Eine zeitgemässe Energieversorgung muss emissionsarm, zuverlässig und günstig sein – so weit der Konsens. Die Auffassungen darüber, wie dieses Ziel zu erreichen ist, gehen weit auseinander. In Deutschland läuft seit zwei Jahrzehnten ein weltweit einmaliges, Hunderte Milliarden teures Experiment, die «Energiewende». Das dafür eingesetzte Geld floss vor allem in Wind- und Solarkraft. Gleichzeitig verzichtete Deutschland auf gut regelbaren, preisgünstigen Atomstrom aus vierzehn Kernkraftwerken, die im Lauf eines Jahrzehnts vorzeitig stillgelegt wurden.

Die ernüchternde Bilanz: Die Emissionen sind nur wenig gesunken, während der Strom teuer und das Netz instabil wurde. Seit kein Gas mehr aus Russland fliesst, um Deutschlands fragile Energieversorgung zu sichern, ist eine akute Energiekrise ausgebrochen. Das Experiment ist offensichtlich gescheitert, auch wenn die Verantwortlichen das noch nicht zugeben mögen.

Frankreich dagegen, das sich in den 1970er Jahren für den massiven Ausbau der Kernkraft entschieden hat, produziert seinen Strom mit fünf- bis zehnmal weniger Emissionen als Deutschland. Dass Frankreich seinen Kraftwerkspark lange vernachlässigt hat und jüngst nun entsprechende Unterhaltskosten anfielen, ändert daran nichts. Strom war die meiste Zeit so günstig, dass die Franzosen damit heizen. Die Schweiz steht mit einem hohen Anteil an Kernkraft plus Wasserkraft ähnlich gut da.

Lässt man die Ideologie beiseite, sprechen alle Argumente für Kernkraft: Sie ist so emissionsarm wie Windkraft und so zuverlässig wie Kohle. Sie zählt zu den sichersten Energiequellen überhaupt, selbst wenn man die grossen Unfälle in die Betrachtung einbezieht. Sie verbraucht wenig Fläche und Rohstoffe bei kleinsten Müllmengen, die – entgegen dem herrschenden Narrativ – gut handhabbar sind. Nach Jahren der Stagnation entschliessen sich heute immer mehr Länder, die Kernkraft auszubauen oder erstmals einzusteigen.

Das Potenzial der Kernspaltung

So bewährt und verbreitet Leichtwasserreaktoren heute sind, so haben sie dennoch einen entscheidenden Nachteil: Die monumentalen Anlagen können nur einen winzigen Teil des aufwendig geförderten Natur-Urans zu Strom machen. In anderen Worten: Sie sind wenig effizient.

Auch technischen Laien leuchtet unmittelbar ein, dass Elektrogeräte oder Antriebe effizient sein müssen, also möglichst wenig Ressourcen für eine bestimmte Leistung verbrauchen sollten. In der Energieerzeugung fehlt dieser Gedanke erstaunlicherweise bisher. Dabei gibt es eindeutig effiziente und weniger effiziente Methoden, Strom herzustellen. Mit dem sogenannten Erntefaktor existiert dafür auch ein klares, jedoch wenig verbreitetes Mass.

Der Erntefaktor betrachtet das Verhältnis von insgesamt gewonnener zu eingesetzter Energie, und zwar über den kompletten Lebenszyklus einer Energieerzeugungsanlage. Die Berechnung ist nicht einfach, denn alle energetischen Aufwendungen – für den Bau über die Brennstoffbeschaffung bis zur Entsorgung – müssen darin einfliessen. Doch die Mühe lohnt sich, denn man erhält einen guten Vergleichsmassstab für die Leistungsfähigkeit einer Energietechnologie.

Werfen wir einen kurzen Blick auf Solar- und Windkraft, Lieblinge der deutschen Energiewende: Für sie wurde, inklusive Speicherung, ein Erntefaktor von etwa vier errechnet. Das heisst, sie ernten viermal mehr, als man insgesamt hineingesteckt hat. Dass der Strompreis in Deutschland (vor dem Ukraine-Krieg) immer neue Höhen erklomm, ist eine direkte Folge dieses relativ niedrigen Erntefaktors.

Derartige Energie würde einen Kreislauf aus Innovation, Wachstum und Wohlstand in Gang setzen.

Fossile Kraftwerke dagegen bieten einen Erntefaktor von etwa dreissig – ein Wert, der die industrielle Revolution ermöglichte und mit dem sich eine Industriegesellschaft versorgen lässt. Heutige Leichtwasserreaktoren haben einen Erntefaktor von etwa hundert. Das klingt zunächst gut, weil dreimal besser als Kohle. Allerdings muss man wissen: Uran enthält nicht dreimal, sondern Millionen Mal mehr Energie als Kohle! Ein derart dichter Brennstoff sollte eigentlich, richtig genutzt, eine viel höhere Energieausbeute erlauben. Wer den hohen Energiegehalt von Uran kennt, bekommt eine Ahnung vom gewaltigen, noch zu hebenden Potenzial der Kernkraft.

