah, wie die Cops mit Underdogs der Gesellschaft umgehen. Ich war in der ­Armee gewesen. Ich hatte gesehen, was BĂŒrokratie im Krieg anrichtet. Kennen Sie die Geschichten aus dem Irak? Wissen Sie, wie das amerikanische MilitĂ€r dort operiert?

Ich war mehrmals mit US-Truppen im Irak und in Afghanistan unterwegs.

Alles lĂ€uft nach Buch. Die Logistik ist gigantisch. In Vietnam gab es neun Personen fĂŒr jeden Soldaten an der Front. In Irak waren es noch viel mehr. Es ist ein verrĂŒcktes System. Es ist wie Las Vegas. Du importierst diese amerikanische LĂ€cherlichkeit in ein fremdes Land. Es ist unglaublich. (Er greift vom Schreibtisch ein Buch mit dem Titel: «The Hunt for KSM») Das ist mein neues Projekt. Die Geschichte von GuantĂĄnamo.

Als Obama 2009 an die Macht kam, hat er als Erstes versprochen, das Lager in Guantånamo zu schliessen. Acht Jahre spÀter ist das GefÀngnis immer noch in Betrieb.

Das sagt viel aus ĂŒber die Macht eines ­PrĂ€sidenten.

Sie nannten Obama einen «Wolf im Schafspelz».

Das war er. Er sprach milde und progressiv, und gleichzeitig haben die USA unter seiner Ägide das grösste, weltumspannende Überwachungssystem aufgezogen.

Sie haben ihm zweimal die Stimme gegeben. Bereuen Sie es?

Ja. Aber was war die Alternative? Romney war ein Idiot. Und McCain? Wen können wir wÀhlen in diesem Land? Wo ist die Friedenspartei? Ich setzte grosse Hoffnungen in Obama. Er verlieh im richtigen Moment den Eindruck, Amerika sei ein multikulturelles Land. Das war ein grosses PR-Ereignis. Mehr nicht.

Nun also GuantĂĄnamo. Drehen Sie einen Kinofilm?

Ich mache dieses Ding fĂŒrs TV. Eine Serie von zehn Episoden. Es reicht nicht fĂŒr einen Spielfilm. FĂŒr solche Themen gibt es keine Sponsoren.

Sind die Zeiten in Hollywood hÀrter geworden? Oder sind Sie das Problem?

Ich hatte immer eine harte Zeit. Das Drehbuch fĂŒr «Platoon» trug ich zehn Jahre mit mir herum, bis ich endlich den Film drehen konnte. Amerika war nicht bereit fĂŒr die dunkle Seite dieses Krieges.

Dann gewannen Sie mit «Platoon» den Oscar. Hat Ihnen das TĂŒren geöffnet?

Der Erfolg war riesig. Aber ich musste immer noch dealen und Kompromisse machen. Ich drehte drei Studiofilme, «Wall Street», «Word Trade Center» und «Savages». «Wall Street» lief gut, «World Trade Center» machte richtig Kasse. Aber sie redeten mir immer drein. Alles war ein Krampf. Trotzdem biss ich mich durch. Ich wollte Erfolg haben. Ich wollte Geld machen. Ich bin kein MĂ€rtyrer. Und wenn schon Studiofilme, dann sollten sie packende Unterhaltung sein. Mit «Savages» ist mir das gut gelungen. Aber es sind die unabhĂ€ngigen Filme, die mir am meisten Freude machen. «W.» war sehr wichtig fĂŒr mich. Aber damit verdiene ich kein Geld. «Amerikas ungeschriebene Geschichte», eine zwölfstĂŒndige Fernseh-Doku, fĂŒr die ich fĂŒnf Jahre geschuftet hatte, brachte mir keinen Dollar ein.

Was treibt Sie an? Ein Missionsgedanke?

