Sie sind nicht bekannt dafür, Polterer zu sein, doch jetzt reden sie Klartext: die beiden ­Finanzdirektoren der Kantone Zug und ­Zürich, Heinz Tännler und Ernst Stocker. «Fairness und Gerechtigkeit werden mit ­Füssen getreten», sagt Tännler. Solidarität sei keine Einbahnstrasse. «Der Bogen ist überspannt. Die Situation ist nicht mehr tragbar», warnt Stocker. Die Rede ist vom Nationalen ­Finanzausgleich (NFA) zwischen Bund und Kantonen, einem hochkomplexen Milliarden-Umver­teilungssystem, welches die Unterschiede ­zwischen ­armen und reichen Ständen aus­gleichen soll. Eine Art freundeidgenös­sischer Entwicklungshilfe.

Der Unmut der ressourcenstarken Kantone richte sich nicht gegen den NFA an sich, betont Heinz Tännler. Es gehe vielmehr darum, die gravierendsten Mängel im System zu beseitigen.

Dazu zählt vor allem das Problem der so­genannten Überdotation (siehe Grafik unten rechts). Bund und Geberkantone bezahlen nämlich zu viel, viel zu viel. Und jetzt nimmt diese Last noch einmal zu: 2017 wird die «Überdotation» 771 Millionen Franken be­tragen, also mehr als eine Viertelmilliarde.

Kanton Bern erhält 1,287 Milliarden

Was «zu viel bezahlen» heisst, ist genau de­finiert: Die Ausgleichsleistungen orientieren sich an der Ressourcenstärke der einzelnen Kantone. Die ressourcenschwachen Stände ­haben den gesetzlichen Anspruch auf eine «Mindestausstattung» von 85 Indexpunkten, wobei 100 den Durchschnitt markiert. Wer ­darunterliegt, bekommt Geld von jenen Kantonen, die überdurchschnittlich wirtschaften. Dieses Ziel von 85 Punkten ist allerdings mehr als erreicht: Selbst der Jura, der ärmste Kanton der Schweiz, wird 2017 auf 87,8 Indexpunkte angehoben – per Parlamentsbeschluss (wir kommen darauf zurück). Im laufenden Jahr liegt dieser Wert bei 87,3. Jeder Jurassier erhält damit im nächsten Jahr via Finanzausgleich 2247 Franken vom Bund und von den Geberkantonen. In absoluten Grössen profitiert der Kanton Bern am stärksten. Im laufenden Jahr erhält er 1 265 062 000 Franken, 2017 steigt der Betrag gar auf mehr als 1,287 Milliarden.

Eigentlich haben sämtliche Kantone das ­Malaise erkannt. Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) hatte nämlich eine politische Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des ­ehemaligen Schwyzer Regierungsrats Franz Marty beauftragt, Empfehlungen zur «Optimierung des Finanzausgleichs» zu erarbeiten. Diese Arbeitsgruppe war paritätisch zusammengesetzt, mit je drei Vertretern der Geber- und der Nehmerkantone. Ihre Empfehlungen wurden einstimmig verabschiedet.

Erhebliche Mängel

In ihrem Bericht, welcher der Weltwoche vorliegt, entdeckte die Arbeitsgruppe tatsächlich erhebliche Mängel in der Architektur des ­Finanzausgleichs, denen sie mit konkreten Massnahmen begegnen will. Das Kernpro­blem illustriert die Tabelle «Reaktion auf unterschiedliche Entwicklungen des Ressourcen­potenzials». Einfach ausgedrückt, liegt der Missstand darin, dass sich veränderte finanzielle Bedingungen in den Kantonen nicht ­adäquat in veränderten Zahlungen niederschlagen. Das Ziel eines Ausgleichs zwischen ärmeren und reicheren Kantonen wird deshalb verfehlt.

So zeigt etwa das Szenario 1 in der Grafik, dass die Geber über 200 Millionen Franken mehr ­bezahlen müssen, wenn das Ressourcenpotenzial auf Geber- und Nehmerseite je um fünf Prozent steigt. Dies, obwohl sich die Unterschiede («Disparitäten»), auf deren Reduzierung das System ja angelegt ist, nicht verändern.

