Im Juni hat das Volk das Klimagesetz angenommen und damit das Ziel gutgeheissen, die Schweiz müsse ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 netto auf null reduzieren. Wie man das erreichen kann, ist unklar, es zeichnen sich unüberschaubare Kosten ab. Einen Lichtblick gibt es jedoch, der bisher kaum zur Sprache gekommen ist: Die Natur hilft mit. Gerd Ganteför, emeritierter Physikprofessor der Universität Konstanz mit deutschem und schweizerischem Bürgerrecht, hat die naturwissenschaftlichen Grundlagen analysiert und kommt zum Schluss, dass die Landpflanzen und die Meere einen wesentlichen Teil des CO2-Ausstosses aufnehmen.

Das stellt die Klimadebatte in einen völlig neuen Rahmen. Ganteför, bekannter wissenschaftlicher Autor und Youtuber zu Themen der Physik, legt hier im Gespräch dar, wie sich daraus ein Plan B für eine Dekarbonisierung erarbeiten lässt, der realistischer, effizienter und menschenfreundlicher ist als die alarmistische Klimapolitik.

Weltwoche: Herr Ganteför, man liest, hört und sieht in den Medien viel von extremer Trockenheit, extremen Niederschlägen, Extremtemperaturen. Sehen Sie darin Auswirkungen des Klimawandels?

Gerd Ganteför: Bei all den Ereignissen, die wir über die Medien mitbekommen oder auch selber recherchieren, ist es schwierig zu unterscheiden, ob es sich um normale Fluktuationen des Wetters handelt oder ob sie darüber hinausgehen. Von Klimaveränderungen spricht man bei Bewegungen über dreissig Jahre und länger. Aus dieser Sicht sind drei Jahre Trockenheit erst einmal als Wetterkapriole einzustufen.

Weltwoche: Wird zu dramatisch berichtet?

Ganteför: Bei Alarmmeldungen ist jedenfalls Vorsicht am Platz. Nicht jede Katastrophe ist auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen, und Katastrophen wie Stürme, Dürren und Überflutungen gab es schon immer. Und die Erwärmung kann auch Vorteile haben, solange sie nur moderat ist.

Weltwoche: Sehen Sie aber einen Wandel?

Ganteför: Es gibt sicher Indikatoren für Veränderungen, so etwa die Verschiebung der Klimazonen. In Island gibt es im Gegensatz zu früher jetzt Wälder, und in Südeuropa erleben wir sommerliche Trockenheiten, das Saharaklima verschiebt sich etwas nach Norden. In Kalifornien ist Ähnliches beobachtbar. Diese Verschiebung ist auch eine Ursache aktueller Waldbrände. Das sind vermutlich Folgen des menschengemachten Klimawandels. Aber es gab schon immer grosse Veränderungen wie etwa die Bildung der Wüste Sahara vor 5000 Jahren, die vorher eine Feuchtsavanne war, oder etwa zur gleichen Zeit eine schlimme Phase katastrophaler Hurrikane. Dramatisch waren auch die Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste, die mit der Bildung des Jadebusens einhergingen. Das waren natürliche Klimaveränderungen, ohne dass die Menschen Einfluss hatten.

Weltwoche: Die heutigen Veränderungen werden nun dem Menschen zugeschrieben.

Ganteför: Ja, für alle sichtbar sind jetzt das Abtauen der Gletscher, die milden Winter und der Anstieg des Meeresspiegels. Die Gletscher waren aber schon einmal vor 5000 Jahren fast komplett abgetaut und drangen umgekehrt vor 200 Jahren weit in die Täler vor. Und vor 10 000 Jahren ist der Meeresspiegel um 130 Meter angestiegen. Das soll nicht heissen, dass die aktuelle Klimaerwärmung harmlos ist, aber man muss auf dem Boden der Realität bleiben und nicht den Weltuntergang beschwören, wenn der Meeresspiegel über hundert Jahre um einen Meter steigt.

Weltwoche: Der Uno-Weltklimarat IPCC, viele Experten und der Uno-Generalsekretär fordern drastische Massnahmen wie netto null Emissionen bis 2050, sonst sei es zu spät.

