Was weiss Kanzler Olaf Scholz über den Terroranschlag auf die Nord-Stream-Pipelines?

Eine Teilantwort auf diese Frage ist klar: jedenfalls mehr, als er öffentlich sagt.

Wie tief er verstrickt ist, und wie sich seine Haltung zu dem Projekt gewandelt hat, zeigt eine chronologische Rekonstruktion der Ereignisse.

Oktober 2021
Der scheidende Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) leitet eine «Versorgungssicherheits-Analyse» an die Bundesnetzagentur weiter, die für die Energieversorgung in Deutschland zuständig ist. Der Bericht ist mit Scholz, damals noch Vizekanzler, abgestimmt. In dem Gutachten wird Nord Stream 2 als strategisches Projekt des Kremls und Beitrag für die «europäische Versorgungssicherheit» gelobt. Scholz war bis zu diesem Zeitpunkt offenbar Befürworter des Projekts.

19. Dezember 2021
Der inzwischen gewählte Kanzler Olaf Scholz weist die Verantwortung für den Pipeline-Bau von sich. Bei Nord Stream 2 handele es sich «um ein privatwirtschaftliches Vorhaben, das weitgehend abgeschlossen ist».

Nun sei von der Bundesnetzagentur nur noch die Einhaltung europäischer Vorgaben zu prüfen. «Das ist ein Verwaltungsverfahren, das jetzt nach Recht und Gesetz abgeschlossen wird, und es hat keine politische Dimension», lässt er durch seinen Sprecher ausrichten.

7. Februar 2022
Olaf Scholz und Joe Biden stehen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Weissen Haus Journalisten Rede und Antwort.

Biden wird gefragt, wie es mit Nord Stream weitergehe, falls Russland in die Ukraine einmarschiere. Er antwortet wörtlich: «Wenn Russland zum Beispiel mit Panzern und Truppen die Grenze zur Ukraine überquert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben.»

Auf die Zusatzfrage «Wie genau machen Sie das?», das Projekt stehe schliesslich unter der Kontrolle Deutschlands, sagt Biden: «Ich verspreche Ihnen: Das werden wir schaffen.»

Scholz fügt hinzu: «Wir stehen da zusammen. Wir sind hier absolut einer Meinung. Wir unternehmen die gleichen Schritte. Wir werden eine harte Reaktion gegenüber Russland fahren.»

22. Februar 2022
Zwei Tage vor dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine erklärt Scholz, er habe das Bundeswirtschaftsministerium gebeten, die nötigen verwaltungsrechtlichen Schritte zu unternehmen und eine Zertifizierung der Pipeline zu verhindern. «Und ohne diese Zertifizierung kann Nord Stream 2 ja nicht in Betrieb gehen.»

26. September 2022
Nachdem bereits seit dem Sommer kein Gas mehr durch Nord Stream geflossen ist, detonieren in der Nacht von Sonntag auf Montag und dann im Laufe des Vormittags drei der insgesamt vier Pipeline-Stränge.

Olaf Scholz meldet sich am Montagmorgen mit der Diagnose «Corona mit leichten Symptomen» für eine Woche vom politischen Tagesgeschäft ab.

4. November 2022
Die Fraktion der AfD fragt im Bundestag nach Erkenntnissen zu den Urhebern des Anschlags, genauso wie die Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht das vorher schon in einem Brief ans Justizministerium gemacht hatte.

Das Ministerium verweist darauf, dass das Informationsinteresse des Parlaments «hinter dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse zum Schutz der laufenden Ermittlungen» zurücktreten müsse. Eine Auskunft «würde konkret weitergehende Ermittlungsmassnahmen erschweren oder gar vereiteln».
Die AfD erhält auf sechzehn ihrer detaillierten Fragen keine Antwort. Darunter etwa auf die Frage, ob der russische Energiekonzern Gazprom als Hauptgeschädigter an den Untersuchungen beteiligt ist und welche deutschen Ermittlungsbehörden eingeschaltet seien.

3. März 2023
Der US-Investigativ-Journalist Seymour Hersh hat vor kurzem eine Geschichte veröffentlicht, in der er darlegt, dass die USA den Anschlag auf Nord Stream ausgeführt haben.

Olaf Scholz reist an diesem Tag nach Washington – zum ersten Mal völlig ohne Pressetross. Es sei um Fragen zum Krieg in der Ukraine, zu Waffenlieferungen, Bildung, Fachkräftemangel, Rente und medizinischer Versorgung in ländlicher Region gegangen, sagt Scholz nach seiner Rückkehr.

7. März 2023
Die New York Times veröffentlicht zwei Tage nach Scholz’ Abreise aus Washington eine Geschichte, wonach Spuren der möglichen Attentäter in die Ukraine weisen.

In Deutschland kommen ARD und Die Zeit zeitgleich zu den gleichen Ergebnissen und berufen sich dabei auf Erkenntnisse deutscher Ermittler.

Scholz’ Parteifreund Verteidigungsminister Boris Pistorius warnt jedoch davor, diese Ergebnisse für bare Münze zu nehmen. Sie könnten auch eine bewusst falsche Spur sein.