Diese Woche hat er es in einer Talkshow erlebt. Es ging ums Bürgergeld und Christian Lindner, FDP-Chef und Ex-Finanzminister, stellte fest, dass es tatsächlich Bürgergeldempfänger gebe, die nicht arbeiten wollten. Hätte er das vor vier Wochen als Mitglied der Ampel-Regierung gesagt, hätten ihn diejenigen, die das genauso sehen, gefeiert. Stattdessen empörte sich der Mainstream. Lindner ist ein gefallener Held. Und deswegen wird es hier Zeit für seine Ehrenrettung.

Denn in Wahrheit ist der FDP-Chef der Einzige, der den Mut aufgebracht hat, das unwürdige Theater, das sich Ampel-Regierung genannt und Deutschland gegen die Wand regiert hat, zu beenden. Er hat das Indianer-Sprichwort beherzigt: «Wenn das Pferd tot ist, steig ab.» Die anderen beiden, Olaf Scholz und Robert Habeck, reiten noch immer den toten Gaul.

Dass sie das wissen und davon ablenken wollen – davon zeugt die mit Wonne verbreiteten Geschichte über jenes Strategiepapier, in dem die FDP das Ende der Koalition durchgespielt hat. Offenbar hat die SPD nichts anderes als das gegen Lindner in der Hand, um davon abzulenken, dass sie es ist, die die schlechteste Regierung seit Gründung der Bundesrepublik seit drei Jahren anführt. Wie ein enttäuschter Ehepartner bricht sie einen durchsichtigen Rosenkrieg vom Zaun, der ausgeht, wie jeder Scheidungsfall: beide Partner verlieren.

Sie merkt schon wieder nicht wie Deutschland tickt. Sie merkt nicht, dass ihr absehbares Ende als führende Regierungspartei Erleichterung auslöst. Stattdessen empört sie sich künstlich, weil in dem FDP-Papier mit Worten wie «offener Feldschlacht» und «D-Day» Kriegsrhetorik gebraucht wird. Scholz findet das höchst unpassend, dabei ist er der Mann, der mit «Wums», «Doppelwums» und «Bazooka» – was ja eine panzerbrechende Waffe ist – in Friedenszeiten sprachlich aufrüstet.

Alle wissen, dass die Aufregung gekünstelt ist. Denn es geht natürlich um viel, viel mehr als wer nun wen hintergangen hat. Die Ampel-Regierung ist seit Ausbruch des Ukraine-Krieges disfunktional. Ihr Koalitionsvertrag taugte nichts mehr, aber sie hielt daran fest. Seit dem Einspruch des Verfassungsgerichts gegen ihr Haushaltsgebaren steht sie sogar mit einem Bein in der Illegalität. Wenn Linder ein Vorwurf trifft, dann die Frage, warum er so spät die Notbremse gezogen hat.

Die Antwort besteht darin, dass er den Bruch teuer bezahlen könnte. Die eigene Karriere, ja sogar die Existenz der Partei stehen auf dem Spiel. Doch es kann auch gut gehen. So wie 1982, als die FDP schon einmal eine Koalition mit der SPD nach Drehbuch gezielt hat platzen lassen. Was mussten sich die damaligen FDP-Strategen Otto Graf Lambsdorff und Hans Dietrich Genscher nicht alles von Kanzler Helmut Schmidt anhören: «Eigensüchtiges politisches Handeln» war da noch zahm. Am Ende bekam die so beleumundete FDP bei vorgezogenen Neuwahlen sieben Prozent und half Helmut Kohl in den Sattel. Ihr Gaul war sehr lebendig. 16 Jahre ritten sie gemeinsam. Lindner weiss das.