Die Querelen um die Nachfolge von Hans-Ulrich Bigler, dem kämpferischen Direktor und ehemaligen Nationalrat, haben einen brisanten Hintergrund: Er und sein jahrelanger Vize-Direktor Henrique Schneider haben zusammen mit dem früheren Präsidenten, dem ehemaligen SVP-Nationalrat Jean-François Rime, aus dem Gewerbeverband wieder das gemacht, was er früher einmal war: einen Verband, der die Interessen der KMU aus dem Gewerbe bis hin zu den Kleinbetrieben im Finanzsektor vehement vertritt.

So kämpft der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) seit Jahren gegen die wachsende Bürokratie, die Regulierungsflut, höhere Steuern und Abgaben (SRF-Zwangsgebühren) und den wachsenden Staat. Er setzt sich ebenso intensiv für unser duales Bildungssystem mit hochwertigen Berufslehren ein.

ESG-, Gender- und andere Modetrends sind für die Gewerbler hingegen lediglich neuer Ballast. Der SGV vertrat bisher aber auch eine kritische Haltung gegenüber internationalen Verträgen wie das institutionelle Abkommen mit der EU, weil er eine Unterstellung unter ausländische Gerichte und die Übernahme von EU-Recht und Bürokratie ohne demokratische Mitsprache ablehnt. Noch konsequenter stellt er sich gegen die EU-Anschlusspläne in den Chefetagen der Grosskonzerne.

Mit dieser Haltung eckt der SGV bei Economiesuisse an. Dieser Verband vertritt vor allem die Grosskonzerne und verfolgt oft andere Interessen. Deshalb möchte Economiesuisse den SGV unter ihre Fittiche nehmen und ihn zusammen mit anderen Wirtschaftsverbänden einer Art Wirtschafts-Oberholding unterstellen, die dann mit einer Stimme, jener der Grosskonzerne, spricht. Die Unterstellten hätten dann die Politik dieser Oberholding zu befolgen oder zumindest nicht in Frage zu stellen.

Mit persönlichen Attacken auch aus den eigenen Reihen gegen Henrique Schneider, die zu einem Widerruf seiner Wahl zum Direktor führten, sollte wohl die erfolgreiche Ära des Führungsteams Bigler-Schneider und weiterer Mitglieder an der Verbandsspitze beendet werden. Sie dürften nach und nach mit Leuten ersetzt werden, die die Eigenständigkeit des Gewerbeverbandes nicht bis aufs Letzte verteidigen.

Die «Säuberung» der SGV-Spitze von Mitkämpfern der früheren Führung ist in vollem Gange. Wenn die Gewerbler nicht erkennen oder erkennen wollen, wohin sie geführt werden, dann müssen sie sich später nicht wundern, wenn sie wieder in die politische Bedeutungslosigkeit zurückfallen. Der SGV hat keine Bevormundung durch Manager der Grosskonzerne nötig, denn er ist ja mit seinen 230 Verbänden, die rund 500.000 KMU, 99,8 Prozent aller Unternehmen in unserem Lande, vertreten, selbst die grösste Dachorganisation der Schweizer Wirtschaft.

Viele der Konzernmanager stammen aus dem Ausland, und ihnen liegt der Standort Schweiz und das Wohlergehen der Gewerbe- und Kleinhandelsunternehmen nicht gleichermassen am Herzen wie dem SGV, denn die Schweiz stellt für sie oft nur einen Kleinmarkt dar, wo «zufälligerweise» auch die Konzernzentrale ansässig ist. Stattdessen drohen sie immer wieder mit Abwanderung, wenn ihnen etwas nicht passt. Die KMU können ihre meist auf die lokale Kundschaft ausgerichteten Betriebe hingegen selten ins Ausland verlegen. Sie müssen mit den hiesigen Rahmenbedingungen zurechtkommen.

Bereits heute stellt sich die Frage, unter welchem Hut eigentlich Vorstandsmitglieder des SGV (Bauwirtschaft, Gastgewerbe) agieren, die gleichzeitig auch im Vorstand der Economiesuisse und des Arbeitgeberverbandes Einsitz haben. Ebenso erstaunt, dass der neue Präsident des SGV, Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi, in der Rangliste der Gewerbe-freundlichsten Bundesparlamentarier nur auf Rang 86 liegt. Wo bleibt da die Vorbildfunktion, wo die Führungsstärke? Oder zeigt diese abgeschlagene Platzierung, dass ein politischer Kurswechsel innerhalb des SGV bereits stattgefunden hat und damit der Weg für eine Unterstellung unter eine Wirtschafts-Oberholding vorgepfadet ist?