Der schmucklose Raum des Bezirksgerichts Zürich an der Wengistrasse 30, den Milan Krizanek am 23. Februar 2023 betrat, gemahnt eher an ein zu eng geratenes Büro denn an einen Gerichtssaal. Die Schranken vor den Richterpulten sind nicht mehr als Reminiszenzen jener Kathedralen der Aufklärung, wo einst in aller Öffentlichkeit und Feierlichkeit um Recht und Gerechtigkeit gerungen wurde. Die karge Bestuhlung erinnert Rechtssuchende wie auch das Publikum vielmehr daran, dass sie hier höchstens noch geduldet sind. Im Geiste sind moderne Schweizer Richter längst graue Beamten, die ihre wichtigen Entscheide in abgeschotteten Kabinetten unter sich ausjassen und sich dabei ungern in die Karten schauen lassen.

Die Verhandlung im Fall Krizanek erschöpfte sich denn auch in hölzernen Vorträgen, die die Anwälte der Form halber herunterlasen. Danach hatten alle den Saal zu verlassen. Im Geheimen beriet Richterin Simone Nabholz nun mit der Gerichtsschreiberin und der Protokollführerin 26 Minuten lang über das weitere Vorgehen und ein allfälliges Urteil. Doch der rechtsuchende Krizanek tat etwas, was strengstens verboten ist: Er liess ein Aufnahmegerät im Saal zurück. Und so erfuhr er später, was er niemals wissen dürfte: die tatsächlichen Motive hinter den juristisch verbrämten Ausführungen von Richterin Nabholz und ihren Assistentinnen. Hätte er die wahre Begründung schon damals gekannt, so versichert er heute, hätte er den Fall weitergezogen.

 

Heimliche Tonaufzeichnungen

Letzte Woche veröffentlichte Milan Krizanek Auszüge aus der heimlich mitgeschnittenen Beratung und ordnete diese in zwei halbstündigen Videokommentaren ein. Nun sind Zitate immer vom Kontext abhängig, aus dem sie herausgeschnitten wurden, und wir können nicht überprüfen, ob Krizanek diese Zusammenhänge adäquat umschrieben hat. Doch was die streckenweise in sich geschlossenen Ausführungen im O-Ton offenbaren, kann einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Mehr darf man dazu nicht sagen (Zensurverfügung).

Hätte er die wahre Begründung schon damals gekannt, hätte er den Fall weitergezogen.Am letzten Montag hat das Bezirksgericht Meilen auf Verlangen von Richterin Nabholz in einer «vorsorglichen Verfügung» einen in der Vorwoche publizieren Online-Artikel der Weltwoche unter strenger Strafandrohung nachträglich verbieten lassen. Nun könnte man sich fragen, was die «vorsorgliche» Zensur einer Information, die in den sozialen Medien längst die Runde gemacht hat, nachträglich bewirken soll. Es ist nur eine von vielen Ungereimtheiten in diesem Fall.

Für das Bezirksgericht Zürich ist die Affäre geklärt: «Dem gesamten Vorwurf fehlt [mit der illegalen Aufzeichnung] jede Grundlage», liess sich das Gericht in der Sonntagszeitung zitieren, die Richterin habe sich in «keiner Art und Weise ein Fehlverhalten zuschulden kommen lassen». Jede Untersuchung der peinlichen Affäre erübrigt sich damit. Allerdings wurde die Echtheit der doch expliziten Sätze und Ausführungen von Richterin Nabholz, die wenig Interpretationsspielraum offenlassen, nie in Abrede gestellt. Man soll einfach so tun, als wären sie nie über ihre Lippen gekrochen. Für Kabinettsrichter mag das täglich Brot sein. Für sie existiert nur, was in den Akten steht. Doch für die Öffentlichkeit, also die Rechtsunterworfenen in der realen Welt, ist das anders.

 

Achtenswerte Beweggründe?

Die Veröffentlichung geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) wird in der Schweiz mit Busse bestraft, das heimliche Aufzeichnen von Gesprächen (Art. 179 StGB) gar mit Busse oder Gefängnis. Und das kann unter Umständen auch für die Weiterverbreitung gelten. An der «verbotenen Frucht» darf nicht genascht werden. Doch es gibt kein Gesetz ohne Ausnahme. Unter Artikel 17 StGB finden wir etwa den Satz: «Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, handelt rechtmässig, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt.»

In Fällen von Whistleblowing, also wenn ein Missstand nicht anders als durch eine Straftat, klassischerweise eine Geheimhalteverletzung, beseitigt werden kann, können «übergesetzliche Rechtfertigungsgründe» vorliegen. Voraussetzung ist immer eine Verhältnismässigkeit und das Fehlen legaler Alternativen. Selbst wenn das Bundesgericht in dieser Hinsicht äusserst zurückhaltend urteilt, muss man diese Möglichkeit zumindest in Betracht ziehen. Und bevor die Zürcher Justiz den Stab über Milan Krizanek bricht, sollte sie zumindest seine Beweggründe kennen.

Als Milan Krizanek 1977 in Bratislava geboren wurde, herrschte in der Slowakei ein kommunistisches Willkürregime. Drei Jahre später flüchteten seine Eltern mit den Kindern in die Schweiz. Milan absolvierte in Zürich die Schulen, das Gymnasium (Typ B), mit achtzehn liess er sich einbürgern, er absolvierte die Rekrutenschule und schloss anschliessend ein Studium der Geschichtswissenschaften an der Universität Zürich ab. Seine Ausbildung finanzierte er selber, indem er für Firmen Internetauftritte programmierte. Der Nebenverdienst wurde schliesslich zu seinem Hauptberuf, 2017 heuerte Krizanek als Web-Entwickler bei einer PR-Firma an.

