Kürzlich bestaunten wir am Rhein die von den Architekten Herzog und de Meuron errichteten Doppeltürme des Basler Pharmakonzerns Roche. Hoch ragen sie über die Stadt hinaus, ein architektonischer Triumph, Denkmal fantastischer Erfolge, aber vielleicht auch eine elegante, durchaus unverkennbare Mahnung an die Basler, nicht zu vergessen, wer am Platz die meisten Steuern zahlt.

Roche ist vor über 125 Jahren gegründet worden. Niemand hätte gedacht, dass sich aus den bescheidenen Anfängen die grösste Apotheke der Welt entwickeln würde. Man müsste den Gründerfamilien rückwirkend, wenn es ihn denn gäbe, den Nobelpreis für messbare Weltverbesserung verleihen. Dank den Medikamenten und Tabletten aus Basel sind Abermillionen von Menschen von Schmerzen geheilt, von ihren Krankheiten und Gebrechen befreit worden.

Es ist eine Geschichte von bezwingender Symbolkraft. Sieht man von Wasser, schönen Bergen und sauberer Luft ab, ist die Schweiz ein Land ohne Rohstoffe. Der Platz ist beschränkt, die Lebensbedingungen sind rau. Der «Standort», wie die Ökonomen sagen, taugt nicht zur welterobernden Massenproduktion zu Billigpreisen. Ihre Kleinheit und Armut verdammte die Schweiz zur Innovation und Weltoffenheit. Hohe Wertschöpfung musste das Ziel sein.

Die Basler Chemiker und Pharmazeuten machten aus dem Mangel eine Goldgrube. Sie mischten Pülverchen und Substanzen, um Rohstoffe künstlich herzustellen, wo die Natur keine hergab. Roche, aber auch die Unternehmen, die heute Novartis heissen, wurden zu Menschenmagneten, zum Sehnsuchtsort talentierter Wissenschaftler und Unternehmer, die aus lokalen Firmen globale Konzerne zimmerten – und alle Stürme und Kriege des Jahrhunderts überstanden.

Nicht nur die Basler, alle Schweizer sollten stolz darauf sein, dass solche ruhm- und traditionsreichen Organisationen, die nicht der Staat, sondern private Initiative hervorbrachte, nach wie vor in der Schweiz ihren Hauptsitz haben. Vielleicht haben wir uns an den Anblick von avantgardistischen Roche-Türmen oder altehrwürdigen Unternehmensbauten bereits so sehr gewöhnt, dass wir verlernt haben, den Reichtum, den sie verkörpern, nicht für selbstverständlich zu erachten.

Roche beschäftigt heute weltweit rund 100 000 Mitarbeiter, macht sechzig Milliarden Franken Umsatz im Jahr, das entspricht fast einem jährlichen Gesamthaushalt des Bundes, und ist an der Börse rund 300 Milliarden Franken wert. Titanische Zahlen. In ähnlichen Sphären bewegt sich Lokalrivale Novartis mit ebenfalls rund 100 000 Mitarbeitern. Dagegen nehmen sich die grossen Zürcher Banken wie Kleinbetriebe aus. Die Basler Pharmaindustrie – ein Schweizer Wirtschaftsweltwunder.

Es ist alles andere als selbstverständlich, dass sich die Aktienmehrheit weiterhin im Besitz einer mit der Firma eng verbundenen Familie befindet. Roche, aber auch Novartis stehen zudem für die Attraktivität unserer Schweiz für hervorragende Manager. Brillante Unternehmensführer aus dem In- und Ausland haben beide Konzerne zu dem gemacht, was sie heute sind und hoffentlich noch lange bleiben werden. Die Behauptung, die Schweiz sei für Ausländer ein unfreundliches Pflaster, geht fehl.

Allerdings: Auch grossartige Konzerne können abheben. Erfolg ist eine gefährliche Droge. Wenn es den Firmen am besten geht, passieren die grössten Dummheiten. Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Folge von guten Tagen. Gut möglich, dass in der 50. Etage eines Schweizer Weltkonzerns die Sorgen der Leute, deren Leben weit unten am Boden stattfindet, etwas aus dem Blick gerät. Die ganz unten sieht man nicht so gut.

Die Schweiz ringt mit dem Problem der Massenmigration. Das Land zieht mehr Leute an, als es verkraften kann. Jedes Jahr wandert eine mittelgrosse Stadt ein. Kein Schweizer ist gegen Ausländer, aber die Dosis macht es aus. Anders als Australien oder die USA haben wir keine riesigen unbesiedelten Landreserven. Mieten und Bodenpreise steigen, die Löhne stagnieren. Das ist eine Mischung, die soziale Spannung produziert.