Ganteför: Dauerpanik hilft uns beim Klima nicht weiter, sondern wird von einigen Politikern, Medien und Teilen der Wirtschaft genutzt, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Die Formulierungen vom Weltuntergang stammen ja nicht von den Wissenschaftlern des Weltklimarats. Mit dessen Arbeitsgruppe 1, welche die naturwissenschaftlichen Grundlagen erarbeitet, befinde ich mich grösstenteils in Übereinstimmung. Die mittlere Erderwärmung, mildere Winter, Schneeprobleme in den tieferen Lagen oder das Abtauen der Gletscher, all das stimmt mit den Vorhersagen dieser Wissenschaftler weitgehend überein.

Weltwoche: Auch die Warnung vor katastrophalen Stürmen?

«Nur im deutschsprachigen Raum hält man die Kernenergie für Teufelszeug.»

Ganteför: Dass wir mehr schlimmere Stürme bekommen werden, ist umstritten, auch innerhalb des Klimarats. Hurrikane und grossräumige Unwetter werden ja angetrieben durch Temperaturdifferenzen zwischen den hohen Breiten und dem Äquator. Diese nehmen jedoch ab durch die Klimaerwärmung, weil sich der Norden stärker erwärmt als die mittleren Breiten.

Weltwoche: Aber jeder Sturm und jeder Waldbrand lösen sogleich Rufe nach Notmassnahmen aus.

Ganteför: Wenn ich höre, etwas müsse um jeden Preis erreicht werden und sei alternativlos, wird es mir unheimlich. Das sind Ausdrucksweisen, wie wir sie eher von Religionen und totalitären Systemen kennen. Klima ist ein ernstes Problem, aber wir haben noch andere Probleme, die wir gleichzeitig lösen müssen.

Weltwoche: Welche?

Ganteför: Denken wir an Bevölkerungswachstum, Hunger, Armut und Kriege. Und ich würde diesen vier genannten globalen Problemen eine höhere Dringlichkeit zuordnen als dem Klima. Oder sagen wir es anders: Ohne dass wir Armut, Hunger, Bevölkerungswachstum und Kriege in den Griff bekommen, werden wir auch das Klimaproblem nicht lösen können.

Weltwoche: Wie dringend ist dann Ihrer Ansicht nach die Dekarbonisierung der Wirtschaft bis auf null Emissionen im Jahr 2050?

Ganteför: Diese Frage der Dekarbonisierung hat mehrere Aspekte. Eine radikale Reduktion der CO2-Emissionen um jeden Preis wird viele Menschen, auch in Europa, in Armut stürzen. Deutlich sichtbar sind diese Nebenwirkungen ja etwa in Deutschland, wo die Ampelregierung mit der sogenannten Energie- und Wärmewende eine drastische Dekarbonisierung einleiten will. Energie wird teurer, Häuser müssen isoliert, Wärmepumpen eingebaut werden. Die Schweiz geht bisher einen weniger radikalen Weg, aber irgendwann werden die ärmeren Menschen in der Schweiz nicht mehr alles mitmachen, was die Klimaeliten fordern. Wir haben bloss noch nicht erkannt, was Dekarbonisierung für uns alle bedeutet, vor allem wenn sie zu rasch geschieht.

Weltwoche: Halten Sie das für zu radikal?

Ganteför: Das grosse Problem ist die Geschwindigkeit. Wenn man der Wirtschaft und den Haushalten mehr Zeit gäbe, wären die Belastungen besser verkraftbar. Hinzu kommt nun aber der andere, höchst brisante Aspekt des Vorgehens: nämlich die Frage, was netto null überhaupt heissen soll.

Weltwoche: Heisst das denn nicht einfach, den Treibhausgasausstoss auf null zu verringern?

Ganteför: Ja, so wie ich es sehe, wird «netto null» in den meisten Fällen gleichbedeutend mit «absolut null» verwendet. Aber das ist radikal und unrealistisch.

Weltwoche: Es ist also falsch?

Ganteför: Das wird so nicht möglich sein und auch nicht geschehen. Dieses Ziel sehe ich als ähnlich menschenfeindlich an wie die chinesische Null-Covid-Politik, die in monatelangem Hausarrest gipfelte. In Deutschland befürchten viele durch die radikale Dekarbonisierung eine Deindustrialisierung, eine Abwanderung von Unternehmen, bevorzugt in die USA.

Weltwoche: Das Schweizer Volk hat nun aber ja gesagt zu netto null 2050. Ist das irrational?

