Stellen Sie sich vor, ein US-Präsident verkündet, dass er den ersten muslimischen Richter ernennen wird, da noch nie ein Muslim in den Obersten Gerichtshof berufen wurde. Das wäre zweifellos verfassungswidrig: Artikel VI der Verfassung besagt, dass «niemals ein religiöser Bekenntnisakt zur Bedingung für den Antritt eines Amtes oder einer öffentlichen Vertrauensstellung im Dienst der Vereinigten Staaten gemacht werden darf».

Der Geist dieses Verbots – in Verbindung mit dem 14. und dem 19. Verfassungszusatz – würde sicherlich auch auf Rasse und Geschlecht zutreffen. Würde ein Präsident ankündigen, dass er nur einen weissen Mann nominieren will, würden Verfassungsrechtler zu Recht Einspruch erheben. Worin besteht also der Unterschied?

Die Befürworter von Präsident Bidens Ankündigung werden argumentieren, dass es einen grossen Unterschied gibt zwischen dem Verbot, eine Person aufgrund ihrer Religion, ihrer Rasse oder ihres Geschlechts zu ernennen, und der ausdrücklichen Bevorzugung einer Person aufgrund dieser Kriterien.

Das ist spitzfindig. Indem er seine Wahl auf eine schwarze Frau beschränkt, hat Biden alle nichtschwarzen Frauen und Männer in Amerika disqualifiziert. Es gibt eine beträchtliche Anzahl hochqualifizierter schwarzer Frauen, und ich würde die Nominierung jeder einzelnen von ihnen begrüssen. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist die Ausgrenzung.

Wir leben in einem Zeitalter der Identitätspolitik, in dem Rasse und Geschlecht mehr zu zählen scheinen als Verdienste. Der Oberste Gerichtshof wird sich möglicherweise schon bald mit dieser Frage befassen, wenn er darüber entscheidet, ob Harvard und die Universität von North Carolina gegen das Gesetz verstossen haben, indem sie offenbar afroamerikanische Bewerber gegenüber asiatisch-amerikanischen Bewerbern bevorzugt haben.

Der Oberste Gerichtshof blickt selbst auf eine lange Geschichte der Ausgrenzung zurück: Viele Jahre war er eine Institution, die hauptsächlich weissen, protestantischen Männern vorbehalten war. Das war falsch und verfassungswidrig. Aber zwei Unrechte, auch wenn eines davon ein «gutes» Unrecht ist, ergeben noch kein verfassungsmässiges Recht.

Der Ruf der schwarzen Frau, die für die Stelle nominiert werden wird, wird durch die Ankündigung des Präsidenten beschädigt. Sie wird nicht als die am besten qualifizierte Person angesehen werden, sondern nur als die am besten qualifizierte schwarze Frau. Das ist eine Beleidigung, auch wenn es nicht beabsichtigt war.

Biden sollte Justizminister Garland anweisen, eine Liste der 25 am besten qualifizierten Kandidaten zu erstellen. Niemand sollte aufgrund von Rasse oder Geschlecht ausgeschlossen werden. Eine solche Liste würde, wenn sie fair zusammengestellt wäre, mehrere schwarze Frauen enthalten. (Kamala Harris sollte nicht auf der Liste stehen, weil sie bei Stimmengleichheit über sich selbst abstimmen müsste!)

Alan M. Dershowitz ist emeritierter Felix-Frankfurter-Professor für Recht an der Harvard Law School und gehörte dem Anwaltsteam an, das Präsident Donald Trump im ersten Amtsenthebungsverfahren des Senats vertrat.

Die 3 Top-Kommentare zu "Joe Biden will erstmals eine schwarze Frau für die Wahl zur Richterin am Supreme Court nominieren. Was der Präsident als «längst überfällig» bezeichnet, ist allerdings verfassungswidrig"
  • Edmo

    Mit der Verfassung zu argumentieren, hat etwas romantisch Nostalgisches. Ich bin versucht, ein grosses Jööööö hinzuschreiben. Wer genauer hinschaut, hat längst erkannt, dass die Verfassung seit der Machtübernahme durch Black Lives Matter (BLM) und ihrer vereinigten demokratischen Untertanen bestenfalls noch fürs Museum taugt. Oder besser gleich verbrannt wird, um sämtliche Spuren des Rechtsstaates rechtzeitig zu tilgen.

  • coronado

    Es ist doch derselbe unheilige Geist, der sowohl die Quotenfrage und die Genderdebatte entseelt. Wie kommt eine Gesellschaft aus diesem Sumpf heraus? Wie entledigt sich ein demokratischer Staat diesen Geistern, die er rief?

  • Alpenfurz

    Danke an die WW, dass ihr Alan Dershowitz abdruckt.