Seit wann er Vorsitzender der Geschäftsleitung der Emil Frey Gruppe ist, weiss Gerhard Schürmann nicht mehr so genau. Das sei vor zwanzig Jahre geschehen und wurde ihm bei einem Mittagessen bei -Patron Walter Frey eher beiläufig mitge-teilt. Es habe dies damals auch noch -niemand wissen dürfen, sagt er lachend. Seit 28 Jahren arbeitet Schürmann für das Unternehmen und hat in dieser Zeit die -Expansion in eine Reihe europäischer -Länder miterlebt und mitgestaltet.

Weltwoche: Herr Schürmann, wie viel Emil Frey steckt heute noch in der Emil Frey?

Gerhard Schürmann: Einhundert -Prozent! Sie sehen ja, der Brief an die -«geehrte Kundschaft» hängt hier an der Wand. Wir geben uns grosse Mühe, die Werte der Firma und der Familie jedem Mitarbeiter zu vermitteln. Denn nur wenn sie diese Werte kennen, können sie ihren Auftrag erfüllen.

Weltwoche: Und wie macht man das, wie vermittelt man solche Werte?

Schürmann: Das ist eigentlich ganz einfach: indem sich die Familie engagiert. -Walter Frey sitzt jeden Tag in seinem Büro. Jeder Kadermitarbeiter muss einmal im Jahr sein Budget präsentieren, und das wird -zusammen mit Walter Frey besprochen und ist wie ein Vertrag zwischen der Firma und dem Mitarbeiter. Wichtig ist auch, dass nicht die Geschäftsleitung das Budget vorgibt, sondern dass die Verantwortlichen dieses selbst vorlegen. Die Ziele, die sie erreichen wollen, geben sie sich selbst vor.

Weltwoche: Und das reicht?

Schürmann: Ein wichtiger Teil der Firmenkultur ist, dass die Mitarbeiter das Gefühl erhalten, dass die Familie sich für sie einsetzt und dass sie nicht bloss eine -Nummer unter vielen sind. Und das erreicht man natürlich nur durch Vorbild und den Tat-beweis. Ein Familienunternehmen braucht das Engagement der Familie. Nur Aktien zu halten, reicht da nicht.

Weltwoche: Stimmt es, dass jeder Mitarbeiter diesen Brief bei Stellenantritt ausgehändigt bekommt?

Schürmann: Nach Ablauf der Probezeit, wenn das Arbeitsverhältnis gewissermassen regulär beginnt, erhält jeder Mitarbeiter ein kleines Paket, darin befinden sich -dieser Brief und ein Pin mit dem Rad-Logo der Emil Frey. Ich trage den Pin selbst mit Stolz.

Weltwoche: Als Sie zum CEO ernannt wurden, spielte es da eine Rolle, dass Sie die Werte der Familie in besonderer Weise vertreten?

Schürmann: So genau weiss ich das nicht . . . Aber es hat sicher eine Rolle gespielt, dass Walter Frey den Eindruck hatte,  dass ich die Werte, die ihm wichtig sind, teile.

Weltwoche: Welche Werte aus dem Brief von 1935 stehen für Sie im Zentrum?

Schürmann:  Das ist klar: Emil Frey, -Fachmann, Service, den Kunden «prompt und gewissenhaft» zu bedienen.  Mit -diesen Stichworten ist alles gesagt. Wenn sich ein Mitarbeiter daran hält, hat er schon alles -erfüllt, was wir von ihm erwarten.

Weltwoche: Dass die Firma jetzt schon ziemlich gross ist, spielt dabei keine Rolle?

Schürmann: Die Grösse ist nur das Ergebnis der guten Arbeit, sie ist nicht das Ziel.

Weltwoche: Aus dem Brief von Emil Frey spricht eine gewisse Bescheidenheit.

Schürmann: Es ist wie in einem Restau-rant: Wenn man hineinkommt und das Gefühl erhält, der -Kellner sei eigentlich -wichtiger als der Gast, stimmt etwas nicht. Man kann dem Kunden nur eine gute Dienstleistung -erbringen, wenn man einen Servicegedanken hat und nicht überheblich ist. Emil Frey unterschreibt den Brief als -«Mechaniker», nicht als Chef oder so.

Weltwoche: Als Verantwortlicher einer Firma mit europaweiter Aktivität: Wie fällt Ihre Bestandesaufnahme zum Zustand der Welt und der Automobilbranche insbesondere aus?

Schürmann: Das eine ist, dass der Mensch sich nicht so schnell verändert, wie man in den Zeitungen lesen kann. Es ist richtig, dass wir vorwärtskommen wollen, aber das geht nicht so schnell. Das -andere ist, dass die Menschen, unsere Kunden, Mobilität -brauchen. Das stimmt mich zuversichtlich und macht mir keine Sorgen.

Weltwoche: Was macht Ihnen Sorgen?

Schürmann: Vielleicht, dass die -Politik mehr und mehr versucht, den Leuten zu sagen, was richtig und falsch ist und wie sie leben sollen: bei der Mobilität, bei der Ernährung, bei der Art zu wohnen. Man sollte die -Entscheidung den -Kunden überlassen, das ergibt die effizientesten -Lösungen. Der Mensch optimiert sich selbst, davon bin ich überzeugt.

Weltwoche: Hat der Erfolg der Emil Frey auch etwas zu tun mit dem -Bekenntnis zur individuellen Mobilität?

Schürmann: Der Erfolg beruht auf Bodenständigkeit, -konservativen Werten, Servicegedanken und moderner Grundhaltung: Wir haben die modernsten Arbeitsinstrumente, ohne dass wir das an die -grosse Glocke hängen. Und wir sagen unseren Mitarbeitern, «ihr verkauft ‹-Freyheit›». Da -existiert ein Zusammenhang.

Weltwoche: Die Elektrifizierung des -Verkehrs geht nicht so schnell voran, wie Politiker gerne hätten. Woran liegt das?

Schürmann:  Die Entwicklung von Technologie braucht Zeit. Bis man bei jedem Haus in der Stadt und erst recht auf dem Land sein Auto laden kann, braucht es vermutlich zwei Generationen – fünfzig, sechzig Jahre. Ich bin für Technologie-offenheit. Der Kunde soll aus verschiede-nen umweltfreundlichen Antrieben den für seinen Bedarf besten auswählen.