Michail Gorbatschow wird kein Staatsbegräbnis erhalten – das melden russische Medien am Donnerstag.

Die formale Begründung dürfte sein, dass der erste und letzte Präsident der untergegangenen UdSSR (und zuvor Generalsekretär der KPdSU) im postsowjetischen Russland kein politisches Amt bekleidet hat.

Dahinter verbirgt sich, dass dieses postsowjetische Russland zu seinem Geburtshelfer ein tief gespaltenes Verhältnis pflegt.

Das zeigt sich in den Reaktionen der staatstragenden Politik und der Massenmedien: Für seine Reformbereitschaft wird Gorbatschow Respekt gezollt, auch seitens Wladimir Putin.

Umso weniger für das Ergebnis: den Untergang der Sowjetunion.

«Glückliche Reformer gibt es nicht», zitiert die Nachrichtenagentur TASS den Verstorbenen. TASS betont allerdings, dass Gorbatschow als einziger russischer Politiker im «informellen Klub» der Staatsfrauen und -männer von Weltrang Aufnahme fand, nennt Namen wie Reagan, Bush und Thatcher.

Auf der politischen Rechten (und bei den Kommunisten) fällt das Urteil negativ aus: Leonid Sluzki, Parteichef der populistischen LDPR, betont, dass ihm Gorbatschows Ableben «als Christ» nahegehe – ebenso nahe wie der Untergang des «grossen Landes», dessen Zerfall «in den Jahren der Perestroika und des neuen Denkens» wurzele. Der Verstorbene habe denen in die Hände gespielt, die immer schon am Untergang der UdSSR interessiert gewesen seien.

Positive oder warmherzige Nachrufe kommen von Politikern der demokratischen Opposition: Grigori Jawlinski, Gründer der linksliberalen Jabloko-Partei, schreibt: «Gorbatschow hat uns die Freiheit gegeben.»

Auch die Putin-kritischen Medien, viele davon inzwischen im Ausland, streichen die vergebenen Chancen heraus.

Dmitri Muratow, Chefredakteur der Nowaja Gaseta und Friedensnobelpreisträger, bedankt sich bei dem Verstorbenen für «das unglaubliche Geschenk – dreissig Jahre Frieden».

Und jetzt?

«Das Geschenk ist Vergangenheit. Es wird auch keine Geschenke mehr geben.»

Die 3 Top-Kommentare zu "Die russische Sicht: Michail Gorbatschow, der verstorbene letzte Präsident der Sowjetunion, ist in westlichen Medien omnipräsent. Was schreiben russische Zeitungen?"
  • Pablo57

    Ich bin mir bewusst, dass ich mich jetzt zum Fenster hinauslehne. Aber sowohl Gorbatschov als auch Putin haben den Weg gewiesen. Europa und Asien könnten der stärkste Wirtschaftsraum in friedlicher Koexistenz sein, wenn die Amis nicht stets alles hintertreiben würden. Das ist jedoch hauptsächlich das Problem der europäischen Politiker, welche sich aus Gründen der Selbstbereicherung zu Vasallen der USA machen lassen. Die Völker möchten in Frieden und Wohlstand leben. Weshalb die Politiker nicht?

  • Eliza Chr.

    Viele werden glorifiziert, aber bei Helmut Schmidt liegen Sie falsch. Ich bin keine SP-Wählerin, aber Schmidt war wirklich gut. Er hat z.B. gesagt, dass es schlimm gewesen sei, als D und F den Maastricht-Vertrag zuerst gebrochen haben; dass zuviele Migranten ins Land kommen werden und dies dem Land schade, oder der beste Spruch, der sich momentan UEBERALL bestätigt:"Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden." Helmut Schmidt war ein Realist, kein Träumer und hatte Rückgrat!

  • Chrüütlibuur

    Gleichschaltung in russischen Medien? Woher weiss man im Westen darüber? Die Kritik und Meinungsbildung in Russland ist breiter als auf Youtube oder Metta (Facebook) und Instagram. Unglaublich? Es gibt einen Farme von Putin. Der militärischen Sondereinsatz. Damit hat es sich dann ca. auch schon. Traurig, aber wahr. Unsere Berichterstattung ist wesentlich sowjetischer als die in Russland. Man könnte heulen. Nur wer sich nicht die Mühe macht, dem medialen Horizont zu weiten frisst was er bekommt.