Als gestern um 11.55 Uhr auf den Schweizer Politredaktionen die Einladung zu einer Medienkonferenz von SP-Bundespräsident Alain Berset eintraf, ist gemäss Adrian Zurbriggen, stellvertretender Chefredaktor des Tages-Anzeigers, Folgendes geschehen: «Die Kolleginnen und Kollegen unserer Bundeshausredaktion lassen alles stehen und liegen, telefonieren alle verlässlichen Quellen ab.»

Um 12.13 Uhr hätten unabhängig voneinander zwei dieser «zuverlässigen Quellen» den «spektakulären Rücktritt» Bersets bestätigt. Darum konnte der Tages-Anzeiger – so erzählt dessen stellvertretender Chefredaktor stolz – um 12.14 Uhr folgende Push-Nachricht verbreiten: «Paukenschlag im Bundeshaus: Alain Berset tritt zurück».

Der «Seismograf» im Newsroom mit den Zugriffen auf die entsprechende Website und App sei wie die «Eigernordwand» in die Höhe geschnellt. Diese News waren «für ein paar Minuten exklusiv, dann ziehen die anderen Medien nach».

Doch wie und warum konnte der Tages-Anzeiger Bersets Rücktritt in Minutenschnelle wasserdicht machen? Ausser den Bundesräten wussten zu jenem Zeitpunkt wohl nur ganz wenige Eingeweihte über das Ereignis Bescheid. Und erst kürzlich haben sich die Kollegen von CH Media mit der vorschnellen Behauptung von Ueli Maurers Rücktritt schon einmal die Finger verbrannt.

Tatsache ist: Kommunikationschef im Departement von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (SP) ist Christoph Lenz, der bis vor einigen Monaten noch als Journalist und Kadermitarbeiter beim Tages-Anzeiger tätig war.

Dies ist selbstverständlich kein Beweis, und für Lenz gilt die Unschuldsvermutung. Die vorzeitige Information an den Tages-Anzeiger ist aber Symptom einer grundsätzlichen Malaise.

In Bern amtieren in den Departementen und Bundesämtern unzählige ehemalige Journalisten mitsamt ihren alten Seilschaften und Netzwerken. Sie bevorzugen nach Lust und Laune die ihnen genehmen Ex-Kollegen und deren entsprechende Medien – am liebsten natürlich frühere Arbeitgeber.

Unser Kommunikationssystem auf Bundesstufe ist geprägt von Kungelei und Filz. Es muss sogar insofern als korrupt bezeichnet werden, weil es im Medienbereich zu Wettbewerbsverzerrungen führt, die durchaus handfeste finanzielle Auswirkungen haben.

Jedenfalls beweist die Vorabinformation an den Tages-Anzeiger: Die mutmassliche frühere Standleitung zwischen dem Departement Berset und dem Ringier-Verlag scheint auch mit anderen Personen und anderen Medien zu funktionieren.