 

Allergisch auf Corona-Hype

Krizanek reagierte allergisch auf den Corona-Hype, der 2020 um die Welt rollte. Dass die klar definierte Gruppe von Gefährdeten geschützt wird und sich vor allem auch selber schützt, war für ihn selbstverständlich. Doch die angeordneten Massnahmen erschienen ihm absurd bis kontraproduktiv. In einer echten Notlage versucht der Staat, eine Panik zu verhindern – doch in diesem Fall befeuerte er sie mit allen Mitteln. Mag sein, dass seine Erfahrungen mit dem Kommunismus sein Sensorium für staatliche Willkür schärften. Das Phänomen ist auch aus der ehemaligen DDR bekannt, wo der (passive) Widerstand gegen das Corona-Regime weit ausgeprägter war als im Westen.

Bei den täglichen Meetings wurde ihm schnell klar, wie der Wind in der trendigen PR-Bude wehte: Wer sich nicht vom gängigen Narrativ mittragen liess, war ein Schwurbler und «Covidiot». Milan Krizanek zog sich vielmehr aus den Debatten zurück und arbeitete wenn immer möglich im Home-Office (was von der Firma ausdrücklich akzeptiert wurde). Anfang 2021 war er während einiger Wochen krankgeschrieben. Von mangelhafter Leistung war aber nie die Rede.

 

Folgen eines falschen Zeugnisses

Nach einer Entspannung im Sommer 2021 eskalierte der Kampf um Corona im Zuge der Zertifikatspflicht. Krizanek mochte sich nicht impfen lassen, das war seiner Ansicht nach eine Privatsache, die niemanden etwas anging. Doch er spürte, wie sich der Druck erhöhte. Nun begann er – nach seinen Angaben erstmals in seinem Leben – heimlich Gespräche aufzuzeichnen. Man kann es paranoid nennen. Doch der weitere Verlauf sollte ihm recht geben. Im September 2021 wurde ihm auf Ende November gekündigt. Die angeblich «mangelnde Leistung», die ihm die Firma dabei unterstellte, verdeckte die wahren Motive: die Impfung und seine Haltung zu Covid.

Nun könnte man darüber streiten, ob eine Entlassung überhaupt begründet werden muss. Doch jeder Entlassene hat das Recht, eine Begründung zu verlangen, die auch von der Arbeitslosenkasse eingefordert wird. Für Krizanek war die Begründung «mangelhafte Leistung» verheerend, die nun auch in seinem Arbeitszeugnis erschien. Damit fand er nicht nur keine neue Stelle mehr. Die Arbeitslosenkasse kürzte ihm vorweg auch die Leistung wegen «Selbstverschuldens» (was später korrigiert wurde, als sich der angebliche Leistungsmangel als unbegründet herausstellte).

Wer sich nicht vom gängigen Narrativ mittragen liess, war ein Schwurbler und «Covidiot».Das ist der Background der ominösen Gerichtsverhandlung vom 23. Februar 2023, die schliesslich in einem Vergleich endete: ein besseres Arbeitszeugnis und 1500 Franken Entschädigung. Mehr lag nach der Einschätzung von Richterin Nabholz offenbar nicht drin. Krizanek akzeptierte es, der Fall war damit erledigt. Hätte er damals die wahren Erörterungen der grünen Richterin gekannt, versichert der Mann, hätte er dem Vergleich nie zugestimmt.

 

Erinnerungen an Zopfi/Wyler

Hätte sich Milan Krizanek nun vertrauensvoll ans Obergericht wenden sollen, wo der Ehemann von Simone Nabholz, Patrizio Castrovilli, ebenfalls als Vertreter der Grünen, als Richter amtiert? An den Zürcher Justizapparat, der später alles Mögliche und Unmögliche unternehmen sollte, damit der Abhörskandal um Richterkollegin Nabholz nicht publik wird? Man kann sich fragen, warum er ein Jahr zuwartete, bis Krizanek, der mittlerweile wieder in seiner Geburtsstadt Bratislava lebt, den Skandal auf X publik machte. Er sagt, er habe lange mit dem Entscheid gerungen.

Der Fall erinnert in vielem an den Skandal um das Zürcher Sozialamt, den die Weltwoche 2007 aufgrund interner Akten aufdeckte. Wie Richterin Nabholz konnte damals auch die verantwortliche Sozialvorsteherin Monika Stocker auf das eiserne Schweigen und Abwiegeln des medialen Mainstreams zählen. Statt Transparenz zu schaffen, sich zu erklären, Missstände aufzudecken und zu bekämpfen, setzte man alles daran, diese zu vertuschen – und stürzte sich auf die Überbringer der schlechten Nachricht.

Irgendwann wurde der öffentliche Druck zu gross, die Arroganz der Macht zerschellte im Debakel. Margrit Zopfi und Esther Wyler, die Whistleblowerinnen aus dem Sozialamt, die die Missstände unter Verletzung des Amtsgeheimnisses publik gemacht hatten, wurden nach jahrelangen Prozessen zwar zu einer bedingten Strafe verurteilt, an die sich kein Mensch mehr erinnert. Doch die beiden gingen als moralische Siegerinnen aus der Affäre hervor.