Leidenschaft. Jemand muss die dunklen Seiten Amerikas aufzeigen, sich dem Nachrichtenfluss, der Tyrannei des Jetzt, widersetzen und die Heroisierung unserer Geschichte entlarven. Aber dafĂŒr findest du keinen Geldgeber, keinen Vertrieb. «Snowden» wurde von jedem Studio abgelehnt. Schliesslich konnten wir den Film mit deutscher und französischer Hilfe ­finanzieren. Heute machen sie in Hollywood Produktionen mit grossen Budgets, es mĂŒssen realitĂ€tsferne Action- oder Fantasy-Filme sein. Projekte wie meine haben da keinen Platz mehr. Meine Zeit ist abgelaufen. ... Wie alt sind Sie? 50? 51?

51. Wie kommen Sie darauf?

Ich bin gut im EinschÀtzen des Alters. Ich mag Sie, aber fragen Sie mich nicht danach, wie stupid das amerikanische MilitÀr ist. Es ist unmöglich, das zu beschreiben.

Okay, gehen wir zu etwas Leichterem ĂŒber. Ich stelle Ihnen ein paar persönliche Fragen, Sie antworten kurz und direkt.

Einverstanden.

Welches war der beste Drogen-Flash, den Sie je hatten?

Drogen? Wahrscheinlich LSD und Ayahuasca (ein psychedelisch wirkender Sud aus Heilpflanzen des Amazonas-Gebiets, d. Red.).

Welches ist heute Ihre Lieblingsdroge?

Ich rauche Marihuana. Sonst konsumiere ich nicht viel.

Welches war Ihr fantastischstes Sexerlebnis?

Mein fantastischstes Sex
? Sie sind doch Schweizer, wie können Sie mich so etwas ­fragen?

Larry King stellte ich dieselbe Frage, und er hat mir geantwortet.

Was hat er gesagt?

Er sagte, er habe keinen Sex mehr, krankheitsbedingt. Und irgendwie finde er es ­beruhigend, als ob ein Druck von ihm ab­gefallen wÀre.

Na gut. In einem Bordell in Hamburg. Mit einer wunderbaren Lady. Jetzt wissen Sie’s.

Welches ist die grösste Liebe im Leben von Oliver Stone?

Ich liebe meine Mutter sehr. Ich stehe ihr sehr nahe. Abgesehen von meiner Mutter liebe ich meine Frau Sun-jung Jung. Wir sind seit 22 Jahren verheiratet. Sie ist aussergewöhnlich. Koreanerinnen sind aussergewöhnlich. Eine Bessere als Jung gibt es nicht. Ich fĂŒhle mich gut mit ihr. Wohl. Sie rĂŒckt mir nicht dauernd auf die Pelle und lĂ€sst mich in Ruhe. Jung ist meine dritte Frau.

Ihre grösste Liebe sind Frauen. In Ihren ­Filmen hingegen dominieren MĂ€nner. Machtgetriebene, rĂŒcksichtslose und gebrochene Typen. Finden Sie keine Frau, die faszinierend genug wĂ€re, um ihr einen Film zu widmen?

«Heaven & Earth», einer meiner besten Filme, dreht sich um eine Frau. Und natĂŒrlich «Evita». Ich habe das Drehbuch geschrieben, ein grossartiges StĂŒck. Eigentlich wollte ich «Evita» auch drehen, aber dann fĂŒhrte Alan Parker Regie. Er nahm mein Drehbuch und hat es völlig versaut. Auch Angelina Jolie in «Alexander» war eine sehr starke Frau, sehr Ă€hnlich wie meine Mutter. Aber im Grunde haben Sie recht. Frauen kommen nicht gross vor in meinen Filmen. MĂ€nnergeschichten finde ich viel faszinierender.

Ihre Mutter ist Französin, sie lernte Ihren Vater wÀhrend des Krieges kennen. Wie kommen Sie zurecht mit der französischen MentalitÀt?

