Die Bürger der sieben grössten westlichen Industrieländer sind von ihren Regierungen enttäuscht. Deshalb werden die alten Garden bei Neuwahlen fast systematisch abserviert. Der nächste Dominostein, der wohl fallen wird, heisst Kanada. Der kanadische Regierung Justin Trudeau dürfte am 27. Januar 2025 vorzeitig aus dem Amt katapultiert werden. Damit dürfte die langjährige Ära Trudeau enden, die mit Pierre Trudeau (Premier von 1968 bis 1984, mit kurzer Unterbrechung), dem Vater des noch amtierenden Regierungschefs, begann.

Die wichtigsten Verbündeten von Trudeaus Minderheitsregierung, die Neuen Demokraten (NDP), erklärten am 20. Dezember 2024, sie würden einen Misstrauensantrag gegen den Regierungschef stellen, sobald das Unterhaus am 27. Januar 2025 aus der Winterpause zurückkehre. Schon im Oktober hat ein Dutzend Parlamentarier seiner eigenen Liberalen Partei Trudeaus Rücktritt gefordert. Seit Sommer 2024 haben neun Minister entweder ihren Rücktritt oder einen Verzicht auf eine Wiederkandidatur bei den ordentlichen Wahlen 2025 angekündigt.

Die NDP, die oppositionellen Konservativen und der Bloc Québécois verfügen über genügend Stimmen, den Regierungschef mit einem Misstrauensvotum nach neun Jahren in die Wüste zu schicken. Bei Neuwahlen werden wohl die Rechtskonservativen obsiegen. Trudeau hatte zuvor angekündigt, dass er bei den nächsten ordentlichen Wahlen, die spätestens im Oktober 2025 stattfinden müssen, nochmals kandidieren werde. Aber daraus wird wohl nichts. Zwei Drittel der Kanadier sind mit seiner Regierung unzufrieden.

Grund für den bevorstehenden Regierungssturz war auch in Kanada die Wirtschaft, konkret die hohe Teuerung und eine Immobilienkrise. Das reale BIP ist zwar seit 2015 bis 2024 um fast 17 Prozent gewachsen, aber pro Kopf gerechnet resultierte praktisch ein Stillstand, denn die Bevölkerung nahm gleichzeitig um über 15 Prozent zu. Die Arbeitslosenrate ist von 4,9 Prozent im Juli 2022 auf 6,8 Prozent im November 2024 angestiegen. Aber auch die wachsende Staatsverschuldung, die während der Amtszeit von Trudeau gemäss IMF von 92,3 Prozent auf heute 107,5 Prozent angestiegen ist, nervt die Bevölkerung.

Schon vor dem Ausscheren der NDP kam es in der Regierung Trudeau zu einem Eklat, indem Vize-Regierungschefin und Finanzministerin Chrystia Freeland ihr Amt niederlegte. Sie gilt als eine der loyalsten und engsten Stützen des Trudeau-Regierungsteams. Sie kritisierte den Premier wegen dessen Fiskalpolitik und der mangelhaften Vorbereitung auf die von Donald Trump angedrohten 25 Prozent Strafzölle auf kanadische Exporte in die USA. Politbeobachter glauben, dass sie das Boot noch vor dem Absinken verlassen wollte. Freeland plante ein Sparbudget, um genügend finanziellen Spielraum für allfällige Nothilfen zu schaffen, falls es wegen der Strafzölle zu Problemen kommen sollte. Einige Schlüsselindustrien wie Stahl, Aluminium, Energie und Holz könnten massiv zu leiden haben und das gesamte Land in eine Rezession abstürzen lassen. Trudeau wiederum wollte unverändert Geld verjubeln, wie wenn es kein Morgen gäbe. Noch vor kurzem lancierte er ein Konjunkturprogramm über 6 Milliarden kanadische Dollar mit einer Mehrwertsteuer-Reduktion auf spezifische Güter und eine Einmalzahlung an achtzehn Millionen Kanadier.

Neuer Finanzminister wird Dominic LeBlanc, ein langjähriger Weggefährte von Trudeau. Die jüngste überhastete Umschichtung des Kabinetts wird die Regierung Trudeau aber kaum mehr retten können, denn es ist Trudeau selbst, der überall aneckt. Politbeobachter sprechen von der grössten Krise der Regierung Trudeau. Um Neuwahlen zu verhindern, könnte Trudeau freiwillig zurücktreten und einem Nachfolger aus den eigenen Reihen Platz machen. Als Nachfolger wird neben Dominic LeBlanc der Zentralbankchef Mark Carney gehandelt.

Freeland wird im Parlament verbleiben und bei den nächsten Wahlen wieder kandidieren. Sie war früher Aussenministerin und hat mit der früheren Regierung Trump über das Freihandelsabkommen verhandelt und einen akzeptablen Kompromiss erreicht. Ein Regierungswechsel wäre mit Blick auf die anstehenden erneuten Verhandlungen mit den USA durchaus positiv zu werten, denn Premier Trudeau gehört zu den von Präsident Trump verabscheuten Staatschefs.

Die Verhandlungen mit Trump sind von extremer Wichtigkeit. Mexiko und Kanada wickeln rund drei Viertel ihrer Exporte mit den USA ab. Mexiko ist der grösste, Kanada der drittgrösste Handelspartner der USA. Kanada ist zudem Mexikos drittgrösster Exportmarkt. Premier Trudeau wollte im Alleingang mit Trump verhandeln und Mexiko als dritten Partner der Nafta mit den USA ausbooten. Mexiko gilt als Chinas Einfallstor, um sich in der Freihandelszone einzunisten. Mexikos stellvertretender Handelsminister behauptet allerdings, dass 68 Prozent der chinesischen Investitionen in Nordamerika in den USA getätigt würden, weitere 31 Prozent in Kanada und nur 0,4 Prozent in Mexiko.

Als nächster Premier wird wohl Pierre Poilievre aufrücken, dessen Konservative Partei in den Umfragen (aktuell: 43,2 Prozent) seit einem Jahr um rund 20 Prozentpunkte vor Trudeaus Liberalen (21,6 Prozent) liegt. Er will im Gegensatz zu früheren Tory-Führern eine programmatisch völlig andere Politik als Trudeau betreiben, eine sparsame Fiskalpolitik, eine Abkehr vom kulturellen Linksdrall und von der Feindlichkeit gegenüber fossilen Energieträgern.