Dieser Text erschien im WW Magazin.

Das «Baur au Lac» ist, je nach Quelle, das beste Haus Zürichs, der Schweiz, der Welt. Eigentlich ist Marguita Krachts Aufgabe leicht: Die Tochter des Hoteliers und Vertreterin der siebten Generation muss nur dafür sorgen, dass alles bleibt, wie es ist. Andererseits sagt man auch: Damit alles bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern.

Das «Baur au Lac», eröffnet 1844, ist das zweitbeste Stadthotel der Schweiz oder das beste Haus der Welt, falls man dem neusten Karl-Wild-Hotelrating glaubt beziehungsweise der Condé-Nast-Traveler-Leserumfrage (von 2020). Aber mit Sicherheit ist es das beste Grandhotel Zürichs, denn das andere liegt nicht in der Stadt, sondern am Rand, auf dem Adlisberg.

Seit dem Jahr 1990 wird die «Villa mit 119 Zimmern» (so die Online-Ausgabe der amerikanischen Fachzeitschrift Hotels) von Andrea Kracht, 67, geführt. Doch bald soll ihn seine Tochter Marguita, die Vertreterin der siebten Generation, als obersten Chef ablösen. Die 33-Jährige, die in Boston Betriebswirtschaft studiert hat, arbeitet seit drei Jahren im Familienunternehmen mit und bereitet sich darauf vor, das im eigenen Park mit alten Ginkgobäumen und mächtigen Fächerahornen am Zürichsee gelegene Haus zu übernehmen.

Ende Oktober war ein Doppelzimmer wochentags ab 1150 Franken je Nacht, eine kleine City-Suite ab 3100 Franken und eine grosse zum See ab 4400 Franken zu haben; im laufenden Jahr dürfte das gesamte Unternehmen, zu dem etwa eine Weinhandlung gehört, zirka achtzig Millionen Franken umsetzen. Wir haben Marguita Kracht im frisch renovierten und kürzlich eröffneten Restaurant, das ihren Vornamen trägt und wo mediterrane Küche aufgestellt wird, getroffen.

Weltwoche: Frau Kracht, vor zwei Jahren traten Sie erstmals als Vertreterin der siebten Generation öffentlich auf und teilten mit, Sie würden Ihren Vater, den obersten Chef des Hotels «Baur au Lac», in nicht sehr ferner Zukunft ablösen. Was haben Sie seither gemacht?

Marguita Kracht: Ich habe bereits ein Jahr früher angefangen mitzuarbeiten, bin jetzt also seit drei Jahren im Hotel. Seither haben wir viele Projekte umgesetzt, speziell im Bereich Marketing und Kommunikation. Ich denke zum Beispiel an das neue, aufgefrischte Erscheinungsbild. Die Marke «Baur au Lac» kommt nun zeitgemäss daher, der Löwe im Logo wurde sozusagen aufgehübscht. Natürlich erforderte das viel Verständnis für unsere lange Geschichte – wir sehen das «Baur au Lac» als Haus mit einer langen Tradition, aber nicht als Traditionshaus.

Weltwoche: Das «Baur au Lac» sei kein Traditionshaus – wie meinen Sie das?

Kracht: Wir sind dankbar für unsere lange Geschichte. Das Hotel gibt es seit 180 Jahren, das ist eine beachtlich lange Zeit. Doch wir sind kein historisches Haus, das an der Tradition hängt, da gibt es andere Bauten und Betriebe in Zürich, auf die dieser Begriff besser zutrifft.

Weltwoche: Was haben Sie, neben den erwähnten Marketing- und Kommunikationsanpassungen, sonst noch vorangetrieben?

Kracht: Beispielsweise Renovationen in Zimmern und öffentlichen Bereichen durchgeführt; und obwohl wir zurzeit das Gefühl haben, alles sei up to date, ist das eine Daueraufgabe. Ein weiteres Projekt, an dem wir zwei Jahre gearbeitet haben und das seit kurzem realisiert und in Betrieb ist, ist das Restaurant «Marguita». Die mediterrane Küche, wie wir sie anbieten, ist zukunftsorientiert – gesund, leicht, beliebt. Wir unterscheiden dabei bewusst zwischen italienischer Küche, die es in Zürich schon an vielen Orten auf hervorragendem Niveau gibt, und mediterraner Küche. Solche von bester Qualität zu finden, ist hier noch eher selten. Wir wollen das «Marguita» zu einem Restaurant für Zürich aufbauen, nicht bloss zu einem Hotelrestaurant. Von der ersten Idee bis zur Umsetzung dauerte es zwei Jahre, weil wir uns die nötige Zeit genommen haben, für das Entwickeln des Menüs natürlich, aber auch bei der Kreation der Ausstrahlung, seien es unser personalisiertes Porzellan oder die Stoffe, die Materialien, die Inneneinrichtung. Den Marmorboden zum Beispiel hat ein italienisches Familienunternehmen eingebaut. Der Vater und sein Sohn verbrachten sechs bis acht Wochen bei uns, um die von Hand ausgeführten Arbeiten zu leiten.

