Es ist der 21. November 2020, als eine junge Frau die Bühne einer Querdenken-Kundgebung in Kassel betritt. Sie ist zum damaligen Zeitpunkt 22 Jahre alt. «Ja hallo, ich bin Jana aus Kassel», beginnt die Blondine ihre Rede. Dann fallen die fatalen Worte, für die sie anschliessend bundesweit durch die sozialen Medien gejagt werden wird: «Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich hier seit Monaten im Widerstand bin.»

Weiter kommt Jana nicht, weil sie von einem Ordner der Demonstration unterbrochen wird, der seine Weste auf die Bühne wirft. «Für so einen Schwachsinn mach’ ich doch keinen Ordner mehr. Das ist Verharmlosung des Holocaust!», ruft er wütend. Jana fängt daraufhin an zu weinen und muss die Bühne frühzeitig verlassen. Die Szene landet als Video im Internet. Häme und Spott ergiessen sich über die junge Frau. «Jana aus Kassel» wird zum Running Gag.

Heute, mehr als drei Jahre später, lassen sich in Deutschland wieder allerhand junge Menschen finden, die sich wie Jana aus Kassel in geistiger und aktivistischer Nähe zur NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl wähnen. Seit den «Enthüllungen» des Medienkollektivs Correctiv zu einem angeblichen «Geheimtreffen» von AfDlern, Unternehmern und Mitgliedern der Werteunion in Potsdam ist die deutsche Kollektivpsychose namens «Kampf gegen rechts» reaktiviert.

«Jetzt können wir endlich herausfinden, was wir anstelle unserer Urgrosseltern getan hätten», liest man auf einigen Schildern der Demonstranten, die sich seit Tagen in ganz Deutschland zum gemeinsamen Protestieren einfinden. Auf einem anderen Schild wird man noch deutlicher: «Im Namen der Weissen Rose!!! Stoppt Nazis!!!», steht hier in grossen schwarzen Lettern.

Wer derart unkritisch dem Zeitgeist hinterherhechelt, hätte sich damals nicht im Widerstand befunden.

«Demo gegen rechts» in Deutschland ist halt in allererster Linie auch immer eine Selbstvergewisserung, dass man damals auf der richtigen Seite gestanden hätte. Dahinter verborgen ist der feste Wille, den Holocaust doch noch nachträglich verhindern zu können. Ein wahrer Wohlfühl-Event für gratismutige Selbstbeweihräucherer.

Dass man hierfür selbst Holocaust-Relativierung betreibt, sieht man genauso wenig als Widerspruch an wie die Tatsache, dass man Seite an Seite mit propalästinensischen Antisemiten demonstriert. Wessen Erinnerungskultur vor allem aus einstudierter Betroffenheit und weniger aus wirklichem Bewusstsein über die Strukturen und Mechanismen von Faschismus und Nationalsozialismus besteht, der denkt eben auch, dass er etwas gegen Totalitarismus tut, wenn er anderen die Grundrechte aberkennen will.

Interessant daran ist lediglich die geradezu lächerlich offensichtliche Doppelmoral, mit der hier auch von Seiten der Medien und Politik agiert wird. Denn – o Wunder – dieses Mal wird niemand für seine obskuren Geschichtsvergleiche ausgelacht. Dabei steht Jana aus Kassel, wenn man das Bullshit-Bingo der geschmacklosen Vergleiche doch einmal mitspielen will, Sophie Scholl tatsächlich näher als jeder dieser «Antifaschisten», die in den letzten Tagen «gegen rechts» demonstriert haben.

Denn Jana befand sich, im Gegensatz zu den jetzigen Schmalspur-Scholls, tatsächlich im Widerspruch zum vorherrschenden Zeitgeist. Hinter Janas Protest stand nicht ein «breites Bündnis aus Medien, Politik und Zivilgesellschaft». Natürlich hatte sie keine Gefahr für Leib und Leben zu befürchten, aber sie galt mit ihrer Haltung während der Corona-Zeiten als Aussätzige.

Es ist kein Protest, wenn man für etwas demonstriert, wofür man den ganzen Staatsapparat hinter sich hat. Und schon gar nicht steht man damit in irgendeiner wie auch immer gearteten Nähe zu jemandem, der wusste, dass er für seinen Widerstand sein Leben lassen muss. Wer heute derart unkritisch dem Zeitgeist hinterherhechelt, hätte sich damals nicht auf der Seite des Widerstands befunden, sondern auf der Seite derjenigen, die brav das Ärmchen gehoben haben.

Dass sowohl Jana aus Kassel als auch die heutigen Demonstranten einen abstrusen Vergleich ziehen, liegt auf der Hand. Dass der eine dafür (zu Recht) verlacht wird und der andere nicht, zeigt indes, wie gratismutig dieser heutige «Protest» ist, für den man nicht einmal etwas zu befürchten hat, wenn man sich wie der grösste Vollidiot in unmittelbarer Nachfolge der NS-Widerstandskämpfer verortet.

Die 3 Top-Kommentare zu "Zeitalter der Sophie Scholls"
  • dr.w.greiner

    "Wohlfühl-Protest": erster Kandidat für das nächste "Unwort des Jahres". Trifft's genau.

  • rolf s

    Wer zu feige war, gegen den Corona-Wahn auf die Strasse zu gehen, die Protestierenden als „Schwurbler“ etc. bezeichnete, folgt jetzt mit „Gratismut“ der staatlich gelenkten Propaganda. Nichtdenker statt Querdenker.

  • singin

    Sophie Scholl war eine grossartige, mutige und unerschrockene junge Frau, die nach dem Todesurteil dem Blutrichter Freisler ins Gesicht schleuderte, dass er einst für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werde. Diese Frau und ihr Andenken jetzt auf diese miese Art zu missbrauchen, das ist wahrlich eine Affenschande! Sie alle, die jetzt "gegen rechts" demonstrieren, haben keine Ahnung, was die National-Sozialisten damals wirklich waren: Parallelen zur Ampel sind unübersehbar!