Wien

Die Schweizer Neutralität war für Österreich lange Zeit ein gutes Vorbild. Sie ist seit mehr als 200 Jahren sinnstiftend für den Schweizer Staat und wurde daher besonders hoch geschätzt und gut behütet – auch mit einer starken Armee, über die Österreich durch jahrzehntelange falsche Politik längst nicht mehr verfügt. Derzeit hat sich das Verhältnis zwischen Österreich und der Schweiz jedoch umgekehrt. Jetzt geben wir das neutralitätspolitische Vorbild für die Eidgenossenschaft – ein schlechtes Beispiel freilich. Denn nun will auch das Schweizer Parlament dem Präsidenten der Kriegspartei Ukraine eine Bühne bieten. Im Hohen Haus in Wien sprach er schon im März via Videoschaltung.

Sanktions-Musterschüler Österreich

Österreich ist kraft seiner Verfassung ein neutraler Staat. Die immerwährende Neutralität ist ein Eckpfeiler unseres Selbstverständnisses und die Rede eines Vertreters einer kriegführenden Partei im Herzen unserer Demokratie daher ein absoluter Tabubruch. Dies umso mehr, als die Neutralität besonders in den ersten Jahrzehnten ihres Bestands in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von den Spitzen der Republik geschickt genutzt wurde, so dass sie nicht nur zum innenpolitischen Anker, sondern auch zum aussenpolitischen Trumpf wurde, wenn es galt, sich in Krisen und Kriegen als Vermittler anzubieten. Nicht zuletzt deshalb ist Wien – wie auch Genf – Sitz zahlreicher internationaler Organisationen.

An diese aussenpolitische Erfolgsgeschichte verschwendete Österreichs Regierung keinen einzigen Gedanken, als im Februar 2022 Russland den Krieg in der Ukraine begann. Da war plötzlich die Rede davon, dass uns die Neutralität «von den Sowjets aufgezwungen» worden sei, wobei Bundeskanzler Nehammer offensichtlich darauf spekulierte, dass die Bürger die Sowjets von damals mit den Russen von heute gleichsetzen und die Neutralität ganz im Sinne der begleitenden Kriegsrhetorik als Unterdrückungsinstrument des Feindes identifizieren würden – quasi als letztes Relikt aus der Besatzungszeit. Doch das Gegenteil war der Fall. Umfragen beschieden der Neutralität ungebrochenen Zuspruch von teilweise mehr als 90 Prozent der Bürger. Die Regierung musste zurückrudern, beschränkte sich dabei aber auf Worte und liess ihnen keine entsprechenden Taten folgen.

Denn in Brüssel gibt Österreich nach wie vor den Musterschüler, wenn es gilt, ein Sanktionspaket nach dem anderen gegen Russland abzufeuern. Neben der Neutralitätsproblematik muss hier auch auf die offensichtliche Wirkungslosigkeit hingewiesen werden, zumal viele der Massnahmen den Strafenden mehr Schaden bescheren als den Bestraften. Ohne jeden Protest und zum Teil sogar ohne Genehmigung rollen durch Österreich umfangreiche Waffentransporte für die Kriegspartei Ukraine. Und als symbolischen Tiefpunkt dieser neutralitätsverletzenden Politik lud man den ukrainischen Präsidenten ein, per Video an die österreichischen Nationalratsabgeordneten zu sprechen.

Weil wir Freiheitliche gegen diesen Plan energisch protestierten, schrumpfte die Aktion von der geplanten Rede Wolodymyr Selenskyjs im Rahmen einer offiziellen Parlamentssitzung zur Teilnahme an einer privaten Veranstaltung des umstrittenen Parlamentspräsidenten. Wir FPÖ-Abgeordnete verliessen nach Beginn der Rede den Saal und hinterliessen auf unseren Bänken Schilder mit der Aufschrift «Platz für Frieden» und «Platz für Neutralität». Die Hälfte der Sozialdemokraten – offiziell meist mit der Regierung auf einer Linie – blieb der Veranstaltung fern und bewies damit, dass es auch in anderen Parteien massive Vorbehalte gegenüber der neutralitätszersetzenden Politik der jetzigen Staatsspitzen gibt.

Keine Bühne für Propaganda

Auch wir Freiheitliche verurteilen den Krieg in der Ukraine selbstverständlich als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg – und unbeschadet der österreichischen Neutralität können wir ihn auch als solchen bezeichnen und den Aggressor Russland beim Namen nennen und tadeln. Daraus ergibt sich jedoch keineswegs das Recht zur vorbehaltlosen Teilnahme an Sanktionen, die längst die Dimension eines Wirtschaftskriegs erreicht haben. Und genauso wenig geziemt es sich, das Haus der österreichischen Demokratie einem der Kriegspräsidenten als Propagandabühne zu leihen – und zwar egal, welchem!

Gerade in so tragischen und zugleich verfahrenen Situationen, wie es der Krieg in der Ukraine ist, käme neutralen Staaten wie der Schweiz und Österreich eine besondere Aufgabe zu. Sie besteht in einer aktiven Friedenspolitik. Dafür setzt sich die FPÖ gegenwärtig mit der parlamentarischen Petition «Krieg stoppen» ein, die viele inhaltliche Parallelen zur Neutralitätsinitiative der SVP aufweist. Leider wird mit Aktionen wie den Auftritten Selenskyjs in unseren Parlamenten viel Glaubwürdigkeit verspielt. Dennoch ist es nicht zu spät dafür, dass sich gerade auf dem europäischen Kontinent, der einmal mehr zum Kriegsschauplatz wurde, die Stimmen der Vernunft sammeln und mehren. Neutrale Staaten wären ihre natürlichen Sprachrohre.

Herbert Kickl ist Bundesparteiobmann der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ).