Weltwoche: Andreas Burgener, der motorisierte beziehungsweise elektrifizierte Individualverkehr läuft nicht mehr so störungsfrei. Wo orten Sie die grössten Hindernisse?

Andreas Burgener: Das ist aber schon seit Jahren so. Als ich 1986 die Technische Hochschule verliess, war gerade die Erdölkrise das grosse Thema, gefolgt vom Waldsterben, und davon war immer direkt die Mobilität betroffen. Aber mit innovativen Lösungen konnte man dem immer begegnen. Es kamen der Katalysator und effizientere Motoren. Mobilität ist kein Heilsbringer mehr – zumindest in Politik und Medien. Aber der Mensch hat das Rad erfunden, weil er vorwärtskommen will, und Mobilität ist ein Wachstumstreiber.

Weltwoche: Worunter leidet die Mobilität, politisch gesehen?

Burgener: In den rot-grünen Städten möchte man das Auto nicht mehr. Wir müssen uns also überlegen, mit welchen Lösungen wir da profitabel dabei sein können. Velos und Trottinetts sind es bisher sicher nicht, damit verdient niemand Geld. Was wären also andere gute Lösungen?

Weltwoche: Sagen Sie es mir.

Burgener: Vermutlich ist es das Leichtfahrzeug, das kleiner und zweckmässig motorisiert ist. Solche Wege müsste man wohl angehen. Vielleicht ist es aber innerstädtisch auch eine grosse Rolltreppe wie am Flughafen. Möglicherweise auch auf zwei Etagen, dann können auf der oberen Ebene die Velos fahren. Mir fehlen in der Diskussion etwas die innovativen Ansätze. Den mantraartig wiederholten Dreisatz des Städteverbandes – vermeiden, verlagern, verträglich gestalten – kann ich nicht mehr hören. Das ist eine überholte Lehre, die aber alle Verkehrsplaner herunterbeten.

Weltwoche: Die Politik möchte Elektroautos, die meisten Hersteller liefern wie gewünscht. Ist das die Lösung?

Burgener: Zuerst kamen ja die CO2-Zielwerte, das war noch ein vernünftiger Ansatz. Aber dass die Politik Technik vorschreibt oder gar verbietet, ist falsch. Batterieelektrische Antriebe generieren zum Beispiel ganz neue Herausforderungen: Es braucht ein stabiles Netz und genügend Energie – beides ist zurzeit nicht vorhanden. Wir stellen also fest, dass die Verwaltung und die Politik vieles nicht zu Ende denken. Es fehlt die Weitsicht. Für den urbanen Raum sind Plug-in und Elektrisch eine gute Lösung, die Industrie hat so viel Geld in Forschung und Entwicklung da hineininvestiert, dass das funktionieren muss.

Weltwoche: Sie kennen sich im politischen Bern aus, wie schätzen Sie die Stimmung in Bezug auf das Auto ein?

Burgener: Bei den Produkten folgt man der EU, wir übernehmen die meisten Vorschriften. Aber abstruse Ideen, wie ein vorzeitiges Verbot für Verbrennungsmotoren, funktionieren in der Schweiz zum Glück nicht.

Weltwoche: Könnte sich das demnächst ändern?

Burgener: Ich glaube nicht, zum einen haben wir Wahlen im Herbst, und in der Pandemie haben alle gemerkt, dass der motorisierte Individualverkehr schon seine Berechtigung hat und sogar systemrelevant ist. In der Schweiz werden in normalen Jahren über 300 000 Fahrzeuge verkauft. «Gott sei Dank, gibt es den Kunden», sage ich gern. Am Ende entscheiden sich die Leute, die planbar von A nach B fahren möchten, für eine Lösung, die ihren Bedürfnissen entspricht.

Weltwoche: Europa ist die einzige Grossregion der Welt, die batterieelektrische Antriebe vorzieht und andere Technologien mit Verboten belegen will. Was sind die Vorteile, was die zu befürchtenden Nachteile dieser Politik?

Burgener: Es gibt schon gewisse Vorteile: Man schränkt Forschung und Entwicklung ein, so können die Hersteller sich fokussieren. Das hat man beim Glühbirnenverbot gesehen, und das muss in Betracht gezogen werden. Aber ich bin dafür, das Ziel und nicht den Weg vorzugeben. Der kleine, innovative und unkonventionelle Hersteller Mazda hat beispielsweise gerade einen neuen Dieselmotor mit elektrischem Drehmomentwandler als Mild-Hybrid entwickelt. Das ist äusserst sparsam und funktioniert überall auf der Welt. Es weiss ja zum Beispiel niemand, ob die heutigen Berechnungen für die Null-Gramm-CO2-Belastung von Elektroautos beibehalten werden. Vielleich kommt man plötzlich auf die Idee, graue Energie bei der Herstellung der Batterien miteinzubeziehen, dann sieht die Rechnung ganz anders aus. Und niemand spricht über das Netz, das einfach noch nicht ausgelegt ist für eine weitreichende Elektrifizierung des Strassenverkehrs. Man spricht zwar immer von «smart grids», intelligenten Stromnetzen, aber davon sind wir weit entfernt.

Weltwoche: Welches ist die beste Technologie Ihrer Meinung nach?

Burgener: Dass Hybrid-Technologien – die Mischung aus Elektro- und Verbrennerantrieb – die beste Idee sind, beweist die Formel 1, wo man möglichst schnell, effizient und mit möglichst wenigen Boxenstopps ans Ziel kommen will.

Weltwoche: Sind die Kunden von Elektrofahrzeugen schon überzeugt?

Burgener: Der Markt wächst, aber vor allem im Premiumbereich. Und angesichts der Strommangellage vermute ich, dass viele Kunden die Investition in ein E-Auto im Volumenbereich noch verschieben, bis sie das Gefühl haben, das Problem sei gelöst.

Weltwoche: Wer in der Schweiz elektrisch fährt, stellt immerhin fest, dass öffentliche Ladestationen ausreichend vorhanden sind. Oder sehen Sie hier noch Nachholbedarf?

Burgener: Ich habe gerade 15 000 elektrische Kilometer in sechs Monaten gemacht. Ich lade zu Hause und am Arbeitsplatz mit 11 oder 22 kW langsam und batterieschonend. Das kann ich aber nur als stolzer Einfamilienhausbesitzer. Um aber die CO2-Ziele zu erreichen, braucht es Volumenmodelle, und die werden von Mietern gekauft. Dieses Problem ist ungelöst. Öffentliche Parkplätze an Strassenlaternen, wo man laden könnte, werden abgebaut. Wenn man wirklich Elektromobilität will, braucht es mehr Herzblut von Bund, Kantonen und Gemeinden, aber auch Investoren, Pensionskassen und Vermieter müssen an einem Strick ziehen.

Weltwoche: Welche Rolle spielt dabei eigentlich der Strompreis?

Burgener: Das ist die ganz grosse Frage: Wenn ich für eine Kilowattstunde über einen Franken bezahle, ist das ein grosses Hindernis für die Elektromobilität.

«Wir erwarten von der neuen Führung im Uvek schon, dass sie hier aufs Gas steht.»Weltwoche: Auto-Schweiz fordert vom Bundesrat, elektrische Neuwagen von der 4-Prozent-Importsteuer zu befreien. Warum eigentlich?

Burgener: Wir halten die Importsteuer grundsätzlich für ein Unding. Sie wurde von einem Einfuhrzoll zu einer Steuer umetikettiert. Dann will man sie für gewisse CO2-arme Kategorien wieder streichen. Immerhin ist dieser Verzicht auf die Steuer die einzige Förderung für die Verbreitung von neuen und in der Entwicklung teuren Antriebstechnologien. Gerade wenn man mehr elektrische Volumenmodelle möchte, kann das für den Verkaufspreis ein entscheidender Faktor sein.

Weltwoche: Die Zuwanderung in die Schweiz ist nach wie vor stark – mehr Menschen brauchen mehr Platz, mehr Strassen, Wirtschaftswachstum will man ausserdem. Ist die Infrastruktur noch auf der Höhe der Bedürfnisse der Leute im Land?

Burgener: Die Verkehrsfläche muss vergrössert werden, denn Stau ist die ultimative CO2-Schleuder. Man muss sich nur überlegen, was es bedeutet, ein schweres Nutzfahrzeug mit vierzig Tonnen zu stoppen und wieder in Fahrt zu bringen. Die Engpassbeseitigung auf den Strassen ist essenziell. Die Programme wurden lange eingebremst. Schliesslich hat die Schweiz darüber abgestimmt, und wir erwarten von der neuen Führung im Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation schon, dass sie hier aufs Gas steht.

Weltwoche: Gemäss den Statistiken von Auto-Schweiz ist der Markt im ersten Quartal um 8 Prozent gewachsen, aber viele Hersteller und Importeure kämpfen noch mit Lieferengpässen. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Burgener: Im Vergleich zu den Zahlen von 2019 hinken wir hinterher. Die Zeiten sind aber auch turbulent – Bankenkrise, Krieg, Inflation –, deshalb ist die Nachfrage noch nicht auf der Höhe wie vor der Corona-Krise. Die Hersteller können zwar liefern, aber das sind oft um aufgelaufene Bestellungen. Es braucht einen positiven Blick in die Zukunft, um sich für die Investition in ein privates Fahrzeug zu entscheiden.

Die 3 Top-Kommentare zu "«Stau ist die ultimative CO2-Schleuder»: Andreas Burgener, Direktor von Auto-Schweiz, über Verkehrskonzepte, Mobilitätslösungen und mangelnde Weitsicht in Politik und Verwaltung"
  • dario.zuffo

    Das Beste, was das Auto hinten rauslässt, ist das CO2 Gas. Sie glauben mir nicht? Müssen Sie auch nicht. Orientieren Sie sich bitte selber, bei richtigen Klima-Wissenschaftern. Nicht bei Klima-Computer-Menschen. Klima-Computer-Modelle haben noch nie richtige Daten hervorgebracht. In der Vergangenheit und auch in der näheren Gegenwart nicht.

  • Chrüütlibuur

    Was heisst hier CO2 Scheuder? Bei 0.000001% des globalen CO2 Anteil? Da braucht es viel Fantasie, mittels 0.000001% den Planeten zu retten. David gegen Goliath sind Giganten im Verhältnis dazu. Wissen und Glauben beginnt heute bereits mit den Pädagoginnen im Vor-Kindergarten. Zudem machen die meisten Parlamentarier ihre Arbeit nicht, da sie sich nicht in das Thema einlesen. Ausser Stande eine kritische Frage zu stellen, folgen Sie den Streichlisten der Lobbyisten bei Abstimmungen.

  • gonzo der grosse

    Billiges Auto Leasing ist eine der CO2 Schleudern. Würde man allen Privaten das Leasing kündigen könnten sich längst nicht mehr so viele ein Auto leisten. Das gilt auch für E Autos. Man kann nicht Wirtschaftswachstum, Umsatz, hohe Renditen und Wohlstand haben und eine CO2 freie Welt. Dies geht nicht auf