Nein, Angela Merkel ist keine grosse Rednerin. Aber eine über viele Amtsjahre geschulte. Sie spricht klar, nüchtern und sachlich.

Leidenschaften sind nicht ihr Ding. Realitätssinn dafür umso mehr. Eine Kostprobe dieser sachlichen Vernunft gab sie in der vergangenen Woche anlässlich der 1100-Jahr-Feier im niedersächsischen Goslar. 

Spätestens seit dem 24. Februar, im Grunde seit der Annexion der Krim 2014, würde Russland jene völkerrechtlichen Prinzipien zerstören, auf die man sich im Rahmen der KSZE und der Charta von Paris gemeinsam mit der damaligen Sowjetunion verständigt habe, so die ehemalige Kanzlerin.

EU und Nato hätten daher zu Recht Position bezogen, um die Ukraine unterstützten. 

«Gleichzeit», so Merkel weiter, müsse klar sein, «dass wir, auch wenn es eines sehr langen Atems bedarf, (…) im Rahmen der völkerrechtlichen Prinzipien an einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur unter der Einbeziehung Russlands arbeiten müssen.»

Was für wohltuenden Worte! Welch Stimme der Vernunft!

Ja, natürlich wird es Frieden in Europa nur mit Russland geben. Ja, natürlich wird man sich an einen Tisch setzen und miteinander reden müssen. Ja, natürlich benötigen wir eine gesamt-ost-mitteleuropäische Friedensarchitektur.

Und natürlich brauchen wir wieder kulturellen, politischen und wissenschaftlichen Austausch mit Russland. Dafür ist das Land zu gross, zu mächtig und zu bedeutend. Es zu ignorieren, bedeutet das Gegenteil von Frieden. 

In normalen Zeiten wären solche Banalitäten keine Meldung wert. Doch wir leben nicht in normalen Zeiten. Hass und Borniertheit bestimmen die öffentliche Debatte. Aggressive Selbstgerechtigkeit ist die herrschende Tonlage.

Entsprechend brach eine Welle der Entrüstung über die ehemalige Kanzlerin herein. Allen voran der unvermeidliche Andrij Melnyk. «Kaum zu fassen», schäumte der sogenannte Diplomat. Eine Einbeziehung Russlands, das klinge für die Ukraine fast pervers. 

Nun, pervers ist allenfalls derjenige, der schon das Reden von Frieden für ein Verbrechen hält und sich in seinem selbstgefälligen Wahn jeder Realität verschliesst.

Die Altkanzlerin hat recht. Russland muss in eine europäische Sicherheitsarchitektur einbezogen werden. Und das so bald wie möglich. Hass und Rachsucht hingegen verstetigen den Krieg und machen die derzeit gefährliche Lage noch gefährlicher. Angela Merkel hat uns daran erinnert. 

Die 3 Top-Kommentare zu "Stimme der Vernunft: Ex-Bundeskanzlerin Merkel erinnert daran, dass es Frieden in Europa nur «unter der Einbeziehung Russlands» geben wird"
  • gpc

    Welch Erläuchtug der Dame. Wenn ich mich nicht irre, war Sie Bundeskanzlerin als die Minsker Verträge erstellt wurden. Darin steht, dass Deutschland und Frankreich die Garanten sind, dass die Ukraine die Bedingungen erfüllt. Und was ist passiert? Die Ukrainer haben alles ignoriert (was sie ja dann auch selbst zugegeben haben). Und was haben F und D gemacht? Richtig, gar nichts. Und jetzt möchte Sie Ratschläger erteilen?

  • HJM

    A Merkel ist gar nicht mein Fall, aber in dem Punkt hat sie recht. Es geht nur mit Russland weiter. Msn kann kein Land auf diesem Planeten ausgrenzen. KEIN LAND!!!!

  • Schweizer-im-Ausland

    Die Merkel überrascht noch einem in ihren alten Tagen. Bravo! Dass die Ukraine, speziell der Botschafter sich so äussert ist nicht verwunderlich. Verwunderlich ist, dass die deutsche Regierung, allen voran die EU diesen Botschafter nicht massregelt!