Seit der Bundesrat am 20. Dezember den Anbindungsvertrag mit der EU verkündet hat, wird auf allen Seiten über das geplante Vertragswerk debattiert.

Wer glaubt, dass das Abkommen nur von der SVP bekämpft wird, irrt. In den vergangenen Tagen hat sich ein Exponent des Freisinns zu einem der schärfsten Kritiker des bundesrätlichen Deals gemausert: Matthias Müller, Vizepräsident der FDP des Kantons Zürich und ehemaliger Chef der Jungfreisinnigen hat sich auf den Deal mit Brüssel eingeschossen.

«Die Schweiz soll in Zukunft abkommensrelevantes künftiges EU-Recht telquel und laufend übernehmen», sagt der Müller, der als Anwalt für die führende Zürcher Wirtschaftskanzlei Homburger tätig ist. Im Streitfall entscheide formal zwar ein Schiedsgericht, doch obliege das entscheidende – und für das bindende – Auslegungsurteil beim Europäischen Gerichtshof. «Dieser könnte also zentrale politische Entscheid des Volks und des Parlaments beurteilen, sofern dabei – auch nur am Rande – EU-Recht oder davon abgeleitetes Abkommensrecht tangiert wird. Das ginge sehr weit, zu weit.» Damit würde die Souveränität der Schweiz «erheblich beschnitten».

Die Konsequenzen sind für den Juristen klar: «Wir würden damit viel EU-Regulierung übernehmen müssen, worunter insbesondere kleine und mittlere Unternehmen zu leiden hätten.»

Müllers Stimme hat Gewicht. Er gehört zu einer parteiinternen Arbeitsgruppe, die aus sechs Kritikern und sechs Befürwortern besteht und sich in den nächsten Monaten mit dem Abkommen auseinandersetzt. Wird er sich dort mit seinen Argumenten durchsetzen können?

Müller selbst ist skeptisch: «Ich gehe davon aus, dass die Fraktion dieses Vertragswerk gutheissen wird, hat sie doch bereits das Rahmenabkommen für gut befunden.»

Auch für die Delegiertenversammlung im Sommer, die das Thema behandeln wird, wagt der im EWR-Abstimmungsjahr 1992 Müller geborene eine Prognose: «Ich vermute, dass es am Ende ein ‹Ja, aber› geben wird. Das ‹Aber› bezieht sich auf die innenpolitischen Anpassungen. Dort wird man wohl streng sein, wenn es darum geht, in welchen Bereichen man zum Beispiel den Gewerkschaften entgegenkommen mag.»

Tatsächlich steht der Freisinn vor einer delikaten Ausgangslage. Es ist ausgerechnet FDP-Aushängeschild Karin Keller-Sutter, die als Bundespräsidentin das Abkommen offiziell unterschreiben wird. Ob die Parteibasis dann die Kraft hat, sich gegen den Willen ihrer Vorzeigefrau zu stemmen und sich ihr zu widersetzen, ist schwer vorstellbar.

Müller ist im Übrigen auch skeptisch, was den innenpolitischen Handlungsspielraum betrifft, sollte der Vertrag in Kraft treten. Der dürfte viel kleiner sein, als heute viele Politiker der Öffentlichkeit glauben lassen wollen. Der Grund: Der EU-Vertrag ist Völkerrecht. Das Bundesgericht hat immer wieder betont, dass Völkerrecht gegenüber Landesrecht den Vorrang hat. Müller: «Die Schweiz kann sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen.»