Ich gebe es ja zu: Ich bin mit gemischten Gefühlen an das World Economic Forum (WEF) nach Davos gereist. Eine solche Veranstaltung ist grundsätzlich immer eine Gratwanderung. Hier tauscht sich eine schier unübersichtliche Anzahl von Menschen aus der ganzen Welt zu einer ebenso unübersichtlichen Anzahl von Themen aus. Da fragt man sich unwillkürlich: Macht das wirklich Sinn? Kann aus einem solchen Schnelldurchlauf von Themen und Gesprächen überhaupt Substanzielles resultieren? Ist es nicht vielmehr eine gewaltige Prestigeveranstaltung, bei der Dabeisein alles und Inhalt eher nebensächlich ist?

Es scheint mir legitim, sich solche Fragen zu stellen. In Zeiten der weltweiten Vernetzung, der ausgedehnten Reisediplomatie und der wirtschaftlichen Globalisierung darf man sich getrost fragen, was denn eine Veranstaltung wie das WEF überhaupt bringt, um sich zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch besser auszutauschen.

Meine Antwort ist mehrschichtig: Einerseits muss man die Erwartungen an eine solche Veranstaltung kritisch betrachten. Ein WEF, und sei es auch noch so gut konzipiert, wird die Welt weder retten noch in den Ruin treiben! Ein WEF alleine wird die drängenden Probleme der heutigen Welt nicht lösen können. Es wird auch neben dem WEF unzählige Anstrengungen aller gesellschaftlichen Gruppierungen brauchen, um die grossen Probleme der Menschheit nicht nur zu erkennen, sondern zum Wohl der Menschen auch zu lösen.

Davos ist derzeit die wichtigste Speed-Dating-Plattform der Welt.

Auf der anderen Seite kann das WEF eine ganz bedeutende Rolle spielen, wenn es darum geht, wichtige Themen, drängende Zukunftsfragen und akute Missstände zu benennen, ihnen eine Plattform zu geben und damit das Bewusstsein von Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu schärfen. Das WEF kann Leute zusammenbringen, die sich sonst nicht begegnen würden. Man kann voneinander lernen und Kontakte knüpfen, die sonst nicht oder nur schwer und niemals in dieser Vielfalt möglich wären.

Das scheint mir das Wichtigste am WEF zu sein: Man hat die Möglichkeit, effizient Leute aus aller Welt zu treffen und mit ihnen zu diskutieren. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob sich diese Gespräche primär um das eigentliche Forum-Thema drehen oder ob andere Aspekte im Vordergrund stehen. Wichtig ist, dass der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft mit unterschiedlichen Weltbildern stattfindet und gefördert wird. Darin liegt der Wert dieser Veranstaltung: Nirgendwo sonst kann man in so kurzer Zeit so viele verschiedene Entscheidungsträger aus allen Bereichen treffen. Davos ist derzeit die wichtigste Speed-Dating-Plattform der Welt.

Ein erstes Treffen, und sei es nur kurz, ist der erste Schritt, der Türöffner für spätere, vertieftere Gespräche. Und wenn die Welt von heute eines wirklich braucht, dann ist es die Gesprächsbereitschaft aller. Die grossen Probleme dieser Welt sind ausnahmslos solche, bei deren Bewältigung viele verschiedene Stakeholder miteinander sprechen und zusammenarbeiten müssen: Staat und Privatsektor, Wissenschaft und Praxis, In- und Ausland, Wirtschaft und Gesellschaft, Alt und Jung. Wenn das WEF für diesen Prozess des umfassenden Dialogs Anstösse geben kann, ist sein Zweck erfüllt.

Und, was ist mir nun geblieben nach dem ersten Tag in Davos? Zunächst einmal der Respekt für die vielen Tausende von Helfern, die diesen Anlass erst ermöglichen. In eisiger Kälte wird der Verkehr geregelt, es werden freundlich und mit unendlicher Geduld Auskünfte an immer wieder ahnungslose Teilnehmer erteilt, die unzähligen Veranstaltungen werden mit grosser Hingabe organisiert und durchgeführt. Das Zweite, was mich stark beeindruckt hat, ist der enorme Aufwand, mit dem sich vor allem Staaten und Firmen aus Schwellenländern präsentieren. Sie scheinen das WEF enorm zu schätzen, um ihre vielfältigen Beiträge an die technologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen unseres Planeten darzustellen und entsprechende Kooperationsmöglichkeiten auszuloten.

Und das dritte wirklich positive Erlebnis meines ersten Tages: Man kann hier mit hochrangigen Entscheidungsträgern aus Politik und Gesellschaft ganz ungezwungen einen Kaffee trinken und gute Gespräche führen. Ich habe in den ersten neunzig Minuten am heutigen WEF-Tag mit mehr Bundesräten, Staatssekretärinnen und Verwaltungsratspräsidenten bedeutender Unternehmen gesprochen, als es sonst in drei Monaten möglich wäre. Der Dialog mit diesen Leuten macht die Welt nicht schlagartig besser. Aber ohne Dialog würde die Welt definitiv schlechter!

Christoph Mäder ist Präsident des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse.