Wahr oder unwahr, ist für einmal unerheblich – zu schön ist die Anekdote, um nicht erzählt zu werden: Der britische Schriftsteller Martin Walker sitzt im Vorzimmer des Oval Office im Weissen Haus und wartet darauf, ein Interview mit Bill Clinton zu führen. Seine Frau Julia ruft ihn an und sagt, sie habe soeben das Traumhaus im französischen Périgord gefunden; er müsse nur noch dem Preis zustimmen. Da geht die Tür zum Oval Office auf; der Präsident erwartet ihn. Walker flüstert hastig «Yes» ins Mobiltelefon.

«Ich mag keine kaputten Typen»

Das war gut so, ohne Clinton-Besuch hätte Walker nach einigem Nachdenken den Preis vielleicht als zu hoch empfunden und nein gesagt. Darauf ist der Mann im Périgord angekommen und schreibt nun Buch um Buch. Soeben ist sein zehnter Kriminalroman, «Revanche», herausgekommen. Protagonist ist wiederum der Polizist Bruno Courrèges, ein unscheinbarer Ermittler, der gerade deswegen liebenswürdig ist und eine gewaltige Anhängerschaft fesselt. «Ich mag keine kaputten Typen», sagt Martin Walker, «meine Leser wollen das nicht, und meine Leserinnen schon gar nicht.» Er ist gegenwärtig auf Platz eins der Schweizer Bestsellerliste.

Walker weilt jetzt gerade nicht im Périgord, sondern sitzt im lauschigen Garten des Zürcher Hotels «Florhof» und schlürft eine Art Holundersaft von schwerdefinierbarer Farbe. Dazu erklärt er den Charakter ebenjenes unscheinbaren Ermittlers, dessen Wesen anscheinend unergründlicher ist, als man a prima vista meinen könnte. «Er ist ein moderner Mann und liebt starke Frauen, die für ihn unerreichbar sind.» Da ist vor allem seine grosse Liebe Isabelle, die im Pariser Innenministerium Karriere macht und für Bruno nach einem leidenschaftlichen Sommer weit weg ist. «Das ist das Dilemma von Männern heutzutage», sagt Walker und meint damit, «dass intelligente Frauen als Partnerinnen für viele nicht in Frage kommen, weil sie keine Familie wollen und somit eine feste Beziehung scheuen.» Das sei in seiner Jugend anders gewesen. Der 71-jährige Walker ist seit vierzig Jahren mit seiner Frau Julia zusammen, die den Hauskauf im Périgord getätigt hat.

Walker arbeitete während Jahren für die britische Tageszeitung Guardian als Korrespondent in Moskau und Washington. Er rapportierte aus den Kampfzonen im Nahen Osten. «Im Irak musste ich aus einem Panzerfahrzeug berichten.» Später wechselte er zur Nachrichtenagentur United Press International und dann zum amerikanischen Think-Tank A. T. Kearney, für den er heute noch tätig ist. Der gebürtige Schotte von der entlegenen Hebrideninsel Barra lebt nun in Washington, D. C., im Londoner Stadtteil Fulham und in einem Dorf im Périgord, das als Saint-Denis in seinen Kriminalromanen Niederschlag gefunden hat.

In diese Bücher packt er so ziemlich das gesamte Zeitgeschehen. Er schüttelt es wild durcheinander und zieht daraus Erzählstränge, die er raffiniert verwebt. In «Revanche» stürzt eine Frau vom Gemäuer einer mittelalterlichen Burg der Tempelritter zu Tode. Der Ort ist geschichtsträchtig: Von dort aus zogen die Christen zu den heiligen Stätten nach Palästina.

Landjäger Bruno wird bei den Ermittlungen eine Kollegin vom französischen Justizministerium zugeteilt, die beobachten soll, wie die Gendarmerie in der Provinz bei der Arbeit vorgeht. Zuerst ist er misstrauisch, schliesst aber die dunkelhäutige Begleiterin nach und nach ins Herz.

Gutes Essen, feine Weine, Rugby

Bei der zu Tode gestürzten Frau handelte es sich um eine israelische Friedensaktivistin. Sie könnte einem mittelalterlichen Testament der Templer auf der Spur gewesen sein, das belegen soll, dass der Islam nie einen historischen Anspruch auf Jerusalem erhoben hatte, zumal die Stadt im «Koran» nicht namentlich erwähnt sei. Gleichzeitig treiben angeblich islamistische Terroristen ihr Unwesen im Périgord und lösen eine Grossfahndung aus. Obendrein ist in diesem Krimi immer wieder die Rede von Missbrauchsfällen, die eine lusche Kinderpsychiaterin gegenüber den Behörden einklagt. Neben alledem wird einem gefesselten Mittelalter-Dozenten das beste Stück angesengt. Polizist Bruno findet das alles zwar fürchterlich, lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen und geht neben den Ermittlungen weiter seinen Liebhabereien nach: gutem Essen, feinen Weinen, Rugby und vor allem der Jagd.

