Als er am Dienstagmorgen, mit einer halben Stunde Verspätung, vor die Mikrofone der Bundeshausmedien trat, da war ihm anzusehen, dass die letzten Tage ihm zugesetzt hatten. Stehend und auf seine sympathisch holprige Art verlas er seine Rücktrittserklärung. Und dann das: Plötzlich hielt Johann Schneider-Ammann inne, blickte in die Runde, ein Lächeln huschte über sein Gesicht: «Wenn Sie mich jetzt fragen, wie es mir geht – es geht mir gut. Ich bin wach», witzelte er.

Es war eine Anspielung auf Presseartikel, die über ihn in den letzten Tagen erschienen waren. Der Wirtschaftsminister döse manchmal einfach weg, berichtete der Tages-Anzeiger. Neu war das nicht, schon vor Jahren waren seine zeitweiligen Aussetzer ein Thema. Schneider-Ammann jettete munter weiter von einer Ecke der Welt in die andere, von Termin zu Termin – als wolle er damit alle Lügen strafen. Jetzt aber, fand er, sei der richtige Moment für den Rücktritt, weil mit der Digitalisierung ein neues Zeitalter angebrochen sei. Eine Begründung, der man die Originalität nicht absprechen kann.

«Doppeltes Frauenticket»

Normalerweise äussern sich abtretende Bundesräte nicht über mögliche Nachfolger, das gilt in Bundesbern als schlechter Stil. Aber während der Rücktrittspressekonferenz liess Schneider-Ammann den Satz fallen: «Eine Nachfolgerin täte gut.» Eine Nachfolgerin? Man weiss nicht genau, ob er dabei an die St. Galler Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter gedacht hat, der er vor acht Jahren die Tour vermasselt hatte. Aber egal, wen er im Kopf hatte, der Wirtschaftsminister hat damit die Frauenfrage erst recht lanciert. Dabei traute sich schon jetzt kein Parlamentarier mehr, die Anwartschaft einer Frau auf den frei werdenden Bundesratssitz in Frage zu stellen. Auch Politiker wie CVP-Präsident Gerhard Pfister und SVP-Präsident Albert Rösti nicht, selbst wenn sie geschlechtsneutrale Kriterien formulieren.

Warum muss es unbedingt eine Nachfolgerin sein? Wenn man der Waadtländer SP-Ständerätin Géraldine Savary diese Frage stellt, bekommt man als Antwort eine Gegenfrage: «Warum nicht?» Die FDP habe seit dem Rücktritt von Elisabeth Kopp, dem ersten weiblichen Mitglied der Landesregierung, keine Frau mehr in den Bundesrat gebracht. Es sei jetzt an der Zeit, dass sich das ändere. Dafür sorgen auch die FDP-Frauen mit ihrer rührigen Präsidentin Doris Fiala, die gleich eine lange Liste mit möglichen Kandidatinnen präsentiert: Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter (St. Gallen), Parteipräsidentin Petra Gössi (Schwyz), die Zürcher Regierungsrätin Carmen Walker Späh (Zürich) oder Nationalrätin Regine Sauter, Direktorin der Zürcher Handelskammer. Und damit es später, wie dies bei der Wahl von Schneider-Ammann geschehen sei, keine bösen Überraschungen gibt, fordern die FDP-Frauen vorsorglich ein «doppeltes Frauenticket». Von Männerkandidaturen, wie man sie beispielsweise vom früheren Bündner Regierungsrat und derzeitigen Ständerat Martin Schmid erwarten könnte, hört man gar nichts.

Früher hiess es: «Kann die das?»

Das macht es für FDP-Parteichefin Petra Gössi nicht leichter. Sie sieht an diesem Dienstagmorgen nicht aus, als sei der Rücktritt von Schneider-Ammann schon von langer Hand vorbereitet worden. Sie sagt im Vorbeigehen aus heiterem Himmel: «Ich bin übrigens die Petra.» Und dann noch: «Jetzt müssen wir die Nachfolgeregelung sauber aufgleisen.» Die FDP orientierte am Mittwoch nach Redaktionsschluss über das Auswahlverfahren.

Am Dienstagnachmittag stolzierte Karin Keller-Sutter etwas geschäftig und in auffälligem Kleid durch die Wandelhalle des Nationalrates. Hier sieht man die Ostschweizerin in letzter Zeit eher selten, seit sie die Sitzungen des Ständerates leitet. Einer spöttelt prompt: «Kommt sie nun, um sich zu präsentieren oder um der Rede von Ständerätin Liliane Maury Pasquier zu lauschen, der neuen Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates?»

Nach ihrer Niederlage 2010 wollte Keller-Sutter von einer weiteren Kandidatur nichts mehr wissen. Aber seit den letzten Wahlen muss sie sich umbesonnen haben, jedenfalls reihen sich in Zeitungen und Zeitschriften seither Porträts an Porträts über die Wilerin, stets mit dem Hinweis, mit ihr müsse man dann rechnen. Nur, konkret gesagt hat sie bisher noch nicht, ob sie trotz ihrer früheren Absage wieder ins Rennen steige. Und sie macht es auch jetzt spannend. «Heute ist der Tag der Würdigung unseres Bundesrats Schneider-Ammann», lässt sie ausrichten. Sobald die Partei das Verfahren festgelegt habe, werde sie Gespräche «mit meiner Familie und meinem Umfeld führen» – und den Entscheid zu gegebener Zeit kommunizieren.

Es ist aber zurzeit ohnehin die Frauenfrage, die Politiker in Bern umtreibt, mehr als konkrete Namen. Früher tönte es bei Frauenkandidaturen so: «Kann die das?» Zum Beispiel vor zwölf Jahren vor der Wahl von Doris Leuthard in den Bundesrat. Heute tönt es anders: «Ich will der FDP keine Vorschriften machen. Aber ich gehe davon aus, dass sie eine Frau bringt. Die Partei hat ausgewiesene Kandidatinnen», weiss SP-Nationalrat Cédric Wermuth. Eine dieser ausgewiesenen Kandidatinnen, Keller-Sutter, war 2010 bereits im Rennen – aber die SP hat dann Schneider-Amman gewählt.

Macht man das jetzt wieder so? Fraktionschef Roger Nordmann setzt sein gewohntes Lausbubengesicht auf und sagt nur: «Warten wir ab, was die FDP uns da vorsetzen wird.» Die grüne Nationalrätin Sibel Arslan rechnet vor: «51 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind Frauen. Die Frauen sind also mit aktuell zwei Bundesrätinnen in der Landesregierung untervertreten.» Natürlich stelle sich dann auch die ökologische und die soziale Frage. SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger findet dagegen: «Ob Frau oder Mann, das ist mir egal.» Der Druck sei aber schon gross, eine Frau anstelle von Schneider-Ammann zu wählen, sagt der CVP-Nationalrat Benjamin Roduit.

Es kann teuer werden

Dabei könnte man einmal ganz ohne Aufregung eine «Milchbüchleinrechnung» anstellen, was die Frauenpower der Schweiz bisher konkret gebracht hat. Nehmen wir das AKW-Unglück in Fukushima 2011. Zu diesem Zeitpunkt sassen mit Micheline Calmy-Rey, Doris Leuthard, Eveline Widmer-Schlumpf und Simonetta Sommaruga vier Frauen im Bundesrat. Diese vier Frauen drückten unter dem Diktat von Leuthard und Calmy-Rey den Ausstieg aus der Atomenergie durch – und bekamen dafür zuerst viel Applaus. Die direkte Folge davon war das Regulierungsmonster Energiestrategie 2050. Die Umsetzung wird die Kantone in Zukunft vor grosse Herausforderungen stellen und vor allem das Leben der Menschen in diesem Land massiv verteuern, durch höhere Mieten, höhere Heizkosten, höhere Stromtarife und so weiter. Es bringt auch eine Unmenge an neuen Vorschriften und noch mehr Bürokratie. Bundesrätin Doris Leuthard gilt als erfolgreiche Magistratin, weil sie die meisten ihrer Abstimmungen gewonnen hat. Man kann diese Bilanz aber auch etwas anders sehen: Sie hat alle Schweizerinnen und Schweizer ein bisschen ärmer gemacht. Ihr Amt befindet über Bahn, Strasse, Energie, Raumplanung, Telekommunikation und über die früheren Bundesbetriebe Post, SBB und Swisscom. Leuthard hat allen alles versprochen, aber das geht nicht unbedingt immer auf: eine neue Bahninfrastruktur – dafür werden die Pendler zur Kasse gebeten und die Fahrkartentarife steigen. Bessere Strassen – dafür steigen die Benzinkosten. Besseres Fernsehen – dafür steigen die Gebühren. Weniger Atomstrom – dafür steigen die Stromkosten.

Auch Justizministerin Sommaruga (SP) gibt das Geld der Steuerzahler mit vollen Händen aus – für zusätzliche Asylzentren in der Schweiz, für die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden, die in vielen Fällen Wirtschaftsflüchtlinge sind und sofort in ihr Heimatland zurückgeführt werden müssten. Unter ihrer Ägide haben sich die Asylkosten von 1,2 Milliarden auf 2,4 Milliarden Franken verdoppelt.

Die BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, um ein drittes Beispiel zu nennen, hat als Finanzministerin in vorauseilendem Gehorsam gegenüber internationalen Organisationen wie der OECD das Bankgeheimnis beerdigt. Die Kosten für die Schweiz sind auch in diesem Fall hoch.

«Und was haben uns die Bundesräte gekostet?», stellt Benjamin Roduit die Gegenfrage, ohne speziell einen Magistraten zu nennen. Fairerweise muss man sagen, dass auch männliche Bundesräte sich während ihrer Amtszeit nicht gerade mit Ruhm bekleckerten. Es ist ein bisschen wie bei Schiller: «Drum prüfe, wer sich ewig bindet, / Ob sich das Herz zum Herzen findet. / Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang.»