Seit über zehn Jahren kämpft Erwin Sperisen gegen die Schweizer Justiz. Im August 2012 wurde der ehemalige Polizeichef von Guatemala mit Schweizer Wurzeln in Genf verhaftet, weil er 2006 an einem Gefängnismassaker in seiner neuen Heimat beteiligt gewesen sein soll.

Mehrmals wurde Sperisen in Genf aufgrund von völlig widersprüchlichen Aussagen aus Gutaemala verurteilt – mal soll er eigenhändig Gefangene erschossen haben, dann soll er sich bloss an einer Verschwörung beteiligt und andere vorgeschickt oder vielleicht auch nur gedeckt haben. Irgendwie, irgendwann, irgendwo – was genau passiert sein soll, liess sich nie sauber rekonstruieren.

Bloss: Alle vermeintlichen Mitverschwörer wurden im Ausland längst freigesprochen. Sperisen müsste sich mit sich selber verschworen haben. Doch die Genfer Justiz mochte Sperisen nicht laufen lassen. Sie hätte ihm für die unschuldig erlittene Haft einen Millionenbetrag bezahlen müssen.

Auch wenn wir nicht wissen, was Sperisen genau verbrochen haben soll, mögen sie sich gesagt haben: Ein Polizeichef aus einer zentralamerikanischen Bananenrepublik ist niemals unschuldig.

Am Schluss verurteilte die Genfer Justiz Sperisen, weil er den in Österreich längst freigesprochenen ehemaligen Kommandanten Javier Figueroa gedeckt haben soll. Zu fünfzehn Jahren Gefängnis. Das Bundesgericht deckte den Entscheid.

Der Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg hat das Willkürurteil nun aufgehoben. Die Begründung: Die Genfer Gerichtspräsidentin Alessandra Cambi Favre-Bulle war befangen. In einem Haftentscheid hatte sie das Urteil, welches schon vor dem Prozess feststand, bereits angekündigt.

Zur Hauptfrage hat sich Strassburg nicht geäussert: Kann ein Beschuldigter dafür bestraft werden, dass er einen rechtkräftig des Mordes Freigesprochenen deckte? Mit der Befangenheit der Präsidentin wird das ganze Urteil hinfällig.

Die Schweiz kann das Verdikt vor der Grossen Kammer in Strassburg anfechten. Die Alternative wäre ein neuer Prozess gegen Sperisen in Genf mit einer vollständig neuen Besetzung.

Die dritte Option wäre ein Verzicht auf beides. Damit würde die Schweiz allerdings anerkennen, dass Erwin Sperisen Opfer eines Justizverbrechens geworden ist. Und man müsste sich fragen, wie so etwas möglich war – nicht in einer fernen Bananenrepublik, sondern am schönen Genfersee, irgendwo zwischen Lausanne und Genf.

Was auch immer entschieden wird: 2024 muss Erwin Sperisen so oder so freigelassen werden.

Weil er dann, ob schuldig oder nicht, seine Haft verbüsst hat.