Es sei eine Frage des politischen Willens. Das bekommt zu hören, wer bezweifelt, dass erneuerbare Energien allein die Versorgung sicherstellen können. Wind und Sonne, dazu ein paar Speicher – das sei technologisch längst ausreichend, damit das Licht nicht ausgehe. Deutschland etwa plant seine Energiezukunft völlig ohne Gas-, Kohle- und Atomkraftwerke.

Doch es ist in Wirklichkeit anders als gedacht. Es gibt bis heute keine einzige Gebietskörperschaft – sei es eine Insel, ein Bezirk oder ein Teilstaat –, in der die Energieversorgung ausschliesslich mit Solar- und Windkraftanlagen funktioniert. Das ist beunruhigend, denn wie soll im Grossen klappen, was schon im Kleinen nicht aufgeht?

 

Insel-Experiment

In den letzten Jahren gab es aber eine Reihe von Ankündigungen, eine bestimmte Insel sei nun autark und werde sich fortan mit erneuerbaren Energien versorgen. Dazu zählt Pellworm, eine kleine deutsche Insel in der Nordsee mit gerade mal 1200 Bewohnern. Vor zehn Jahre startete dort ein Experiment, um der Welt zu zeigen, wie segensreich Wind- und Sonnenstrom angeblich seien.

Pellworm produzierte damals schon reichlich Strom mit Fotovoltaikanlagen und Windturbinen. Allerdings fehlte der «Pfuus» jeweils während der berüchtigten Dunkelflauten. Darum musste die Insel regelmässig über ein Seekabel Strom vom Festland beziehen. Der Energiekonzern E.ON und der deutsche Staat nahmen nun stattliche zehn Millionen Euro in die Hand, um das zu ändern: Sie stellten auf der Insel grosse Batteriespeicher auf und statteten die Haushalte mit Smartmetern aus, um den Stromverbrauch steuern zu können – für über 8000 Euro pro Bewohner.

Die Medien waren des Lobes voll. Von einer «Blaupause für ganz Deutschland, vielleicht sogar für die ganze Welt», war gar die Rede. Aber es funktionierte nicht. Zwar konnte Pellworm dank den Speichern fortan 97 Prozent des Verbrauchs durch erneuerbare Energie decken. Aber bei ungünstiger Witterung war die Insel weiterhin auf Notstrom vom Festland angewiesen.

2017 hielt ein Abschlussbericht fest, dass man nochmals gleich viel Geld wie bisher in die Hand nehmen müsste, um Pellworm tatsächlich energieunabhängig zu machen. Aber das wäre katastrophal unwirtschaftlich gewesen.

Ähnlich verlief die Geschichte der Kanareninsel El Hierro. 2014 verkündeten Medien wie die NZZ, die spanische Insel mit rund 10 000 Bewohnern sei bald «unabhängig». Es handle sich um das weltweit erste Eiland, das in Kürze «komplett emissionsfrei» sei.

 

Zu wenig Strom

Anlass für die Zuversicht war die Eröffnung von fünf Windparks und einem angeschlossenen Pumpspeicherwerk, das Meerwasser auf eine Höhe von 700 Metern hochbrachte. Die Hoffnung war, mit der so gespeicherten Energie die Dunkelflauten zu überstehen und unabhängig von fossiler Energie zu werden. Bis dahin hatte El Hierro den Strom teilweise von einem alten Dieselkraftwerk bezogen.

Aber auch hier ging es schief: Die Windräder produzierten zu wenig Strom. Die Pumpspeicherung war gar um den Faktor zwanzig zu klein dimensioniert worden. Wie sich zeigte, konnte der erneuerbare Strom den Bedarf der Insel nur zu 45 Prozent decken. Folglich blieb das Dieselkraftwerk am Netz.

Das Gleiche scheint sich auf der Nachbarinsel La Gomera zuzutragen. Auch von dieser Kanareninsel hiess es im letzten Frühling, die «komplett nachhaltige Energieversorgung» sei dank der Inbetriebnahme von Windrädern erreicht. Im Sommer aber hatte die Insel während dreier Tage keinen Strom, weil es im Dieselkraftwerk El Palmar gebrannt hatte. Offenbar ist dieses fossile Kraftwerk weiterhin für die Versorgung zuständig. Energiewunder dauern eben meist etwas länger.

 

Alex Reichmuth ist Redaktor beim Nebelspalter.