Der Taxifahrer Kit Latura versucht, New York vor einer Katastrophe zu bewahren. Während er durch einstürzende Tunnelsysteme hetzt, fokussiert die Kamera immer wieder auf sein Handgelenk. Es ist 1996, Sylvester Stallone kämpft in «Daylight» ums Überleben. Aber viele Kinobesucher bewegt nur eine Frage: Was für eine Uhr trägt der Mann da?

Die Spurensuche führt tief in die Vergangenheit. 1860 eröffnete Giovanni Panerai in Florenz das erste Uhrenatelier der Stadt. Bis heute sind diese Wurzeln in Italien prägend für die Marke Panerai; produziert werden die Uhrenmodelle seit 2002 allerdings in der Schweiz.

Alessandro Ficarelli ist Marketingchef von Panerai, und er weiss durchaus, was er Stallone – und später auch anderen Hollywoodstars – zu verdanken hat. Doch organisiert oder gar bezahlt hat das Unternehmen diese Auftritte nicht. «Prominente tragen unsere Uhren, weil sie sie lieben, ganz ohne Gegenleistung», sagt Ficarelli. Der Effekt war durchschlagend: Mit einem Mal war der einstige Geheimtipp ein gesuchtes Objekt – und Panerai ein Begriff.

Präzision und Funktionalität

Was hat die Stallone-Fans damals elektrisiert, was macht die Marke so besonders? Augenschein in Neuenburg. In den klinisch reinen weissen Hallen sitzen Uhrmacher hochkonzentriert in der typischen gebeugten Haltung. Einige Räume weiter durchlaufen Prototypen Testverfahren, sie werden Wasser und Erschütterungen ausgesetzt. Es geht um die Überprüfung des Markenversprechens: Präzision und Funktionalität.

Diese Qualitäten führten vor dem Zweiten Weltkrieg zum Durchbruch der Marke in einer besonderen Nische. Die italienische Marine war auf der Suche nach Uhren, die robust, zuverlässig und auch bei schlechten Lichtverhältnissen gut ablesbar sein mussten. Das war die Geburtsstunde der «Panerai Radiomir»; deren Weiterentwicklung mit dem Namen «Luminor» wurde später zum Flaggschiff der Marke.

Erkennbar, selbst ohne Logo

Es sollte jedoch noch über ein halbes Jahrhundert vergehen, bis aus der Taucheruhr für die Marine eine Marke wurde, die sich an ein breites Publikum richtete. 1993 produzierte Panerai rund 2000 Exemplare der «Luminor» und der «Luminor Marina» für den freien Verkauf. Vier Jahre später übernahm der Genfer Luxusgüterkonzern Richemont die Marke. Die neuen Besitzer hielten an der Philosophie fest: Sie entwickelten das Design weiter, ohne die Funktionalität zu vernachlässigen. Charakteristisch dafür ist die Brücke, welche die Krone der Luminor-Modelle schützt. Im Militäreinsatz war sie von höchster Bedeutung, heute stellt sie eine Besonderheit dar, die Panerai unverwechselbar macht.

Bei allen Anleihen an die Geschichte bleibe Panerai aber nicht statisch, wie Alessandro Ficarelli betont: «Wir suchen laufend nach neuen Materialien, um die Leistung unserer Uhren zu verbessern.» Ein leichteres und dennoch festes Gehäuse dank Carbon, Beschichtungsverfahren zur Verstärkung der Belastbarkeit, Keramisierung wie bei Schnellbooten zur Reduktion der Reibung: Die Geschichte der Marke verschmilzt mit dem Potenzial, das die moderne Technologie zu bieten hat.

Vier Kollektionen führt Panerai inzwischen. Sie sind alle auf ihre Weise von den historischen Zeitmessern aus dem letzten Jahrhundert inspiriert. Beim Bestseller, der «Luminor Marina», kann man es sich laut dem Marketingchef mittlerweile sogar leisten, das Logo vom Zifferblatt wegzulassen: «Das Design ist so stark, dass es jeder erkennt.»

Immer wieder versuche man, Kundenbedürfnisse zu erfüllen, ohne von dieser klaren Linie abzuweichen. «Viele lieben unsere Uhren, mögen es aber leichter und kleiner», sagt Ficarelli. Die Antwort darauf war 2016 die «Luminor Due», die an den Bestseller angelehnt, aber filigraner daherkommt. Mit der sportlichen Variante «Submersible» wird wieder ein anderes Käufersegment angesprochen. Wobei man bei Panerai nicht von Zielgruppen spricht, sondern von einer «Gemeinschaft». Ihre Mitglieder nennen sich «Paneristi». Sie teilen die Leidenschaft für Panerai, wissen alles über die Marke und ihre Geschichte und tauschen sich bei regelmässigen Treffen darüber aus – in diesem Jahr feiern die Paneristi ihren 25. Geburtstag mit einer Veranstaltung in New York.

Erlebnisse statt Werbung

Panerai hat also eingefleischte Fans. Wurmt es den Marketingchef aber gelegentlich, dass die breite Masse beim Wort «Luxusuhr» an andere Marken denkt, die präsenter sind? Alessandro Ficarelli zögert nicht mit der Antwort: «Panerai ist und bleibt eine Nischenmarke.» Die Produktion und Distribution anderer Hersteller sei damit nicht zu vergleichen, und man wolle gar nicht Millionen von Uhren herstellen, selbst wenn die Aufmerksamkeit steige. Wie viele es bei Panerai sind, gibt das Unternehmen nicht bekannt, die Zahl dürfte laut Schätzungen bei unter 100 000 Exemplaren pro Jahr liegen.

Statt in teure Werbung investiert das Unternehmen lieber in Erlebnisse, welche die Geschichte der Marke erzählen. «Es gibt viele hervorragende Uhrenmarken mit höchster Präzision», so Ficarelli. «Deshalb müssen wir zeigen, was uns einzigartig macht.» Und das sei bis heute die Kombination aus italienischem Design und Schweizer Uhrmacherkunst.

Derzeit laufen die Arbeiten an der Kollektion 2027/28. Es geht um weitere technische und funktionale Verbesserungen. Dazu kommen neue Uhren, die von den historischen Modellen inspiriert sein werden. Alessandro Ficarelli selbst fällt es nach fast zwanzig Jahren bei Panerai schwer, sein persönliches Lieblingsmodell zu nennen. Gerade trägt er eine «Radiomir Bronzo», bei der er den Alterungsprozess, die Patina, liebe – und ihre Wandlungsfähigkeit. Wenn er Sport treibe, wechsle er zum Taucherarmband: «Das ist jedes Mal so, als hätte ich eine neue Uhr am Handgelenk.»

Dieser Text erschien im WW Magazin.