Ein weiteres Beispiel liefert das Szenario 3. Wenn sich die Lage der Geber um fünf Prozent verbessert, aber diejenige der Nehmer sich gleichzeitig um fünf Prozent verschlechtert, erhöhen sich die Zahlungen an die schwachen Kantone «nur» um knapp 82 Millionen Franken. Die Disparität nimmt also um zehn Prozent zu, dennoch steigen die Auszahlungen viel weniger als in Szenario 1, in dem die Unterschiede gleich bleiben.

Verteilung entpolitisieren

Diese Beispiele zeigten, so das Fazit der ­Arbeitsgruppe, «dass der heutige Ressourcenausgleich nicht konsequent auf die Veränderung der Disparitäten ausgerichtet ist».

Die Arbeitsgruppe empfiehlt deshalb einen «neuen Modus».

Bisher legte die Bundesversammlung alle vier Jahre die Ausgleichssummen fest. Doch in dieser Zeit kann sich die Finanzlage der einzelnen Kantone verändern – das ist der Grund, weshalb es jetzt zu massiven Überdotierungen kommt. In anderen Jahren wiederum erhielten die schwächeren Kantone zu wenig Geld. Das soll sich nun ändern: Neu soll die Ausgleichssumme jährlich, gestützt auf den aktuellen Ressourcenindex, berechnet werden. Damit würden die Geldflüsse entpolitisiert – im Parlament findet jeweils ein grosses Feilschen statt – und an die realen Verhältnisse ge­koppelt.

Diese neue Regelung liege «im Interesse ­aller Kantone», betonen die Verfasser: «Die ressourcenschwachen Kantone können sich auf eine garantierte Mindestzahlung verlassen. Die ressourcenstarken Kantone andererseits wissen, dass ihre Einzahlungen für den Ressourcenausgleich vom Ausgleichsbedarf abhängig sind und keinen anderen Einflüssen mehr unterliegen.» Schliesslich sei diese ­Lösung auch für den Bund «berechenbar und einfacher zu vollziehen».

Weiter empfiehlt das Gremium, die garantierte Mindestausstattung des schwächsten Kantons von 85 auf 86 Prozent des schweizerischen Durchschnitts zu erhöhen. Dies wäre ein deutliches Entgegenkommen der Geberkantone.

Durch weitere Massnahmen sollen die Anreize verstärkt werden, so dass sich die bedürftigen Kantone aus der Abhängigkeit befreien. Durch eine progressive Berechnungsmethode flösse ein möglichst grosser Teil der Ausgleichssumme den schwächsten Kantonen zu. Je mehr sich ein Kanton aber dem schweizerischen Mittel von 100 Indexpunkten nähere, desto weniger Unterstützung solle er erhalten, um «möglichst aus eigener Initiative» seine Leistungsfähigkeit zu verbessern. Es ist ein bisschen wie bei der Sozialhilfe: Der Schwellen­effekt drückt manche Fürsorgebezüger in die Abhängigkeit, weil sie mehr Geld vom Staat erhalten, als wenn sie arbeiten würden.

Der Auftrag der Konferenz der Kantons­regierungen an die Arbeitsgruppe unter Präsident Franz Marty geht von der Absicht aus, «möglichst alle Kantone geschlossen für eine Optimierung des Finanzausgleichs zu gewinnen». Die Arbeit der Gruppe habe gezeigt, so schreibt diese in ihrem Fazit, dass dieses Ziel nur zu erreichen sei, wenn sich die Geber und Nehmer aufeinander zubewegten. Deshalb unterbreite die Arbeitsgruppe «eine kohärente Lösung, die auf einen Ausgleich ausgerichtet ist und gleichzeitig die verfassungsmässigen Vorgaben respektiert». Die präsentierte Lösung sei «als Ganzes zu würdigen», weil alle Empfehlungen miteinander verbunden seien und «voneinander getrennt kaum mit Erfolg verfochten werden» könnten. Eine gemeinsame Haltung zur Verbesserung des Finanzausgleichs stärke «den Föderalismus und die ­Zusammenarbeit zwischen den Kantonen».

Streit hinter den Kulissen

Mitglieder der hochkarätigen Arbeitsgruppe waren neben Franz Marty die Staatsräte Serge Dal Busco (GE) und Maurice Tornay (VS) sowie die Regierungsräte Martin Gehrer (SG), Peter Hegglin (ZG), Barbara Janom Steiner (GR) sowie Ernst Stocker. Doch obwohl das paritätisch aus Gebern und Nehmern zusammengesetzte ­Gremium die Empfehlungen einstimmig verabschiedete, ist hinter den Kulissen ein heftiger Streit entbrannt. Verschiedene Kantone hintertreiben die vorgeschlagene Lösung, die ökonomisch wie politisch vernünftig ist und auf beiderseitigen Kompromissen beruht.

Widerstand kommt nicht etwa nur von den traditionell ressourcenschwachen Kantonen aus der Romandie, sondern von mehreren Deutschschweizer Ständen. Die Regierungsräte Jakob Stark (TG), Roland Brogli (AG), ­Roland Heim (SO) und Rolf Widmer (GL) stellen sich quer. In einem Brief an die Arbeitsgruppe Marty mit Kopie an die Konferenz der Kantonsregierungen und die Finanzdirektorenkonferenz vom 13. Juli 2016 schreiben sie zwar, sie ­seien in vielen Zielen mit ihnen einig, insbesondere dem Hauptziel, eine Lösung zu finden, der alle Kantone zustimmen könnten. Doch obwohl jetzt ­eine solche Lösung auf dem Tisch liegt, torpedieren sie diese: Es spreche «kaum etwas dafür, die Zahlungen an die Nehmerkantone zu kürzen». Die vorgeschlagenen Reformen seien «schlicht nicht akzeptierbar», grenzten an «Willkür» und hätten «in den betroffenen ­Kantonen grosse Sparprogramme und sofortige Steuererhöhungen zur Folge», heisst es im Schreiben, das auf Papier der Thurgauer Regierung in Frauenfeld verfasst ist. Federführend ist also SVP-Mann Jakob Stark, der Parteikollege von Heinz Tännler und Ernst Stocker.

Die beiden haben für diese Obstruktions­politik kein Verständnis. «Die nehmen einfach ­unser Geld», sagt Heinz Tännler. «Das ist un­anständig.» Tatsächlich sind die jährlichen Zahlungen des Kantons Zug in den Finanzausgleich seit 2008 von 180 auf 341 Millionen Franken gestiegen – ein Wachstum von 89 Prozent. Im selben Zeitraum stieg der Ressourcenindex lediglich um 23 Prozent. Auch aufgrund dieser Schieflage des Systems überweisen die Zuger pro Kopf 3000 Franken an andere Kantone. Während der Kanton Zug ein Sparprogramm nach dem andern durchziehe und immer mehr in den nationalen Finanzausgleich einzahle, seien gewisse Nehmerkantone nicht bereit, ihre Strukturen zu hinter­fragen, so Tännler.

Ins selbe Horn stösst auch Ernst Stocker. Der Finanzchef des grössten Schweizer Kantons, der absolut am meisten Geld in den NFA pumpt, hielt sich lange zurück. Doch jetzt ­reiche es auch ihm. Stocker verweist auf die harten Sanierungs- und Leistungsprogramme. Dennoch zahle der Kanton Zürich allein im kommenden Jahr fast 100 Millionen Franken zu viel in den NFA ein. Das sei «nicht nichts» in der Haushaltsbilanz des Kantons Zürich, zumal zusätzlich Einbussen durch die Unternehmenssteuerreform III anstünden.

Es steht ein heisser Herbst bevor. Die Geduld der Geber, die erwiesenermassen zu viel geben, ist am Ende. Und die Profiteure – wie die Kantone Thurgau, Aargau, Solothurn und Glarus – sind nicht bereit, auf ihre Privilegien zu verzichten. Auf Anfrage der Weltwoche sagt der Thurgauer Finanzdirektor Stark, er stelle keinen Kompromiss nachträglich in Frage und könne sich «schlicht nicht vorstellen», dass die Geberkantone ihm öffentlich vorwürfen, die innereidgenössische Solidarität zu gefährden. Es würden weitere Diskussionen geführt, um einen «gemeinsamen Weg» zu finden.

Die Mehrheitsverhältnisse sind allerdings knapp: Für eine Lösung braucht es die Zustimmung von achtzehn Kantonen. Wird bis Ende Jahr keine Einigung erzielt, hat das weitreichende Konsequenzen: Es geht nämlich um die nächste Vierjahresperiode – und damit um Hunderte von Millionen Franken, die ohne Verbindung zur finanziellen Realität von den Gebern zu den Nehmern verschoben werden.