Die Situation ist komplex. Schlagworte und Feindbilder führen in die Irre. Die Ukraine gehörte jahrhundertelang zu Russland. In Kiew entstand im Mittelalter die russisch-orthodoxe Kirche. Die Ukraine ist für viele Russen nicht einfach ein fremder Staat wie jeder andere. Der Westen drängte sich zu sehr hinein. Die Idee, die Ukraine in die Nato zu verschieben, ist ein Fehler.

Das sage nicht ich. Das sind sinngemäss die Worte des grossen US-Diplomaten Henry Kissinger. In einem hellsichtigen Artikel von 2014 zeichnete er ein realistisches Bild der Lage. Er mahnte die westliche Seite zur Zurückhaltung. Dem «seriösen Strategen» Putin sagte er voraus, er würde Russland mit einer militärischen Einverleibung der Ukraine weltweit isolieren und gefährden.

Wir werden sehen. Politische Entwicklungen lassen sich erst vom Ende her beurteilen. Jetzt sind wir konfrontiert mit den schrecklichen Auswirkungen eines brutalen Völkerrechtsbruchs und einem drohenden möglichen Kriegsgemetzel auf dem mythischen Ursprungsgelände der russischen Kultur. Sogar eine Eskalation des Kriegs ist denkbar. Die Ukraine ist ein Pulverfass.

Richtig ist, dass die Schweiz ihre humanitäre Hilfe an die Ukraine jetzt schnell aufstockt. Man muss den Flüchtlingen helfen, indem man den Ländern hilft, die sie aufnehmen. Der humanitäre Ansatz gehört zur Schweiz und ist besser als die von der EU überstürzt beschlossene Aufrüstung der Regierung Selenskyj, die ihre Soldaten in Kiew konzentriert, unter Zivilisten.

Heute grassiert im Westen der Moralismus, die Selbstgerechtigkeit, das Hochgefühl der eingebildeten moralischen Unbeflecktheit. Dieses Denken verstellt den Blick auf die Wirklichkeit. Man wird übermütig. Man beurteilt die eigenen Handlungen nicht mehr nach den Wirkungen, sondern ausschliesslich nach der ihnen zugrunde liegenden Gesinnung.

Mehr Waffen an die Ukraine bedeuten zwangsläufig eine Verlängerung des Kriegs mit noch mehr Zerstörung und noch mehr Toten. Früher gab die pazifistische Linke die Devise aus «Lieber rot als tot». Davon will sie heute nichts mehr wissen. Aus den sozialdemokratischen Zentralen kommen eiserne Widerstands- und Durchhalteparolen. Fragt jemand nach den Konsequenzen?

Ziel muss ein möglichst schneller Frieden und eine Rückkehr zu Gesprächen sein. Früher nannte man das Appeasement-Politik. Das ist der Alternative vorzuziehen, einem blutigen Häuserkampf in europäischen Städten. Die humanitäre Schweiz ist ein Vorbild. Der Bundesrat muss zur Neutralität zurück. In einer Welt der Schützengräben braucht es eine Friedensinsel.

Bild: World Peace Statue in Grandcamp-Maisy (Frankreich). Ein Friedensdenkmal des Künstlers Yao Yuan.