Taipeh

In der vergangenen Woche gab Terry Gou, der legendäre Gründer von Foxconn, dem grössten Elektronikunternehmen der Welt, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen auf Taiwan bekannt, die Mitte Januar 2024 stattfinden sollen.

Gou ist kein unbeschriebenes Blatt. Schon 2019 hatte er sich, angeblich in einem Traum von der Meeresgöttin Mazu dazu aufgefordert, für das höchste Amt beworben. Mit 27 Prozent der Stimmen erreichte er einen respektablen zweiten Platz bei den Vorwahlen der nationalistischen Kuomintang (KMT). 2020 errang die gegenwärtige Amtsinhaberin Tsai Ing-wen von der DPP (Demokratische Fortschrittspartei) einen mühelosen Wahlsieg.

Gou eröffnet neue Perspektiven

Dieses Mal dürfte es um mehr gehen. In den vergangenen vier Jahren verstärkte der chinesische Präsident Xi Jinping den Druck auf Taiwan, die politische Herrschaft der Volksrepublik offiziell zu akzeptieren. Die militärische Einschüchterung Taiwans geht weiter. Während des Zwischenstopps von Vizepräsident Lai Ching-te in den USA am 19. August wurden gemeinsame Übungen von Kampfflugzeugen und Schiffen der Volksbefreiungsarmee (PLA) rund um Taiwan gemeldet. Die Schiffe sollen die Mittellinie der Strasse von Taiwan überquert haben, die als inoffizielle Grenze zwischen China und Taiwan gilt. Gegenüber der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua bezeichnete die PLA die Manöver als ernste Warnung an die taiwanesischen «Separatisten, die sich auf provozierende Weise mit ausländischen Elementen zusammentun».

Die Meeresgöttin Mazu soll ihn dazu aufgefordert haben, sich für das Amt zu bewerben.

China beansprucht die gesamte Strasse von Taiwan für sich. Anfang des Monats legte China eine aktualisierte Karte mit den von ihm beanspruchten Gebieten vor, die das gesamte Südchinesische Meer umfasst. Auf der berüchtigten «Neun Striche»-Seekarte, die ein weitläufiges Gebiet zeigt, das sich über die Gewässer vor Vietnam, Malaysia, Indonesien und Brunei erstreckt, hat China nun einen zehnten Strich nordöstlich von Taiwan hinzugefügt.

Proteste gegen die chinesischen Territorialansprüche, die dem Uno-Seerechtsübereinkommen zuwiderlaufen, beschränken sich nicht auf die maritimen Nachbarn Chinas. Auch die rivalisierenden Supermächte in der Region haben massive Proteste angemeldet, darunter der indische Premierminister Narendra Modi und sogar der russische Präsident Wladimir Putin. War das der Grund, weshalb Xi nicht beim G-20-Gipfel in Neu-Delhi erschien?

Angesichts dieser schwierigen geopolitischen Lage eröffnet die Präsidentschaftskandidatur von Terry Gou eine neue Perspektive auf die Frage nach der angemessenen Reaktion auf die chinesische Aggression. In den vergangenen zehn Jahren hat Präsidentin Tsai Ing-wens DPP, die für Unabhängigkeit eintritt, einen riskanten Balanceakt praktiziert. Wohl wissend, dass eine offizielle Unabhängigkeitserklärung (entgegen dem «Eine Nation, zwei Systeme»-Abkommen, das in den 1970ern von Henry Kissinger und Zhou Enlai ausgearbeitet wurde) zu einer sofortigen Kriegserklärung der Volksrepublik führen wird, hat Tsai sich an die riskante Formel gehalten, dass es keine Unabhängigkeitserklärung braucht, weil Taiwan de facto bereits eine eigenständige Nation ist. Tsais mutmasslicher Nachfolger Lai Ching-te dürfte diese Politik fortsetzen.

Seinen Durchbruch schaffte er, als er elf Monate in einem Cadillac quer durch die USA fuhr.Aus Gous Sicht ist diese Haltung hochriskant. «Taiwan darf keine Ukraine werden», sagt er, «und ich werde nicht zulassen, dass Taiwan die nächste Ukraine wird.» Er verspricht eine Verständigung mit China, die fünfzig Jahre Frieden und Wohlstand garantieren werde.

Skeptiker könnten einwenden, dass er einiges aufs Spiel setzt. Krieg zwischen China und Taiwan wäre schlecht für die Welt, aber katastrophal für Taiwan und möglicherweise tödlich für Foxconn. Zwar hat Gou sich kürzlich aus dem Verwaltungsrat von Foxconn zurückgezogen, aber mit einem geschätzten Vermögen von sieben Milliarden Dollar ist er nach wie vor Mehrheitsaktionär. Mit rund zwölf Fabriken und schätzungsweise 350.000 Beschäftigten in China (von 800.000 weltweit) ist Foxconn abhängig von Xi Jinpings Wohlwollen.