Ich kam frĂŒh mit ihr in Kontakt, zwangslĂ€ufig. Bereits als kleiner Junge nahm mich meine Mutter jeden Sommer mit nach Europa. Kaum angekommen, ĂŒbergab sie mich ihrer französischen Familie, wĂ€hrend sie sich in SĂŒdfrankreich mit Liebhabern vergnĂŒgte. Ihr Vater hatte im Ersten Weltkrieg gekĂ€mpft, und ich spielte mit den Franzosenkindern auf den Schlachtfeldern von damals, in den Argonnen. Da und dort fanden wir deutsche Helme und Uniformteile. Das war ein anderes Frankreich damals, ein unabhĂ€ngiges Frankreich. De Gaulle war fĂŒr mich der ultimative französische Held. Er sagte den Amerikanern: «Fuck you!» Und er zog Frankreich aus der Nato ab. Ein sehr gescheiter Zug. Dann aber zogen die Amerikaner die Franzosen wieder rein. Als Nato-Mitglied bist du Teil einer Nuklearmacht, ohne dass du zu deren Einsatz was zu sagen hast. Alle EuropĂ€er haben ihre SouverĂ€nitĂ€t an die Nato abgetreten, ausser die Schweizer. Aber ihr habt es auch verkackt.

Wo denn?

Ihr habt das Bankgeheimnis aufgegeben. Das war ein grosser Fehler. Als der Bank­skandal losging, hÀttet ihr den Amerikanern sagen sollen: «Verpisst euch!»

Sie meinen, wir hÀtten das Bankgeheimnis behalten sollen?

Ja, absolut. Ihr mĂŒsst euer Bankensystem haben können.

Man warf den Schweizer Banken vor, sie wĂŒrden mit Diktatoren und Dieben GeschĂ€fte machen.

Nein, im Gegenteil. Es geht um etwas anderes. Die Amerikaner können Sanktionen gegen Russland erheben und eure Banken zwingen, diese Sanktionen zu befolgen. Das ist falsch. Wenn ihr Handelsabkommen mit Russland abschliesst, mĂŒsst ihr sie einhalten. Sie haben euch in die Knie gezwungen. Das ist nicht richtig. Wer immer in der Schweizer Regierung war zu jener Zeit, hat einen gewaltigen Fehler gemacht. Niemand in Europa hat den Mut, gegen die Amerikaner aufzustehen. Niemand. Das ist meine grosse Botschaft.

 

 

Oliver Stone, 71, ist eine einzigartige Mischung aus ­Hollywood-Genie und ungezĂ€hmtem Politrebell. Er drehte grandiose Kassenerfolge («Wall Street», ­«Platoon», «JFK», «Natural Born Killers», «Any Given Sunday»), schrieb brillante DrehbĂŒcher («Scarface», «Midnight Express») und verfilmte epische, von der ­Kritik verrissene, Stoffe («Alexander»). Dass er sich ­wĂ€hrend der US-Wahlen gegen Hillary Clinton wandte – also nicht ausdrĂŒcklich gegen Donald Trump war –, löste im politisch linken Lager, dem auch Stone ­angehört, ­einiges KopfschĂŒtteln aus. Neben der Faszination fĂŒr mĂ€chtige Figuren («Nixon», «Comandante») zieht sich ein autobiografisches Motiv – Stone kĂ€mpfte im ­Vietnamkrieg – wie ein roter ­Faden durch sein Hauptwerk: jenes des vom Staat ­enttĂ€uschten amerikanischen Patrioten, der sich ­schliesslich gegen die Regierung wendet. Dies kam ­zuletzt auch in «Snowden» (2016) wieder zum Ausdruck. Aus der Schweiz erhielt der dreifache OscarpreistrĂ€ger auch schon UnterstĂŒtzung: Seine Bush-Biografie «W.» (2008) wurde von der Firma ­Millbrook Pictures, die ­Zurich-Film-Festival-GrĂŒnder Karl Spoerri und ­Unternehmer Thomas Sterchi gehörte, mitfinanziert. (bb)

Die 3 Top-Kommentare zu "«Der einzig Normale in diesem Irrenhaus»"
  • Mad Maxl

    " Putin ist der einzige Normale in diesen Irrenhaus " ? Ja, stimme zu ! Aber "leider" kontrollieren diese Irren einen Großteil der Medien ! Siehe z.B. Deutschland, da betreiben angebliche Journalisten "GehirnwĂ€sche" am Volk. Dort ist auch zurecht das Wort "LĂŒgenpresse" entstanden.

  • Ratio

    Nur gesunde Fische schwimmen gegen den Strom. MĂŒll und Aas mit ihm...

  • huskytuller67

    Absolutely ... đŸ„č đŸ„ș đŸ„č