Staatsanwalt Yves Bertossa setzte am Donnerstagmorgen vor dem Genfer Straf- und Massnahmenvollzugsgericht noch einmal alle Hebel in Bewegung. Kompromisslos wehrte er sich gegen die Freilassung von Erwin Sperisen und kritisierte den Entscheid aus Strassburg scharf.

Doch für einmal verweigerte ihm die Genfer Justiz die Gefolgschaft. Erwin Sperisen, der ehemalige politische Chef der Polizei in Guatemala, ist ein freier Mann.

Indirekt anerkennt das Gericht damit, was schon in Strassburg festgestellt wurde: Sperisen hatte in der Schweiz keinen fairen Prozess. Bis zum Beweis des Gegenteils hat er als unschuldig zu gelten.

Die Verurteilung von Sperisen mutet allein schon vom Sachverhalt her absurd an: Er soll einen Kommandanten gedeckt haben, der an einem Gefängnismassaker beteiligt gewesen sein soll – aber exakt in dieser Sache längst rechtskräftig freigesprochen wurde.

Nichts war an Sperisens Verurteilung klar: Irgendwie, irgendwann, irgendwo soll er in irgendein Mordkomplott verwickelt gewesen sein.

Klar war lediglich: Er musste verurteilt werden, weil ihn die Schweiz sonst für eine jahrelange Untersuchungshaft in fast totaler Isolation hätte entschädigen müssen.

Strassburg hat der Schweiz einen Riegel geschoben. Der Ball liegt nun beim Bundesgericht. Es muss entscheiden, ob es zu einem neuen Prozess kommt – oder ob man den Justizirrtum endlich akzeptiert und Sperisen entschädigt.

Zur Diskussion steht so oder so nur noch der erwähnte Sachverhalt (Komplizenschaft mit einem Unschuldigen). Eine so genannte «reformatio in peius», eine neue Ausweitung des Prozesses, wäre nicht zulässig.

Doch bis zum Entscheid ist Sperisen ein freier Mann – nach mehr als elf Jahren Haft.