Hast du es nötig, Tiere zu essen? Oder ist das dein Mann, der dir das vorschreibt, weil ihm ohne das Fleisch der Penis abfällt?» Ich hatte vergangenen Sommer das Vergnügen, Bekanntschaft mit einer Gruppe Veganern zu machen. Meine Verfehlung war, ein Steak genüsslich zu grillieren und das Video auf meinem Instagram-Kanal zu posten. Das Reel lief nicht schlecht; das lag nicht an den Fleischfressern unter meinen Abonnenten, sondern an den zahlreichen Kommentaren liebenswürdiger Veganer, welche bestimmt mit zuckenden Bewegungen ihres Körpers geschrieben worden sind und die dem Clip zum Aufschwung verhalfen. Sie waren ausnahmslos sachlich und überzeugend.

«Würdest du auch Menschenleichen grillen, wenns schmecken würde?» «Ekelhaftes Verhalten! Hör auf, Tiere zu verspotten, sie auszubeuten und töten zu lassen!» «Wie kommt man auf die Idee buchstäblich Leichen zu essen von Tieren, die nicht ermordet werden wollten?» «Was zur Hölle legst du da die Leichenteile eines fühlenden Individuums auf deinen Grill? Wieso bist du brutal statt vegan?» «Ist doch toll für 10 Minuten Spass am Essen ein Lebewesen zu vergewaltigen, auszubeuten und dann zu ermorden, oder? Tamara Wernli, gib uns deine Milch und nen Finger!» «Man kann nicht für Rechte von Frauen sein und dafür andere weibliche Tiere schwängern, des Kindes berauben und danach für Steak töten. Was ist daran feministisch?»

Mein persönliches Glück ist, dass ich nicht im Zeitalter der Hexenverfolgung lebe, sonst könnten Sie, liebe Fleischesser, Vegetarier und Veganer, diese Kolumne heute nicht lesen. Ich grübelte eingehend, was ich angesichts meiner Schuld tun sollte – mich sofort umbringen oder mich «den eigenen Dämonen stellen», wie es von mir verlangt wurde.

Mein persönliches Glück ist, dass ich nicht im Zeitalter der Hexenverfolgung lebe.

Ich hätte einwerfen können, dass ich Veganismus grundsätzlich für eine gute Sache halte und die Gesellschaft dazu zu bringen, die Behandlung von Tieren zu überdenken, als wichtiges Anliegen sehe. Ich war sogar einmal Veganerin für eine Woche. Im Youtube-Selbstexperiment (für ein veganes Shake-Unternehmen) erfuhr ich, wie es ist, sich sieben Tage nur von Flüssignahrung zu ernähren. Ein Kilo Gewichtsabnahme und bessere Cholesterinwerte waren die Folge. Ist Veganismus die Nahrung der Zukunft? Ich weiss es nicht. Unbestritten ist, dass sie einen viel geringeren CO2-Fussabdruck als Fleischkonsum hinterlässt und auch günstiger ist. Der Film «Cowspiracy» (2014) war mein Augenöffner, er thematisiert den Einfluss der Viehwirtschaft auf die Umwelt; seither esse ich weniger Fleisch, dafür bewusster.

Unter dem Gesichtspunkt, dass mein Vokabular nichts enthält, was ihrem Vokabular auf Augenhöhe entsprochen hätte, und meine Meinung sowieso nicht erlaubt gewesen wäre, entschied ich mich schweigend für Deeskalation.

Aktivisten können nichts dafür, dass ihnen eine gewisse Sachlichkeit abgeht. Egal, ob Klima oder Tierwohl, ob Strassenblockaden oder blutverschmierte Auftritte auf dem Samstagsmarkt, Provokation gehört zur Performance, sonst schaut keiner hin. Das Schlimmste wäre für diese Leute, wenn die Menschheit tatsächlich vegan werden würde, wen würden sie dann den ganzen Tag als Mörder und Vergewaltiger anbrüllen?

Nur glaube ich, es ist fair, zu sagen, dass extreme Denk- und Ausdrucksweisen niemanden überzeugen. Man darf davon ausgehen, dass ein Steak-Liebhaber nicht weniger Fleisch isst, weil Veganer von ihm fordern, es gänzlich bleiben zu lassen. Wer regelmässig Billiggeflügel aus Brasilien kauft, wird seinen Konsum nicht hinterfragen, weil er als Tierschänder bezeichnet wird. Wer das Tierwohl nicht ernst nimmt, wird nicht plötzlich auf artgerechte Haltung achten, nur weil Veganer sich für die besseren Menschen halten. Egal in welche Richtung, militante Geisteshaltungen machen es einem immer leicht, sie samt ihrem (im Kern wichtigen) Anliegen zu ignorieren. Mord und Vergewaltigung sind nicht mehr steigerungsfähig, warum soll man da noch hinhören?

Man muss sich aber auch nicht getriggert fühlen. Auf Insta fragte noch jemand, wieso ich einer berühmten Veganerin bei Youtube nicht «Rede und Antwort stehen» würde, ich sei wohl zu feige. Wie soll man auch vernünftig erklären, dass das Verhältnis zu den eigenen Dämonen eben ein freundschaftliches ist.