Die Nachricht seines Todes verbreiteten die Medien einen Tag zu früh – solche Falschmeldungen war Carmine («Mino») Raiola gewohnt, sie gehörten zu seinem Geschäft. Aber dann starb er tatsächlich, und er war doch erst 54, der gefürchtetste und mutmasslich reichste unter den Agenten im Fussballbusiness. Die meisten Nachrufe schilderten ihn als eine Art Folklore-Schlaumeier. Der verschlagene Pizzaiolo, der den Fussballwelthandel unterminierte, der Sepp-Blatter-Feind.

Raiolas Abgang fiel zufällig mit dem Glanz-und-Fall-Drama Boris Beckers (auch er 54) zusammen, hinter dem sich die Eisentore des berüchtigten Wandsworth-Knastes in London schlossen.

Altern im Rampenlicht

Die Hintergrundmusik dazu ist die Melodie des Geldes, die Hymne des Sports. Beide Biografien drehen sich um «Money, Money, Money», wie einst Abba sangen. Raiola wie Becker gelten als Archetypen des modernen Sports. Der Italiener als Raffzahn und Strippenzieher hinter den Kulissen, der deutsche Tenniscrack als charismatisches Wunderkind, dazu verurteilt, im Rampenlicht zu altern, dem alles im Leben verziehen wird aufgrund des Jung-Siegfried-Image, das auf ihn mit siebzehn Jahren als Wimbledon-Sieger projiziert wurde.

Raiola verstrahlte Gefahr für die meist hochverschuldeten Klubs: Er nutzte als erster Manager die Chance, die sich vor einem Vierteljahrhundert mit dem revolutionären sogenannten Bosman-Urteil eröffnet hat, nämlich, dass die Spieler ihren Arbeitgeber selber wählen können und nicht mehr Quasi-Handelsware darstellen. Raiola riet seinen Klienten, ihre Verträge bis zum Ablauf auszusitzen.

Damit entfiel für den bisherigen Klub die Möglichkeit, eine Transfersumme zu erheben. Stattdessen garnierte der Spieler beim Wechsel selber eine Art Antrittsgeld vom neuen Klub. Der Musterfall dieses neuen Geschäftsmodus: Zlatan Ibrahimovic, der mittlerweile 40-jährige Schwede, beglückte als Wanderniere Klubs wie Ajax, Juventus, Inter, Barcelona, Milan, PSG, ManU, Los Angeles Galaxy und nochmals Milan mit seinen Ballkünsten – und natürlich seinen Impresario Raiola.

Nur verzichten die Stars mehr und mehr auch auf die Dienste eines Vermittlers, so bleibt das Geld in der Familie. Wie beim Wechsel Leo Messis von Barça nach Paris, den sein Vater, ein ehemaliger Schulhausabwart, bewerkstelligte mit Hilfe von Vertrauensanwälten.

Raiola hat auch diese Bedrohung erkannt. Er bot von Monte Carlo aus einen full service mit medizinischer, juristischer bis zur praktischen Alltagsberatung, wenn die Wohnung brannte wie bei seinem Sorgenkind Mario Balotelli. Sein Vorteil in diesem von Angebern und Zockern überlaufenen Geschäft: Er tarnte sich mit Bescheidenheit, trug unscheinbare Klamotten, war ein guter Zuhörer und messerscharfer Beobachter, geschult als Aushilfskellner im elterlichen Restaurant in Haarlem. Und er verstand sieben Sprachen.

Nach zwei Semestern gab er sein Jusstudium auf und importierte aus der süditalienischen Heimat Pasta und Schinken. Mit zwanzig war er Millionär. Als Fussballer zu dick, trainierte er die Junioren, wurde Sportdirektor. Bald begann er, Spieler von Ajax Amsterdam zu beraten. In den letzten Jahren verdiente er mit seinem KMU One pro Saison zwischen 80 und 90 Millionen Euro Provisionen.

Brillantester Sololauf aller Zeiten

Die Schicksalsfrage im Leben eines Fussball-Stars: Was kommt danach? In England ermittelte eine Umfrage ein beklemmendes Resultat: Drei von fünf Profifussballern verarmen nach dem Karriereende.

Die Kehrseite: Bewunderte und hofierte Ex-Superstars wie der «Kaiser» Franz Beckenbauer (der die WM 2006 nach Deutschland holte) oder Michel Platini (der Sepp Blatter als Fifa-Präsident zu beerben plante) verstrickten sich in ihren Allmachtsfantasien in undurchsichtige Millionendeals und Machtspiele.

Boris Beckers schnoddrige Gleichgültigkeit in Geldangelegenheiten entspringt eher dem Wunderkind-Syndrom. Der Gewissheit, dass ihn Deutschland verehrt und umsorgt und ihm alles vergibt. Das disziplinierte Leben, das ihm sein Manager Ion Tiriac vorschreiben wollte, verweigerte der «Bobele» und entliess ihn. Tiriac ist heute einer der reichsten Rumänen.

Der absolute Meister in dieser Kunst, die Wirklichkeit auszublenden, war Diego Maradona, der vor einem Jahr vereinsamt starb. Das Wunderkind hörte seit dem elften Lebensjahr, als er im vollen Stadion in der Halbzeit den Ball jonglierte, das Rauschen der Massen. Es wurde zur Sucht und mündete in reale Drogenabhängigkeit. Gerade hat Sotheby’s das Trikot versteigert, das der Argentinier trug, als er gegen den Erzfeind England das Tor mit der «Hand Gottes» und sechs Minuten später den brillantesten Sololauf aller Zeiten hingezaubert hatte.

Der anonyme Käufer warf 8,7 Millionen Euro für das himmelblau-weiss gestreifte Dress auf. Applaus, Applaus.