Atommüll ist ein Wertstoff

Mit dem Ziel, den nuklearen Brennstoff optimal zu nutzen, entwickelt unser Unternehmen Dual Fluid eine neue, wirksamere Art der Kernspaltung. Sie hat mit der heutigen Leichtwassertechnik, ausser der physikalischen Spaltungsreaktion, kaum etwas gemeinsam. Statt Brennstäbe nutzen wir zwei Flüssigkeiten im Reaktorkern: Eine trägt den Brennstoff, die andere führt die Wärme ab. Dank dieser patentierten Konstruktion kann der flüssige Brennstoff, ein unverdünntes metallisches Aktiniden-Gemisch, seine volle Kraft bei tausend Grad Celsius entfalten (ein Leichtwasser-Reaktor arbeitet bei 350 Grad Celsius). Als Kühlmittel dient flüssiges Blei, das die Wärme optimal abführt, ohne die Neutronen im Reaktorkern zu verlangsamen.

Deshalb kann der Reaktor – zusammen mit der Dual-Fluid-Recyclinganlage – jedes spaltbare Material vollständig verwerten, auch Thorium, Natur-Uran oder aufbereiteten Atommüll. Für die Kerntechniknationen ist insbesondere der letzte Punkt interessant, denn der heutige Atommüll ist zum allergrössten Teil noch verwertbar. Die nuklearen Abfälle Deutschlands und der Schweiz würden ausreichen, um uns auf heutigem Niveau mehrere Jahrhunderte lang vollständig mit Strom zu versorgen. Die Reststoffe müssten weit überwiegend nur wenige hundert Jahre gelagert werden.

Das Wichtigste ist aber: Verglichen mit einem Leichtwasserreaktor würde ein Dual-Fluid-Kraftwerk etwa zehnmal weniger Energie und Ressourcen verbrauchen, um eine vergleichbare Energiemenge herzustellen. Der Erntefaktor steigt damit auf einen Wert etwa 800 bis 1000. Das senkt natürlich den Strompreis: Das erste Modell mit 300 Megawatt an elektrischer Leistung könnte die heutigen Stromkosten aus Kohle oder Kernkraft nach unseren Berechnungen etwa halbieren (Wind und Solar sind kein zulässiger Vergleichspartner, da sie nicht die unabdingbare Grundlast liefern können). Die damit verbundenen Chancen liegen auf der Hand: Derart günstige, gut regelbare Energie würde einen sich selbst verstärkenden Kreislauf aus Innovation, Wachstum und Wohlstand in Gang setzen.

Schneller als Kernfusion

Im Gegensatz zur Kernfusion ist die Dual-Fluid-Technologie prinzipiell mit dem heutigen Stand der Technik realisierbar. Auch wenn die Medien regelmässig Durchbrüche bei der Fusion vermelden, ist sie von einer marktfähigen, weil wirtschaftlichen Anwendung noch Jahrzehnte entfernt. Die Hilfsmittel, die eine Fusion erst ermöglichen (stärkste Laser oder felderzeugende Magnete), verbrauchen selbst um Grössenordnungen höhere Energiemengen, als bisher in Fusionsprozessen freigesetzt wurde.

Dass die Kernfusion in den nächsten Jahrzehnten andere Formen der Energieerzeugung ablöst, ist deshalb sehr unwahrscheinlich. In der Kernspaltung hingegen sind die grundlegenden Fragen seit Jahrzehnten gelöst. Hier geht es nur noch darum, das Maximum herauszuholen.

Natürlich ist auch bei uns noch viel Entwicklungsarbeit nötig. Vor allem müssen die Materialien identifiziert und weiterentwickelt werden, die den hohen Belastungen in einem System extremer Leistungsdichte am besten standhalten. Da die nicht nukleare Industrie schon länger Materialien unter vergleichbar harten Bedingungen erfolgreich einsetzt, halten wir diese Entwicklungsarbeit für machbar.

Im Moment arbeiten etwa fünfzehn feste Mitarbeiter in Deutschland und Kanada am ersten Reaktormodell DF300. Kooperationen mit Hochschulen und Forschungszentren, unter anderem mit der TU Dresden, der TU München und dem Nationalen Kernforschungszentrum Polen, legen die Grundlagen für die Lizenzierung. Parallel suchen wir einen Standort für unseren «kritischen Demonstrator», den ersten Kleinreaktor, der das Dual-Fluid-Prinzip zur Mitte des Jahrzehnts zum ersten Mal in der Realität zeigen soll.

Teile der Entwicklung – beispielsweise die nukleare Recyclinganlage – könnten ohne weiteres dauerhaft in Deutschland verbleiben. Die Entwicklungskosten liegen geschätzt im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich. Dieser Betrag erscheint hoch; doch verglichen mit den Kosten der Energiewende – in den vergangenen Jahren über 25 Milliarden Euro jährlich – sind sie eher moderat. Im Gegensatz zur Endlagerung, die ausschliesslich Kosten verursacht, wäre die energetische Nutzung des Atommülls sogar gewinnbringend.

Auch vor diesem Hintergrund sollten Deutschland und die Schweiz sich fragen, ob sie wirklich auf eine Technologie verzichten wollen, deren beste Zeiten noch kommen. Die Kernkraft wird weltweit genutzt und weiterentwickelt, egal, ob wir uns daran beteiligen oder nicht. Wir können die Herausforderung annehmen und anfangen, Kernkraft als Teil der Lösung zu begreifen – oder die Lösung anderen überlassen.

Götz Ruprecht ist CEO des kanadischen Unternehmens Dual Fluid.