Wem diese inhaltlichen Ingredienzen ein bisschen zu viel sind, der kann immer wieder durchatmen, wenn Walker von der französischen Küche und den lokalen Weinen schreibt. Im neuen Roman findet sich etwa das Rezept für eine Fischsuppe und ein Blanquette de veau, also ein Kalbsragout mit Reis, sowie für Birnen an Gewürzwein zum Nachtisch. Dazu lässt er seinen Helden eine Flasche Bergerac Rosé vom Château Haut Garrigue und einen regionalen Weissen der Kellerei Pierre Desmartis kredenzen. «Ich wundere mich immer wieder, wie wenig Niederschlag das Essen und das Trinken in der Literatur finden», sagt Walker, «dabei ist der Genuss für die meisten zentral im Leben.» Er selbst jedenfalls zelebriert die raffinierte Küche geradezu und versichert etwas treuherzig, er habe jedes Rezept selbst gekocht. Bei genauerem Nachfragen stellt sich heraus, dass vor allem seine Frau Julia die Spitzenköchin ist und ihn jeweils auf neue Errungenschaften mit den Töpfen aufmerksam macht.

Unglücklicher Labour-Wähler

Matin Walker kann stundenlang über Küche und Wein reden. Was die erlesenen Tropfen angeht, fühlt sich der Autor seinem Helden am nächsten: «Nach ein, zwei Gläschen schreibt es sich am leichtesten», lächelt er, bleibt aber beim Holundersaft.

Noch leichter fällt es ihm allerdings, über Politisches zu diskutieren, oder besser: über Politiker herzuziehen. «Ich bin ein traditioneller Labour-Wähler» sagt er, «aber die kann man ja nicht mehr unterstützen, seit Jeremy Corbyn Parteivorsitzender ist.» Er kenne Corbyn seit vielen Jahren: «Der Mann hat seit 1968 keine einzige neue Idee mehr, und so einer will politischer Führer sein.» Der schüchterne Hinweis auf die Konservativen als Alternative bringt Walker schier aus der Fassung: «The fucking Tories», japst er zwei-, dreimal hintereinander und zählt atemlos sämtliche Sünden auf, die ihnen seit David Cameron zu Recht oder zu Unrecht vorzuwerfen sind. Vom Brexit hält der bekennende Europäer Walker gar nichts und von der EU nicht viel mehr, «zumindest im jetzigen Zustand nicht». Der Mann ist politisch nicht leicht zufriedenzustellen.

Dafür macht er sich seine Gedanken über die Zukunft. Im Roman «Germany 2064» beschrieb er vor zwei Jahren Süddeutschland im Zeichen der künstlichen Intelligenz: Seine Vision ist erstaunlich optimistisch. So entwickelt sich der Roboter Roberto von einem mechanischen Helfer zu einem empathischen Wesen, das den Menschen emotional beisteht. Walker kam bei seinem Irakeinsatz 2003 auf diese Idee, als er die Beziehung zwischen Soldaten und Sprengstoffrobotern beobachtete. Walker ist allerdings nicht nur euphorisch, was die technische Entwicklung angeht. Er befürchtet, dass sich die Menschen immer weniger respektiert fühlen, wenn sie im Schatten der technologischen Entwicklung stehen. Zumal diese bedrohlich sein kann, wie die als Waffen eingesetzten Drohnen belegen.

Wenn Walker von seiner Gedankenwelt berichtet, könnte man ihm stundenlang zuhören. Er ist der begnadete Erzähler, und man ist nie ganz sicher, ob er seine Geschichten wirklich glaubt oder einfach sehr schön findet. Was sie tatsächlich sind.

Dabei kann ihn ein Thema plötzlich langweilen. So schwenkt er von der Zukunft unvermittelt zur Heimat: «Ich fühle mich überall zu Hause», sagt er etwas salopp. Zürich findet er toll, aber die Hebrideninsel Barra am Ende der Welt stehe ihm doch «irgendwie sehr nahe». Er fährt regelmässig dorthin, um seinen Familienspuren nachzugehen, wenn er nicht gerade an einem seiner drei Wohnsitze weilt. Einer, der so viel durch die Welt kesselt, findet kaum Zeit zum Schreiben, sollte man meinen: «Macht mir gar nichts, ich kann überall schreiben – im Zug oder Flugzeug.» Dann hält er einen Moment inne und fügt bescheiden an: «Wir reden ja hier nicht von der Literatur eines Dostojewski.»

 

Martin Walker: Revanche. Diogenes. 432 S., Fr. 29.90