Die Demokratie kommt zurück. Nachdem rund zwei Jahrzehnte in Deutschland zwischen mehr oder weniger grossen Koalitionären ein erzwungener Burgfrieden herrschte und Wähler nicht wussten, ob sie sich für einen rotgefärbten Schwarzen, für einen schwarzgefärbten Roten oder nicht doch am Ende für lauter Grüngefärbte entscheiden sollen, werden nach der verlorenen Vertrauensfrage jetzt die echten Fronten sichtbar. Es ist herrlich – und fast wie früher.

«Fritze Merz erzählt gern Tünkram», sagt der Kanzler ohne Vertrauen Olaf Scholz über seinen Herausforderer Friedrich Merz. Was das bedeute? «Das ist einfach, wenn man dumm …» – Scholz macht eine kurze Pause und vollendet den Satz im öffentlich-rechtlichen ZDF dann so: «Wenn man frei erfundenes Zeug zusammenredet.» Momente später reagiert Merz tödlich beleidigt: «Ich verbitte mir das, dass der Herr Bundeskanzler mich in dieser Art und Weise hier persönlich bezeichnet und angreift.» Der CDU-Abgeordnete Andreas Mattfeldt springt dem Chef zur Seite: Scholz sei bei seiner Beschreibung von Merz ein bisschen «bregenklöterich» gewesen. Das Wort bedeutet so viel wie «wirr». Und CSU-Chef Markus Söder, sonst im Austeilen nicht verlegen, fragt: «Ist es sittliche Reife, abends in einer Fernsehsendung Namen versuchen zu verunglimpfen?» Natürlich liefert er gleich selbst die Antwort und wertet Scholz’ Fritze-Spruch als «ein Zeichen von Hilflosigkeit, aber auch von Respektlosigkeit». Scholz sei «kein Vorbild mehr für die Demokratie und ist der peinlichste Bundeskanzler, den unser Land je hatte». Merz findet ihn jetzt «zum Fremdschämen».

Die ganze Bande erreicht allerdings längst nicht das Niveau, das ihre Vorgänger vor einem halben Jahrhundert pflegten. Da sagte der legendäre Franz Josef Strauss Legendäres wie etwa über den FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher: «Der Genscher ist eine armenische Mischung aus marokkanischem Teppichhändler, türkischem Rosinenhändler, griechischem Schiffsmakler und jüdischem Geldverleiher – und ein Sachse.» Kanzler Helmut Kohl betitelte er als «Filzpantoffel-Politiker», und über den «eisernen Kanzler» Helmut Schmidt wusste er: «Im Vergleich zu Helmut Schmidt war Wilhelm II. geeignet, eine Diplomatenschule zu leiten.»

Strauss zu übertreffen, gelang bei der SPD allenfalls deren Chef Herbert Wehner. Er sagte über den eigenen Kanzler Willy Brandt: «Der Kanzler badet gern lau – so in einem Schaumbad.» Und der CDU-Abgeordnete Jürgen Wohlrabe erntete unsterblichen Ruhm, weil Wehner ihn als «Übelkrähe» und später als «Schwein» beschimpfte.

Während so etwas dereinst mit Lust und Spott und natürlich auch Empörung kommentiert wurde, schwingt heute die Medienmehrheit die Moralkeule. Über das «Geholze von Scholze» klagt die FAZ, und vom «Duell der Beleidigungen» spricht die Süddeutsche Zeitung. Dabei ist das Ganze nichts weiter als die Rückkehr zum Streit. Und was gibt es Demokratischeres, als sich zu streiten?