Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) mag es pathetisch. Auf dem Kongress des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Berlin sagte er: «Der Krieg ist ein Bruch mit vielem, was uns als selbstverständlich galt. Er ist ein Epochenbruch.» Worin der Epochenbruch nach den ebenso verbrecherischen Angriffskriegen der USA und ihrer Vasallen besteht, konnte er nicht so richtig erklären.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verurteilte am selben Tag den «barbarischen Angriffskrieg» Putins und sagte: «Einen russischen Diktatfrieden soll es nicht geben. Den werden die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht akzeptieren.» Aber leider sieht es so aus, dass nicht die Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern die USA darüber entscheiden, ob es zu einem Waffenstillstand und einer Friedenslösung kommt.

Fortsetzung des Krieges bevorzugt

Bundespräsident und Bundeskanzler brachten es fertig, in ihren Reden die entscheidende Wende im Ukraine-Krieg gar nicht zu erwähnen. Aus dem Angriffskrieg von Russlands Präsidenten Wladimir Putin mit dem Ziel, die US-Marionettenregierung in Kiew durch eine russische Marionettenregierung zu ersetzen, ist ein Zermürbungskrieg von US-Präsident Joe Biden geworden mit dem Ziel, Russland entscheidend zu schwächen. Daran ändert wohl auch Putins Rede am 9. Mai in Moskau nichts mehr, mit der er signalisierte, dass er seine ursprünglichen Kriegsziele aufgeben musste.

Ende März las man in deutschen Zeitungen, dass die Ukraine und Russland kurz davor seien, sich in Istanbul auf eine Verhandlungslösung zu verständigen, die die von Russland geforderte Neutralität der Ukraine zur Grundlage hatte. Am 5. April meldete die Washington Post, in der Nato werde die Fortsetzung des Krieges gegenüber einer Verhandlungslösung bevorzugt. Und am 7. April sagte der russische Aussenminister Sergei Lawrow, die Ukraine habe Änderungen an den Verhandlungsdokumenten vorgenommen, die eine Einigung erschwerten.

Heute ist Washington fest entschlossen, Russland um jeden Preis zu schwächen.

Für aufmerksame Beobachter war schon lange klar, dass die USA alles tun würden, um eine Neutralität der Ukraine zu verhindern. Warum sonst hätten sie 5 Milliarden Dollar aufgewandt, um in Kiew eine Vasallenregierung einzusetzen? Wenn die Neutralität käme, hätten sie vergeblich die Ukraine in den letzten Jahren mit modernen Waffen aufgerüstet und über gemeinsame Manöver in die Militärstruktur der Nato eingebunden.

Ende April beantragte Biden 33 Milliarden Dollar für die Ukraine beim US-Kongress, die neuerdings auf 39,8 Milliarden aufgestockt werden sollen. Welch ein Wahnsinn. Gleichzeitig verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das die Biden-Regierung befähigt, grosse Mengen an Waffen an die Ukraine zu verschenken, um «Menschenleben zu retten», wie die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi treuherzig erklärte.

Das edle Streben der USA, Menschenleben zu retten, führte nach dem Zweiten Weltkrieg laut internationalen Schätzungen zu über zwanzig Millionen Toten. Um die Skrupellosigkeit, mit der die USA ihre Weltherrschaft festigen, zu charakterisieren, muss man sich an eine Aussage Harry S. Trumans erinnern, die nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion am 24. Juni 1941 in der New York Times zu lesen war: «Wenn wir sehen, dass Deutschland gewinnt, sollten wir Russland helfen, und wenn wir sehen, dass Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen, und auf diesem Wege lassen wir sie so viele wie möglich töten.»

Er war damals Vorsitzender des Senatsausschusses für Rüstungsproduktion und wurde im April 1945 nach dem Tod Roosevelts Präsident. Millionen Menschen in der Sowjetunion und Deutschland verloren ihr Leben. Erst im Juni 1944 griffen die USA in den Krieg ein und landeten mit den Alliierten in der Normandie. Wer glaubt, der in Trumans Zitat zutage tretende Zynismus sei Vergangenheit, muss sich nur an den Krieg des Irak gegen den Iran erinnern, der von 1980 bis 1988 dauerte. Fast eine Million Menschen kamen ums Leben. Die USA hatten beide Kriegsparteien mit Waffen beliefert.

Sanktionen schaden den Europäern

Heute ist Washington fest entschlossen, Russland um jeden Preis zu schwächen. Viele Ukrainer und Russen werden, wenn der Krieg Jahre dauert, ihr Leben verlieren. Sollte der Krieg eskalieren, dann wird zuerst Europa und nicht die USA in Mitleidenschaft gezogen. Die laufenden Sanktionen schaden in erster Linie den Europäern, vor allem den Deutschen. Die Energiepreise explodieren, und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sinkt. Und wie bei den Kriegen der USA und ihrer Vasallen im Vorderen Orient ist Europa für die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge zuständig.

Wir müssen endlich erkennen, dass die militärische Präsenz der USA auf dem alten Kontinent uns nicht mehr schützt, sondern in zunehmendem Masse gefährdet. Europa braucht eine selbständige Verteidigung, um zu verhindern, dass die USA uns in einen nuklearen Konflikt mit Russland oder China hineinziehen.

Oskar Lafontaine war Vorsitzender der SPD und Finanzminister Deutschlands.

Die 3 Top-Kommentare zu "Ausweitung der Kampfzone: Wladimir Putin hat einen verbrecherischen Angriffskrieg gestartet. Joe Biden macht daraus einen verantwortungslosen Zermürbungskrieg"
  • Putin wurde trotz aller Aktivitäten (z. B. Rede vor dem Bundestag 2003, Münchner Sicherheitskonferenz mit jeweils stehenden Ovationen) und anderen Bemühungen zum Westen (EU und USA) eine vernünftige und verlässliche Beziehung aufzubauen immer nur angepisst und betrogen (Minsker abkommen). Ich kann die Reaktion nachvollziehen.

  • guidok

    Wenn es denn "nur" beim Zermürbungskrieg bleiben würde. Die ukrainischen Aktivitäten bei Transnistrien machen mir echt sorgen. Wenn die Ukraine dort einmarschiert, kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass Russland im Norden eine neue Front eröffnen wird.

  • miran.raouf1980

    Die USA wollen Kriege überall: zwischen China und Taiwan, Europa und Russland. Wenn überall Armut, Krieg und Instabilität herrscht wollen sie als Friedensbringer auftauchen. Und es gibt die Idioten in allen Gesellschaften die Washington alles glauben.