Für die Sorgen und den Unmut der Betroffenen am Boden zeigen die Roche-Manager in ihrem Turm erstaunlich wenig Musikgehör. Kann es sein, dass sie ihre Interessen allzu eng abzirkeln? Für die Konzernleitung sind Bestrebungen, die auf eine Eindämmung der Migration abzielen, ein Angriff auf die Firma. Man finde keine Fachkräfte mehr, heisst dann der Vorwurf, von allen Medien unkritisch verbreitet. Das Ansehen der Firma ist so gross, dass fast niemand die Chefs zu hinterfragen wagt.

Wir machen es trotzdem, aus dem Geist des Respekts und der Bewunderung heraus. Roche ist ein geniales Unternehmen, geführt von hochintelligenten Menschen, führend in den Bereichen wie Virologie, Immunologie, Onkologie, erfolgreich tätig in einer der grössten Wachstumsbranchen der Welt. Für so ein Unternehmen werden gute Chefs immer gute Leute finden. Finden sie die guten Leute nicht, leidet das Unternehmen nicht unter einer falschen Politik, sondern unter falschen Chefs.

Viele Konzernleitungen sind allzu rasch bereit, den Bundesrat, die Schweiz zu drängen, man möge doch die Forderungen der Europäischen Union erfüllen. Die EU will möglichst offene Grenzen. Die Konzernchefs wollen ein möglichst grosses Reservoir an Arbeitskräften. Beides dient aber nicht den mittel- und langfristigen Interessen der Schweiz, ihrer Sozialwerke und der hier bereits lebenden Menschen.

Wie kommt es, dass ein äusserst erfolgreiches Schweizer Privatunternehmen sich die Forderungen einer ausländischen staatlichen Behörde fast eins zu eins zu eigen macht? Vielleicht liegt es in diesem Fall daran, dass der Staat ganz generell sehr tief, zu tief in die Pharmaindustrie hineinregiert. Die Medizin ist staatlich kontrolliert. Medikamente brauchen Bewilligungen. Die Preise sind oft eine Frage politischer Absprachen. Daraus ergeben sich Abhängigkeiten und Interessenkonflikte.

Roche hat zwei Weltkriege und mehrere Rezessionen überlebt. Die Firma wird auch die aktuellen Misshelligkeiten zwischen der Schweiz und der Europäischen Union um die Personenfreizügigkeit und die von Brüssel gewollten institutionellen Anbindungen überstehen. Roche wird immer gute Leute finden, solange sich die Führung auf das Wesentliche konzentriert: die Entwicklung und Herstellung von exzellenten Produkten seit über 125, äusserst erfolgreichen Jahren. R. K.

Die 3 Top-Kommentare zu "Schweizer Wirtschaftsweltwunder Roche"
  • Laila

    Tatsache ist: Die Verbesserung der Volksgesundheit in der Schweiz in den letzten 200 Jahren ist nicht den Medikamenten und Tabletten der Pharmaindustrie zu verdanken sondern zu 90% der Verbesserung der Lebensbedingungen: verbesserte Hygiene, trockene Wohnungen, Arbeitnehmerschutz, Schulzahnpflege, Krankheitsprävention und und und. Im Gegenteil: Am heutigen todkranken Gesundheitswesen ist massgeblich die Pharmaindustrie schuld, für die nur kranke Menschen eine Existenzberechtigung haben.

  • beograd

    Für Roche ist das in Ordnung ... ausser in den letzten zwei Jahren, als sie das Volk "gezwungen" haben, sich mit FAKE-Tests testen zu lassen, und dann vor Angst unter die Nadeln zu laufen. Niemand wird diese Phase von Roche vergessen und die Zeit, als sie ihre Seelen um des Profits willen an Satan verkauften und diese FAKES unter Menschen brachten um sie zu verwirren.

  • Jacob Tomlin

    Was er nicht wissen kann als jüngerer Zürich-Konzentrierter: 1. Roche ging fast bankrott, nachdem der Erfolg von Rohypnol/Valium einen Höhenrausch verursacht hatte. 2. Früher waren die Chefs und Chemiker Schweizer. Wenigstens ist Dr. Schwan als Österreicher ein halber. Die globalisiertere amerikanisch-indische Novartis ist zurückgefallen. .