Ganteför: Es ergibt keinen Sinn, Klimaschutzmassnahmen in einem Land, in dem nur ein Tausendstel der Weltbevölkerung lebt, zu ergreifen, die auch nur dieses ultrareiche Tausendstel der Weltbevölkerung bezahlen kann. So gesehen, ist es ein Hobby der Menschen in einem reichen Land, ohne jegliche Relevanz für das eigentliche Problem.

Weltwoche: Warum könnten denn die Stimmbürger ja gesagt haben?

Ganteför: Die Menschen wollen etwas tun, auch wenn es global gesehen kaum einen Unterschied macht. Zudem gibt es Verbesserungen gegenüber dem ersten Anlauf des CO2-Gesetzes, so dass ein Ja leichter fiel: erstens den Verzicht auf Verbote. Verbote setzt man nicht gegenüber mündigen Bürgern ein. Zweitens steht jetzt im Gesetz, dass die Massnahmen bezahlbar und technisch möglich sein müssen. Das ist eigentlich selbstverständlich, aber immerhin wird das nun ausdrücklich so festgehalten. Drittens gibt es die Möglichkeit, Emissionen im Ausland zu kompensieren. Das finde ich wichtig, denn mit den Geldern für eine Schweizer Dekarbonisierung liessen sich in anderen Ländern viel mehr Emissionen einsparen. Das ist ein Funken Vernunft in all der Ideologie.

Weltwoche: Dennoch, die radikale Dekarbonisierung, die bleibt befohlen?

Ganteför: Im Grunde nicht, und das ist der Clou, der bisher kaum diskutiert wird. Das muss man jetzt endlich in die Debatte einbringen.

Weltwoche: Was heisst das?

Ganteför: Die Hälfte Reduktion genügt, das ist umfangreich belegt. Im Kapitel fünf, «Global Carbon and Other Biogeochemical Cycles and Feedbacks», des jüngsten grossen Berichts des Uno-Weltklimarats IPCC von 2021 steht, dass über die Hälfte der menschengemachten CO2-Emissionen von der Natur sogleich absorbiert wird. Gemäss diesem Kreislaufmodell gelangt nur die Hälfte der menschengemachten CO2-Emissionen wirklich in die Atmosphäre.

Weltwoche: Also ist das Problem halbiert?

Ganteför: Im Prinzip ja, nur die Hälfte erhöht die Konzentration des Treibhausgases in der Atmosphäre und damit gemäss IPCC-Modellen die Erwärmung. Konkret: Würden wir nur halb so viel Gas pro Jahr emittieren wie heute, könnte diese Menge von den grossen natürlichen Senken verarbeitet werden – und die Konzentration des CO2 in der Atmosphäre bliebe konstant.

Weltwoche: Das ändert den ganzen Rahmen für die Klimadebatte.

Ganteför: Ja, wir nennen das den Plan B für die Dekarbonisierung. Das brächte eine erhebliche Entlastung. Halber Rückgang heisst viel weniger Kosten.

Weltwoche: Was steckt denn naturwissenschaftlich dahinter?

Ganteför: Die beiden grossen natürlichen CO2-Senken sind zum einen die Ozeane, denn CO2 löst sich in Wasser und wird da festgehalten, unabhängig von der Menge, die wir ausstossen. Zum andern nehmen die Landpflanzen CO2 auf und binden dieses. Deshalb können wir sagen: Netto null heisst nicht absolut null, sondern Reduktion auf die Hälfte.

Weltwoche: 50 Prozent als neues Netto-null?

Ganteför: Etwa so. Als einfaches Erklärungsmodell verwende ich jeweils mein Badewannenmodell, nach dem Muster: Die Atmosphäre ist wie eine Wanne mit einem Zufluss von jährlich vierzig Milliarden Tonnen CO2, diese wird also immer voller. Aber sie hat zwei Abflüsse, da fliessen jährlich etwa zehn Milliarden Tonnen zu den Landpflanzen und rund zehn Milliarden Tonnen in die Ozeane. Also beträgt der Zufluss netto nur rund zwanzig Milliarden Tonnen.

Weltwoche: Man muss also die Mithilfe der Natur berücksichtigen?

Ganteför: Ja, die natürlichen Senken geben uns mehr Zeit für die Umstellung des Energiemixes und nehmen die Panik aus dem System.

Weltwoche: Was bedeutet das praktisch?

Ganteför: Praktisch gesehen wäre zum Beispiel mit dem Umstieg von Kohle auf Erdgas schon sehr viel gewonnen, denn Gas verursacht nur rund halb so hohe CO2-Emissionen pro Kilowattstunde wie Kohle.

Weltwoche: Warum wird dieses Badewannenmodell in der Öffentlichkeit nicht intensiver diskutiert? Dieser Weg wäre doch Milliarden wert, viel weniger kostspielig als das Pariser Klimadiktat.

Ganteför: Aber genau das wollen die Aktivisten nicht. Es gibt zu viele Politiker, Medien und Wirtschaftsunternehmen, die einen Nutzen von der Dauerpanik haben. Da geht es um sehr viel Geld und sehr viel Macht. Es ist ähnlich wie in der Pandemie. Bestimmte Politiker haben nur eine Chance, gewählt zu werden, wenn sie die Gefahr der Klimaerwärmung beschwören. In normalen Zeiten würde man sie nicht wählen. Das sieht man deutlich in Deutschland.

Weltwoche: Wo sehen Sie Chancen für Ihren Ansatz?

Ganteför: Ich bin nicht mehr allein mit meinen Argumenten. In einer Gruppe von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Unternehmern arbeiten wir jetzt dieses Konzept, diesen Plan B, aus, übrigens auch mit Unterstützung aus der Schweizer Wirtschaft und der Schweizer Wissenschaft. Via Youtube und wissenschaftliche Fachartikel versuchen wir, die Informationen vermehrt in die Öffentlichkeit zu bringen.

Weltwoche: Kritiker werfen Ihnen vor, dass Ihre Ansätze wissenschaftlich zu schwach begründet seien.

Ganteför: Meine Argumente sind durch den IPCC gestützt. Es gibt die Arbeitsgruppe I des Weltklimarats, welche wie gesagt die physikalischen Grundlagen zum Klima erarbeitet und meines Erachtens gute Arbeit leistet. Dort werden die von mir erwähnten Senken auch im Detail beschrieben. Wir sind nicht mit allen Details der Publikationen der Arbeitsgruppe einverstanden, aber doch zu etwa 95 Prozent. Allerdings – sobald wir zur öffentlichen Diskussion in den Medien und der Politik kommen, wird die wissenschaftliche Sachlichkeit rasch übertönt.

Weltwoche: Wodurch?

Ganteför: Durch Ideologisierung, die zu wirkungslosen Massnahmen führt und das eigentliche Klimaproblem und die wirklich brauchbaren Lösungen ausblendet. So wird keine der geplanten Massnahmen in der Schweiz die Klimaerwärmung auch nur um 0,01 Grad abmildern oder um einen Monat verlangsamen.

Weltwoche: Gibt es überhaupt Mittel gegen den Klimawandel?

Ganteför: Ja. Der Plan B unserer Gruppe von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Unternehmern basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz unter Berücksichtigung der anderen Probleme der Menschheit. Unser Ansatz ist global, ganzheitlich und ideologieneutral, beruht auf den Werten von Freiheit, Demokratie und Wohlstand und ist realistisch. Ausgangspunkte sind die natürlichen CO2-Senken sowie die siebzehn Nachhaltigkeitsziele der «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» der Uno.

Weltwoche: Wie wichtig ist das Thema Klima im Vergleich mit anderen Zielen?

Ganteför: In der Uno-Agenda werden als Erstes die Ziele Bekämpfung der Armut und des Hungers genannt, sodann die Förderung eines gesunden Lebens sowie der Bildung. Klimaschutz ist weiter hinten. Ich betone nochmals: Ohne die Probleme des Bevölkerungswachstums, der Armut, des Hungers und der totalitären Herrscher anzugehen, haben wir keine Chance, das Klimaproblem lösen zu können. Das geht nur ganzheitlich.

Weltwoche: Ist das der Öffentlichkeit schwierig zu vermitteln?

