Die Älteren unter den Lesern können sich vielleicht noch an Werbung erinnern, in der das Produkt im Zentrum stand. Kameraschwenk über das exquisite Sofa mit all seinen Vorzügen, Bier, das in Grossaufnahme golden ins Glas sprudelt und die Kehle vor lauter Lust austrocknet. Die angepriesene Ware oder Dienstleistung – mehr braucht es nun wirklich nicht – scheint heute ein Auslaufmodell geworden zu sein. Vermehrt rückt in der Gestaltung aktueller Werbespots das Produkt in den Hintergrund, dafür die moralische Botschaft des Unternehmens in den Vordergrund. Die Metaebene ist immer dieselbe: Wir sind gut, wir vertreten die richtigen Werte. Man will Progressivität demonstrieren, in alle gängigen Richtungen: Diversität, sexuelle Orientierung, Klima, Natur. «The message» ist auch in der Werbung der Renner. Wetten, dass wir allein durch das Ansehen des Werbeblocks zu besseren Menschen werden?

Der tugendhafte Auftritt in der Öffentlichkeit ist in allerlei Sparten zu beobachten: Energie, Versicherung, Möbel, Kleidung. Die Spots könnten alle von der gleichen Agentur stammen – gut, mal trägt das Model eine glitzerige Hose, oder im Hintergrund steht ein Stuhl. Auf die Idee, dass hier ein Stuhl beworben wird, kommt man aber nur, wenn man den Spot bis ans Ende verfolgt und das Firmenlogo erscheint.

In einem Bier-Werbespot wird uns die Wichtigkeit des Naturschutzes vorgeführt; zwei Männer trinken Bier auf der Bergwiese, dem einem windet es ein Plastiksäckchen davon, er springt ihm rasch nach. In der Kampagne eines Möbelherstellers ist ein Mädchen mit seinen Gspänli sportlich unterwegs, Müll, den es auf der Strasse entdeckt, hebt es eilig auf, um ihn zu Hause korrekt zu entsorgen. Ein Online-Modeversandhändler zelebriert in seinen Spots vom richtigen Lifestyle über Hilfsbereitschaft bis hin zu Diversität alles Mögliche, Kleidung wird zur Nebensache.

Wenn ein Mann seinem davonfliegenden Abfall nachrennt, ist das natürlich unheimlich sympathisch. Vielleicht verbessert ja Bierwerbung, die die Meta-Information enthält, dass Plastikmüll einsammeln wichtig ist, den Zustand der Umwelt. Konsumenten mit falschen Wertvorstellungen werden durch Versicherungsfirmen, die uns in aufwendigen Werbekampagnen erklären, wie moralisch einwandfrei sie sind, zu besseren Menschen. Und was die Klamotten betrifft: Es gibt viele Leute wie mich, die sich nicht allabendlich vertiefte Gedanken zu Toleranz und Diversität machen. Ich finde Diversität und Sensibilität, ganz ernsthaft, gute Anliegen. Und von einer Firma, die Rüschentops herstellt, kann man in Sachen moralischer Verantwortung gewiss dazulernen. Sowieso, es gibt schlimmere Messages als jene zur Verbesserung der Welt.

Nur frage ich mich, ob die «Lebe so, wie du willst!»-Botschaft von Kleiderunternehmen der Mitarbeiterin aus Sri Lanka, die von morgens bis abends Regale zum Mindestlohn einräumt, wirklich zugutekommt. Ob die Unsummen, die für Image-Clips ausgegeben werden – während gleichzeitig die Preise für Konsumenten steigen –, einen Unterschied machen für Menschen, die tatsächlich von Ausgrenzung und Armut betroffen sind. Denn ironischerweise leiden besonders jene unter den hohen Preisen, die die Diversity-Freunde in ihren Clips ja vorgeben zu unterstützen. Nicht wenige empfinden solche Werbeaktivitäten angesichts der aktuellen Krisensituation als Ungleichgewicht.

Möglicherweise ist es nicht allen Unternehmen aufgefallen, aber wir leben in Zeiten von explodierenden Strompreisen, von Inflation, Aktienkurse sind im Keller. Konsumenten ächzen ganz offensichtlich unter den steigenden Preisen – wie also passt diese Imagewerbung, die ständig länger und kostspieliger wird, zur «Wir sind sensibilisiert»-Message? Wenn der Gewinn besagter Unternehmen so hoch ist, dass sie ihn problemlos in Filmchen stecken können, die sich vor allem um moralische Botschaften drehen, heisst das im Grunde nichts anderes, als dass Konsumenten überteuerte Ware bezahlen.

Und es ist ja nicht nur der Spot alleine, der viel Geld kostet, häufig sind ganze Abteilungen und Agenturen involviert. Alle überlegen sich Konzepte, wie man noch mehr Haltung in eine Imagewerbung inkludieren könnte, beurteilen dann unzählige Versionen eines Clips; dem einen ist er dann zu männlich, dem anderen zu wenig divers in Sachen sexueller Orientierung, und der Dritte wirft ein: «Hm, also wir müssen noch etwas für den Klimaschutz reinpacken.»

Ich müsste mich wirklich schwer täuschen, aber der Weg, das Leben von Menschen zu erleichtern, führt eher nicht über «the message» auf Kosten der Konsumenten, sondern, ganz einfach, über einen Preisnachlass. Wer im Namen von Diversity, Toleranz und Umweltschutz einfühlsames Engagement zwecks Rettung der Welt vorgibt, könnte vielleicht einmal in Betracht ziehen, seine Produkte zu vergünstigen. Damit hilft er den Menschen am ehesten, aber auch dem Umweltschutz. Denn wie man so schön sagt: Auch den muss man sich leisten können.

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Die 3 Top-Kommentare zu "Moralische Botschaft"
  • johnnyjohnson

    "Die Metaebene ist immer dieselbe: Wir sind gut, wir vertreten die richtigen Werte. Man will Progressivität demonstrieren," Die Eliten: Zumeist sehr reich.Geld spielt keine Rolle ... man wählt selbstverständlich grün: selbst die Klima-Kids der selbsternannten Eliten haben kein Verständnis; kein Einfühlungsvermögen und deshalb auch keine Empathie für normale Menschen, die für ihren Lebensunterhalt selbst arbeiten müssen. Ich habe solche Leute in meiner Nachbarschaft: weltfremd, arrogant, grün!

  • Felix

    Interessant. Was es doch alles gibt. Ich schau halt aus Prinzip nie Werbung. Wenn ich diese Kolumne lese, kann ich nur von Glück reden.

  • werner.widmer

    Werbematerial, das jeden Tag in den Briefkasten kommt, verlangt sicher 5% Einsatz der arbeitenden Bevölkerung. Aber, wie soll man diese "Kreativen" beschäftigen, damit sie ihren Lebensunterhalt betreiten können? Grüne Landwirtschaft mit Umstechgabel, Carette und Schaufel? Die sind zu schwach (Muskeln).