Sie sind die dienstälteste Vogue-Chefredaktorin, nicht wahr?» – «Ja, ich habe meine Stelle einen Monat länger als Anna Wintour [Chefin der amerikanischen Vogue]; meine ­erste Ausgabe erschien im Juli 1988, ihre im September.» – «Was ist Ihr Rezept für diese lange Laufbahn?» – «Ich weiss nicht, ich bin immer Risiken eingegangen, Sicherheit war mir nie besonders wichtig. Am Anfang haben meine Chefs sich wahrscheinlich überlegt, mich rauszuwerfen, weil ich mich nicht an die [im Konzern geltenden] Regeln hielt; ich war kontrovers, aber nicht mit Absicht, sondern weil ich das durchzog, was mir gefiel. [«Fotostrecken der furchtlosen Chefin schockieren und flössen Ehrfurcht ein», Wall Street Journal.]Es ist so, dass ich mich nie sehr ernsthaft nur um Mode gekümmert habe. Mich haben immer Bilder mehr interessiert. Dafür habe ich hart gearbeitet: neue Fotografentalente zu finden. Mein Talent ist, Talente zu erkennen.»

Franca Sozzani ist Chefredaktorin von Vogue Italia; neben der monatlichen Ausgabe, in der es um Damenmode geht, ist sie auch verantwortlich für die Männer-, Schmuck-, Braut- und Kindermodeausgaben, die mehr oder weniger häufig erscheinen. Unter ihr ist die Vogue Italia – von Vogue gibt es in über zwanzig Ländern eigene Ausgaben – wohl zu der Zeitschrift geworden, die am wenigsten, wie man sagt, serviceorientiert ist. Sie liefert eher selten Tipps, was man kommende Saison anziehen soll, bildet dagegen Stimmungen ab, die für sie im Augenblick wichtig sind; während viele italienische Designer tragbare, also sich verkaufende Mode entwerfen, macht die Chefin der italienischen Vogue eigentlich ein Magazin, das marktfern ist, fast mehr Kunst- als Modeheft. Andererseits hat sie einige der zurzeit erfolgreichsten Fotografen entdeckt und bekannt gemacht: Peter Lindbergh, Bruce Weber, Paolo Roversi, Craig McDean oder Tim Walker. Sozzani ist geschieden und hat einen erwachsenen Sohn, sie lebt in Mailand. Das Gespräch, das auf Englisch geführt wurde, fand statt in dem von ihr gestalteten Duplex-Apartment im Hochhaus «Hard Turm Park» in Zürich-West.

«Sie sind Tochter einer grossen Mailänder Familie; Ihre Schwester Carla [Galeristin und Betreiberin von 10 Corso Como, dem Concept Store] hat gesagt, es wäre nicht das Ende der Welt gewesen, falls die Geschäfte nicht gelaufen wären . . . War das auch Ihre Haltung, als Sie Vogue-Chefin wurden?» – «Genau, ich meine, ich nahm alles schon ernst, aber ich sagte immer: ‹Sie können mich höchstens rauswerfen.›» – «Ihre Vogue, denke ich, funktioniert, weil das italienische Publikum eine Lockerheit hat, was Mode angeht.» – «Wahrscheinlich, es ist eine gute Überlegung. Aber ich will alle ansprechen, nicht nur die Branche in Italien; Italienisch wird nur in Italien gesprochen, meine Muttersprache, die ich liebe, setzt enge Grenzen. Darum setze ich auf Bilder – wir verkaufen 40 Prozent der Auflage im Ausland. Wenn man ein Magazin macht wie Vogue, muss man nicht Service anbieten, auch wegen des Internets. Vogue soll visionär sein, nicht sagen, wie man den Ehemann zurückgewinnt oder schön aussieht und abnimmt. Wen interessiert’s, ob man diese Saison Rot oder Grün trägt? Heute geht’s um Stil.» – «Baz Luhrmann, der Regisseur, hat getextet: ‹Lesen Sie keine Beauty-Magazine, Sie werden sich danach bloss hässlich fühlen.›» – «Haha, ja, Baz ist ein Freund, er ist witzig. Und er hat recht. Aber es kommt auf die Haltung der Leserin an.» – «Lesen Sie Beauty- oder Modehefte?» – «Nein, ich mag Interior-Magazine. Und Bücher.»

«Gehen Sie gern einkaufen?» – «Ja.» – «Was passiert, wenn Sie in Mailand in ein Kleider­geschäft treten?» – «Die Angestellten glauben es kaum, weil sie denken, ich könnte alles gratis haben, ich müsste nur den Designer anrufen. Aber ich kaufe mehr in New York und Paris ein, dort hab ich mehr Zeit.» – «Und warum lassen Sie nicht Samples liefern, gratis?» – «Wenn ich einkaufe, bin ich nicht mehr Chefredaktorin, sondern eine Frau und zahlende Kundin. Dann kaufe ich nur, was mir steht. Und ich will niemandes Testimonial sein.» – «Was hat sich am meisten geändert in den vergangenen 25 Jahren, seit Sie Vogue-Chefin sind?» – «Damals war Mode etwas für relativ wenig Leute, heute ist es ein globales Geschäft. Und jeder kann sich Mode leisten.» – «Eine Frage über Mode: Welches Stück muss die stilvolle Frau für diesen Winter haben?» – «Den Mantel eines Mannes, auf feminine Art getragen.» (Sie trug einen Mantel aus Pythonhaut über dem Arm.)

Ihr Lieblingsrestaurant: «Ich mag am liebsten die ­japanische Küche, neben der italienischen natürlich.»
Trattoria «Torre di Pisa», Via Fiori Chiari, 21, Mailand, Tel. +39 02 87 48 77