Ganteför: Oft wird in der öffentlichen Debatte ausgeblendet, dass es Probleme wie Armut, Hunger und Bevölkerungswachstum in der Welt draussen gibt. Das führt dann zu Forderungen, dass wir mit Nahrungsmitteln, also Biotreibstoffen aus Agrarproduktion, die ja in Konkurrenz zur Ernährung stehen, Autofahren sollen. Es erscheint mir fast irrational oder religiös, dass diese anderen Probleme der Menschen auf der Erde bei der Klimadebatte ausblendet werden.

Weltwoche: Die Entwicklungs- und Schwellenländer streben ja auch nach Wohlstand, was mit Energiekonsum verbunden ist. Wie sehen Sie die Spannung zwischen Dekarbonisierung und zivilisatorischer Entwicklung?

Ganteför: Das scheint zunächst ein unlösbares Problem zu sein. Die Politik der Dekarbonisierung und der erneuerbaren Energien nach dem Modell aus Europa ist etwas für reiche Länder. Menschen in armen Ländern dagegen brauchen preiswerte Energie, und das bedeutet einen Strompreis von wenigen Cents oder Rappen pro Kilowattstunde. Das ist denn auch der tatsächliche Strompreis in den meisten Ländern der Erde.

Weltwoche: Dann wird man noch lange auf dem Weg der fossilen Energie bleiben?

Ganteför: Zunächst wird die Zahl von Kohlekraftwerken und Gaskraftwerken wohl weiter zunehmen. Hoffentlich werden es eher Gaskraftwerke sein, dann bietet sich wenigstens die Chance, so 50 Prozent netto null zu erreichen. Die Erdgasreserven der Welt sind sehr gross, und Energie ist eine Voraussetzung für steigenden Wohlstand.

Weltwoche: Für immer mehr Menschen – ist das realistisch?

Ganteför: Das Bevölkerungswachstum verlangsamt sich nun praktisch überall, weil steigender Wohlstand zu geringeren Geburtenraten führt. Man kann hoffen, dass sich die Weltbevölkerung bei vielleicht zwölf Milliarden stabilisieren wird. Die Ausnahme ist Afrika, da besteht die Gefahr, dass sich die Bevölkerungszahl von heute rund 1,4 Milliarden auf vier Milliarden Menschen erhöhen wird.

Weltwoche: Gefahr in welchem Sinn?

Ganteför: Diese Zunahme kann der Kontinent nicht bewältigen, so viele Menschen kann er mit den heutigen Mitteln nicht ernähren. Und das ist eigentlich das Problem von Europa. Die Europäer sind jedoch nicht in der Lage, die Probleme mit Altersstruktur, politischer Willensbildung und wirtschaftlicher Leistung im benachbarten Kontinent auch nur ansatzweise zu erkennen. Die Bevölkerung auf dem Nachbarkontinent wird sich verdreifachen, und dieses Problem ist meines Erachtens mindestens so dringlich wie das Klimaproblem.

Weltwoche: Welche Rolle spielt die Kernenergie?

Ganteför: Die Kernenergie ist ein Hauptpfeiler, um das Klimaproblem global in den Griff zu bekommen. Den anderen acht Milliarden Menschen auf der Erde ist das klar. Nur im deutschsprachigen Raum hält man die Kernenergie für Teufelszeug.

Weltwoche: Ist der deutsche Sprachraum eine spezielle Zone?

Ganteför: Jedenfalls beobachte ich in der Schweiz ähnliche Denkweisen wie in Deutschland und Österreich. Man konzentriert sich auf klimapolitische Details und meint, man tue damit etwas für die ganze Welt. Jede Regierung versucht, das nationale Klima zu retten, obwohl Klima nicht national zu retten ist. Die Fokussierung auf Dinge, die man noch überschauen kann, erinnert mich manchmal an Verhaltensweisen, die ich bei Studierenden beobachte. Beim Vorbereiten auf eine schwierige Prüfung, etwa in Quantenphysik, beginnen die einen erst mal die Wohnung zu putzen, weil Putzen das ist, was sie können. Der Intellekt ist der Grösse des Problems nicht gewachsen und flüchtet in das Überschaubare.

Die Atmosphäre als Badewanne betrachtet

Der menschengemachte Ausstoss von Treibhausgasen bedeutet einen jährlichen Zufluss von rund 40 Milliarden Tonnen. Je 10 Milliarden Tonnen werden durch Pflanzen und Ozeane aufgenommen. Netto beträgt das Plus 20 Milliarden Tonnen.