Deal mit Apple

Ungeachtet seiner «chinafreundlichen» Haltung wird Gou von Peking nicht unterstützt. Das Problem ist, dass seine Kandidatur den Stimmenanteil der prochinesischen Parteien weiter aufspaltet – der KMT unter Hou Yu-ih, dem Bürgermeister von New Taipei City, der für Gespräche mit China plädiert, und von Ko Wen-je, dem ehemaligen Bürgermeister von Taipeh, dessen Taiwanische Volkspartei (TPP) weitgehend die KMT unterstützt. Laut jüngsten Umfragen kommt der Kandidat der regierenden DPP (Lai Ching-te) mit 35,3 Stimmen auf den ersten Platz, vor der KMT (17,8 Prozent), der TPP (17,1 Prozent) und Gou (11,6 Prozent).

Nachdem der heute 72-Jährige sich in jungen Jahren von seiner Schwiegermutter 7500 Dollar geliehen hatte, mietete er einen Schuppen, in der er Plastikdrehknöpfe für Radios produzierte. Seinen Durchbruch schaffte er, als er elf Monate in einem Cadillac quer durch die USA fuhr, um Aufträge zu akquirieren. Gou, ein brillanter Verkäufer und fleissiger Arbeiter, erwies sich als ebenso brillanter Manager. Sein grösster Erfolg war natürlich, dass er Apple als Auftraggeber gewinnen konnte. Die Foxconn-Fabrik in Zhengzhou in der zentralchinesischen Provinz Henan kann 500 000 iPhones täglich produzieren – die Stadt ist so sehr mit Apple verknüpft, dass sie heute den Beinamen «iPhone City» trägt.

Pfad in eine friedlichere Welt

Obwohl Gou in den Umfragen zurückliegt, sollte er nicht unterschätzt werden. Er ist, wie Donald Trump, ein genialer und unerschrockener Kommunikator. Sein schillerndes Privatleben scheint seiner Beliebtheit keinen Abbruch zu tun. Man könnte ihn auch mit Elon Musk vergleichen. Beide haben eine ähnliche Aufstiegsgeschichte, beide haben Unternehmen gegründet, die stark von chinesischem Geld abhängig sind, und beide stellen Frieden und Wohlstand über geopolitische Konflikte.

Wenn Trump die nächsten US-Wahlen gewinnt, könnte es sein, dass sich die amerikanische Aussenpolitik eher auf die Seite von «Tauben» wie Gou und Musk stellt als auf die Seite der chinakritischen Hardliner. Trump ist viel weniger einem «militärisch-industriellen Komplex» verpflichtet, der hinter Präsident Bidens kompromissloser Politik gegenüber Russland und China vermutet wird.

Manche werfen Gou vor, dass er die Opposition spalte, aber er könnte der Königsmacher sein, der einem Einheitskandidaten der Anti-DPP-Kräfte zum Erfolg verhilft. Für all jene, die angesichts der realen Gefahr eines Atomkriegs in der Ukraine oder Taiwan deeskalieren wollen, würde sich mit dem Sieg eines Anti-DPP-Kandidaten – in Kombination mit einem Wahlsieg von Trump – ein schmaler Pfad in eine friedlichere Welt eröffnen.

Aus dem Englischen von Matthias Fienbork

Die 3 Top-Kommentare zu "Friedenstaube von Taiwan: Präsidentschafts-Kandidat Terry Gou verspricht fünfzig Jahre Verständigung mit China. Der brillante Unternehmer erinnert an den unerschrockenen Donald Trump"
  • Rudi Mentär

    Leider weiß man nicht wie das ausgeht. Es könnte aussehen wie bei Meloni oder den Schweden Demokraten. Also: Nie war die Idee der Schweiz und der Volksabstimmungen so wertvoll wie heute unter der US-Hegemonie. Die Schweiz wird wohl untergehen durch die intensiven Bemühungen von Außen. Aber die Idee der Volkssouveränität mit einem charakteristischen Volk und seinen Volksabstimmungen wird bleiben

  • thomas hartl

    «Für all jene, die angesichts der realen Gefahr eines Atomkriegs in der Ukraine oder Taiwan deeskalieren wollen, würde sich mit dem Sieg eines Anti-DPP-Kandidaten – in Kombination mit einem Wahlsieg von Trump – ein schmaler Pfad in eine friedlichere Welt eröffnen.» - Die Geschichte hat leider gezeigt, dass eine Appeasement-Politik gegenüber imperialistischen, kolonialistischen und revisionistischen Regimen nicht in eine friedlichere Welt führt, sondern Appetit auf mehr erzeugt.

  • hatomune

    Der Artikel schreibt ziemlich deutlich an der Faktenlage vorbei. Das soll nicht die Chancen des Cleverles aus Taiwan in Frage stellen. FAKT ist: TSAI hat die Kommunalwahlen letzten November krachend verloren. Die Taiwanesen haben (und wollen haben) gute Beziehungen zum Mutterland. Millionen verdienen ihre Brötchen IN China! CHINA ist der bei weitem größte Handelspartner und die ök. Beziehung sind hervorragend. Nächstes Jahr sind Wahlen. Es gibt nicht nur EINE chinafreundliche Partei. Koalieren!