Ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima im März 2011 ergab eine Umfrage des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich, dass sich die Akzeptanz der Atomenergie in der Schweiz deutlich verringert hat. Nur noch jede und jeder Vierte glaubte, dass der Nutzen aus der Nukleartechnologie deren Risiken rechtfertige. Das Neubauverbot für Kernkraftwerke im Energiegesetz ist eine Folge von Fukushima.

Auch in anderen Ländern ist die Akzeptanz der Kernenergie ereignis- beziehungsweise erfahrungsabhängig. In Deutschland waren sogar wenige Wochen vor Fukushima gemäss einer Statista-Umfrage 78 Prozent der über Fünfzehnjährigen gegen den Gebrauch von Atomenergie. Mit den Erfahrungen der sogenannten Energiewende und den Folgen des Ukraine-Kriegs hat sich das Bild dramatisch geändert. Die Plattform «Tech for Future» meldete: Laut einer Forsa-Umfrage waren im April 2023 68 Prozent der Deutschen gegen den Atomausstieg und 60 Prozent der Deutschen erwarten den Wiedereinstieg in die Kernenergie.

In den USA waren gemäss einer Gallup-Umfrage vom März 2023 55 Prozent der Erwachsenen für oder eher für die Kernenergie, gegenüber bloss 51 Prozent ein Jahr zuvor. 67 Prozent der befragten Männer sprachen sich pro Kernenergie aus, während es bei den Frauen nur 42 Prozent waren. Eine Zeitreihe seit 1993 zeigt, dass die Quote der Zustimmenden zwischen 44 und 62 Prozent schwankte, während sie bei den Ablehnenden zwischen 33 und 54 Prozent lag. Die höchste Zustimmung zur Kernenergie wurde im Jahr vor Fukushima erreicht. Ab 2011 zeigte sich dann über mehrere Jahre ein Fukushima-Effekt.

Die Gallup-Autoren verbinden aber das Auf und Ab der Zustimmungsquoten zur Kernenergie auch mit den schwankenden Öl- und Gaspreisen: «Die Amerikaner waren im Allgemeinen eher aufgeschlossen gegenüber der Nutzung der Kernenergie [. . .], wenn die Ölpreise hoch waren, und weniger aufgeschlossen dafür, wenn die Ölpreise niedrig waren.» 2016 waren die Gaspreise besonders tief. Seit 1993 war dies das einzige Jahr mit einer ablehnenden Mehrheit.

Das pikanteste Resultat der Gallup-Umfrage von 2022 zum gleichen Thema ist aus schweizerischer Sicht nicht überraschend: In den USA lehnen ausgerechnet die Leute, die sich am meisten Sorgen um die Folgen des Klimawandels machen, die Kernenergie mit der grössten Mehrheit ab. Nur 34 Prozent dieser Befragten waren pro Kernenergie. Andererseits waren 70 Prozent derjenigen, die sich kaum oder gar keine Sorgen um den Klimawandel machen, für die Kernenergie.

Auch bei uns kennt man die eklatanten Widersprüche grüner Politik, wenn es um die Kernenergie als eine praktisch CO2-freie Stromproduktion geht. Wer die Ablehnung der Kernenergie zum mobilisierenden Markenzeichen gemacht hat, wie links-grüne Parteien und NGOs, hat grösste Mühe, sich von überholten Vorurteilen zu verabschieden, selbst wenn sich grundlegende Fakten geändert haben. Kernenergie hat in Zeiten der CO2-Reduktion einen besonders hohen Stellenwert, was weltweit zu einer Neubeurteilung der Kernenergie geführt hat. In der Schweiz sind politische Kurswechsel allerdings speziell schwierig, weil Bundesrat und Parlament stets den Risiken von Volksinitiativen oder Referenden ausgesetzt sind, was den Reformeifer in wichtigen Dossiers beträchtlich bremst.

Für die anhaltende Skepsis gegenüber der Kernenergie lieferte der Autor der einleitend erwähnten Umfrage von 2012, Medienwissenschafter Heinz Bonfadelli, eine wichtige Erkenntnis: «Auch nach Fukushima suchen nur sehr wenige Leute aktiv nach Informationen zur Atomenergie oder zu Atomkraftwerken.» Oder in den Worten von Marie von Ebner-Eschenbach: «Wer nichts weiss, muss alles glauben.»

Hans Rentsch ist Ökonom und Wirtschaftspublizist.