Es gehört zu den ungelösten Geheimnissen dieser Zeit, warum diejenigen, die die AfD kleinhalten oder gar bekämpfen wollen, alles dafür tun, die Wanderschaft ganzer Wählergruppen nach rechts zu befördern.

Joachim Gauck, einer der klügsten Bundespräsidenten der jüngeren Zeit, hat dabei leider auch kein ganz glückliches Händchen. «Diese Typen kommen bei uns nie an die Macht», sagte er jüngst bei «Markus Lanz» (ZDF). Ein Teil der Ostdeutschen fremdele mit der offenen Gesellschaft.

Da sitzt Gauck einem kolossalen Missverständnis auf. Viele Unterstützer der AfD fremdeln nicht mit der offenen Gesellschaft, sie fordern sie für sich ein und nehmen für sich in Anspruch, genau zu dieser offenen Gesellschaft zu gehören und nicht mit Gauck-Sätzen («nie an die Macht») hinter eine vermeintliche Brandmauer aus der Demokratie ausgesperrt zu werden. Und das eben nicht nur im Osten. Auch in Rheinland-Pfalz kommt die AfD in jüngsten Umfragen auf 16 Prozent.

Die Gesellschaftsforscher Dirk Ziems und Thomas Ebenfeld haben die Motivation von AfD-Wählern in Tiefeninterviews untersucht und sind neben «Völkisch-Radikalen» und «Rechts-Ideologen» (Rückkehr zu konservativen Werten) auf «Denkzettelwähler» und «Systemzweifler» gestossen, die der «Einheitsmeinung des Systems» etwas entgegensetzen wollen und die AfD gerade als demokratisches Element sehen. Ihr Fazit: Es gebe durchaus Chancen, AfD-Wähler zurückzugewinnen, dazu gehöre allerdings, gesprächsbereit zu sein und die systemkritischen Positionen ernst zu nehmen.

Gaucks demokratischer Alleinvertretungsanspruch ist eher das Gegenteil und genauso hilfreich wie seine frühere Einteilung in «Hell- und Dunkeldeutschland». Wer es ernst meint mit der offenen Gesellschaft, darf ihr keine Schliesstage für bestimmte Wähler verordnen. Die offene Gesellschaft kann an ihren Feinden scheitern – und an der Arroganz der Demokraten.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.