Die forcierte Abservierung des obersten Reformierten Gottfried Locher, über die wir mehrfach berichtet haben, war eine bühnenreife Intrige, aber sie ist auch selbstverschuldet. Die Art und Weise, wie der frühere Präsident des Rats der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) aus seinem Amt gedrängt, ja regelrecht gemobbt wurde, widerlegt das hohe moralische Selbstbild, das einige Gegnerinnen und Gegner Lochers von sich selber kultivieren. Es war unfair und hinterhältig. Möglicherweise spielen falsche Anschuldigungen eine Rolle. Aber man macht es sich zu leicht, wenn man den Vorgang auf diese Niedrigkeiten reduziert.
Locher scheiterte letztlich nicht aufgrund amouröser Verstrickungen. Sein erzwungener Rücktritt war vor allem die Folge eines Aufstands, den er dadurch provoziert hatte, dass er den Reformierten ein falsches Konzept verpassen wollte. Inhaltlich lag er in vielem richtig. Locher wollte die Reformierten zurück zu den Wurzeln führen, zurück zur Theologie, zurück zur reformierten Botschaft, die seiner Ansicht nach zu wenig verkündet und gelebt wurde, unterging in einer Sauce modisch gefälliger Ideologien. Seine Diagnose war richtig, aber die Methode war falsch, mit der er sich an eine Lösung machte.
Die Waffe der Reformierten ist das Wort, die Kanzel ihre Burg. Die protestantischen Rebellen des 16. Jahrhunderts wandten sich gegen den Vatikan, weil sie in der institutionalisierten Kirche eine fürchterliche Machtanmassung sahen, eine Art Selbstvergottung des Menschen im Namen Gottes. Niemals aber wäre es einem Zwingli in den Sinn gekommen, den Vatikan mit einem Gegenvatikan zu bekämpfen. Im Gegenteil. Den Päpsten und Kardinälen schleuderte er die Kraft seiner Sätze und seines Glaubens entgegen. Nicht auf die Autorität eines Amts stützte er sich, sondern auf die Bibel, Gottes Wort.
Locher wollte das Malaise der Reformierten durch neue Hierarchien bannen. Fasziniert von den Ritualen und Symbolen der Katholiken und Anglikaner, strebte er danach, die kalte reformierte Gedankenwelt sinnlicher zu gestalten. Möglicherweise hatten es ihm auch die Grossauftritte eines Papst Benedikt XVI. angetan, der mit seinen Reden vor Tausenden von Jugendlichen den Beweis antrat, dass die katholische Kirche immer noch charismatauglich war. Locher sah sich, wenn nicht als Papst, so doch wenigstens als Bischof an der Spitze seines Konstrukts einer reformierten Einheitskirche.
Sosehr er sich auch Mühe gab, den Eindruck zu zerstreuen, er wolle den Protestantismus ins Korsett katholischer Strukturen zwängen, Locher reizte mit seinen Plänen den anarchischen Zentralnerv, das urwüchsige Widerstands-Gen der Reformierten. Auch unqualifizierter Unmut brandete ihm entgegen. Linkstheologen und kirchliche Gutmenschen fühlten sich vom geschmeidigen Bürgerlichen aus Bern bedroht. Doch die Auflehnung ging tiefer. Es war wie die Abwehrreaktion eines Immunsystems auf einen ihm fremden Organismus. Locher wollte eine aus dem Protest geborene Glaubensbewegung auf dem Reissbrett seiner Organigramme bändigen. Das konnte nicht gelingen.
Die Frauenintrige war nur das Symptom eines Unbehagens, das sich anders offenbar nicht mehr artikulieren konnte. Lochers theologische Gegner waren zu schwach, um ihn in einer offenen Auseinandersetzung zu stellen, zu widerlegen. So sägten sie ihn mit einem miesen Hinterzimmermanöver ab, mit einem Verzweiflungsangriff aus dem Hinterhalt, der den Mann traf, aber eigentlich die von ihm installierten Hierarchien meinte. Die Art und Weise, wie sie ihn abservierten, bestätigte unfreiwillig Lochers Diagnose, dass es mit den Reformierten nicht zum Besten stehen kann.
Locher machte und analysierte vieles richtig, aber im Entscheidenden lag er falsch: Die Reformierten brauchen keine «Kirche», keinen Bischof, keine Präsidenten, keinen Chef. Es braucht mutige Männer und Frauen, die auf eine Kanzel steigen, um die Botschaft zu verbreiten. Die Reformation wirkte nicht über Hierarchien, sie wirkte über Worte. Gottfried Locher hätte als einfacher Pfarrer, der das Richtige predigt, mehr bewegt. Wenn er es ernst meint, wird er, befreit von seinen Ämtern und Strukturen, weiterkämpfen.
Mit seiner Rede zum amerikanischen Unabhängigkeitstag, einer seiner besten, hat US-Präsident Donald Trump womöglich den Wahlkampf neu lanciert. Anstatt dauernd von sich selbst zu sprechen, stellte er die amerikanischen Werte und ihre historischen Wurzeln ins Zentrum. Gegen die «linke Kulturrevolution» der Denkmalstürmer auf den Strassen und an den Universitäten positionierte sich der Präsident als Gralshüter der Amerikanischen Revolution auf der Grundlage der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776. Trump klärte die Fronten.
«Wütende Mobs», sagte er, «versuchen, die Statuen unserer Gründer niederzureissen, unsere heiligsten Denkmäler zu verunstalten und eine Welle von Gewaltverbrechen in unseren Städten auszulösen.» Und fuhr fort: «Eine ihrer politischen Waffen ist es, Kultur auszulöschen, Menschen von ihren Arbeitsplätzen zu vertreiben, Andersdenkende zu beschämen und von jedem, der anderer Meinung ist, totale Unterwerfung zu fordern.» Für diesen «Totalitarismus» gebe es in den Vereinigten Staaten «absolut keinen Platz», sagte Trump.
Das sind kräftige, direkte Worte, aber sie sind nicht «spalterisch», wie die NZZ behauptete, oder sie sind es höchstens dann, wenn man es für selbstverständlich erachtet, dass in den USA mittlerweile schon die Denkmäler der Staatsgründer George Washington und Thomas Jefferson ins Visier der Jakobiner kommen. Zu Recht rief Trump in Anspielung auf den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King dazu auf, das amerikanische Erbe nicht abzureissen, sondern diesem Erbe gerecht zu werden. Die «Mission der Gerechtigkeit» verlange, dass sich die Amerikaner ihre Gründungsideale «voll und ganz zu eigen machen».
Hätte ein Barack Obama oder ein Bill Clinton solche Worte gesprochen, wären sie als Gipfel der Weisheit gepriesen worden. Bei Trump aber schreibt die Nachrichtenagentur AP, eigentlich einer gewissen Neutralität verpflichtet, er pushe «rassische Zwietracht». Das sind krasse Unwahrheiten. Solange Trumps Gegner dem Radikalismus nicht abschwören und dem Präsidenten das Terrain des amerikanischen Patriotismus der Freiheit und Unabhängigkeit auf diese Weise überlassen, wird er sie trotz schlechten Umfragen bei den Novemberwahlen erneut besiegen.