Weltwoche: Das neue Restaurant heisst «Marguita», wie Ihre Grossmutter und Sie selbst – dafür musste das alte, gut eingeführte und mit zwei Michelin-Sternen bewertete «Pavillon» Platz machen.

Kracht: Es ist schon ein spezielles Gefühl für meine Grossmutter, die das frühere Lokal natürlich gut kannte, aber auch schon zu Besuch im neuen war. Für mich ebenfalls. Es stellt eine gute Entwicklung dar, das neue «Marguita» steht Hotelgästen fürs Frühstück zur Verfügung und mittags sowie abends allen, die unsere Küche mögen. Und weil es unseren Namen trägt, achten wir vielleicht noch ein bisschen genauer auf jedes Detail. Doch davon abgesehen ist es nicht das Lokal meiner Grossmutter oder von mir, diese Marguita ist eine fiktive Persönlichkeit mit spannender Ausstrahlung, hoffentlich.

Weltwoche: Ungefähr zu der Zeit, als Sie Verantwortung im Hotel übernahmen, kam ihr erstes Kind zur Welt – wer oder was bekommt mehr von Ihrer Aufmerksamkeit, das Unternehmen oder die Familie?

Kracht: Man muss sich gut organisieren oder, wie man sagt, ein effizientes time management betreiben. Doch ich kann keinen Interessenkonflikt erkennen. Ich verlasse das Unternehmen nicht, wenn ich aus dem Büro gehe, ich habe keine Arbeitszeiten, sondern mache mir konstant Gedanken. Besonders in den Ferien, wenn wir in einem anderen guten Hotel wohnen, kann und will ich erst recht nicht abschalten. Mein Vater hat das schon immer gesagt, jetzt weiss ich, was er meinte und wie es sich anfühlt. Aber es ist klar, dass ich Sorge trage zu meinem Sohn und unserem Hotel – damit der Kleine später die gleiche Chance bekommt, die mir geboten wurde. Ich möchte den Betrieb mal in einem Spitzenzustand weitergeben.

Weltwoche: Eigentlich ist Ihre Aufgabe leicht: Sie müssen nur dafür sorgen, dass alles bleibt, wie es ist. Das «Baur au Lac» ist, je nach Quelle, das beste Hotel Zürichs, der Schweiz, der Welt. Andererseits sagt man auch: Damit alles bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern.

Kracht: Man kann immer noch besser werden. Zum Beispiel wenn man sich damit beschäftigt, welche Ansprüche in Zukunft gestellt werden könnten und wie man diese dann erfüllt. Eine Daueraufgabe, die zur Bewältigung von Herausforderungen beiträgt, ist, das Team, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter also, zu pflegen. Das sind hohe Investitionen, dafür braucht es Zeit und Geld. Doch wir sind in der Lage, beides zu geben. Wir denken langfristig.

Weltwoche: Ihr Vater hat gesagt, das Haus sei solide gebaut und stark für viele weitere Jahre. Setzt Sie das unter Druck, oder gäbe es auch die

Kracht: Möglichkeit, dass Sie mal was anderes machen beruflich?

Weltwoche: Eine Zukunft ausserhalb des Familienunternehmens? Das kann ich mir kaum vorstellen. Ich weiss mein Glück zu schätzen. Druck verspüre ich auch keinen, es war vielmehr schon immer mein Lebensziel, unsere legacy [Erbe, Vermächtnis; d. Red.] zu erhalten und weiterzugeben. Was das aber genau bedeutet, war mir natürlich die längste Zeit noch nicht richtig klar.

Weltwoche: Ein weiterer Satz Ihres Vaters: «Ein Hotel zu führen, ist keine rocket science», nicht so anspruchsvoll also. Sind Sie einverstanden?

Kracht: Hm, es ist aber auch nicht so anspruchslos. Unser Unternehmen besteht auch nicht nur aus dem Hotel, wir haben beispielsweise noch eine Weinhandlung. Damit habe ich mich in den vergangenen Jahren ebenfalls ziemlich stark auseinandergesetzt. Dieses Geschäft, es ist ein Verdrängungsmarkt, interessiert mich, ich habe nach dem Studium als Erstes in einem Getränkehandel gearbeitet. Langweilig wird es mir vorläufig also sicher nicht.

Weltwoche: Macht es auch Spass?

Kracht: Ja, grossen Spass, vielleicht gerade weil es nicht rocket science ist. Ich überlege mir bei allem, was ich tue: Sind wir mit der derzeitigen Ausgangslage zufrieden, oder haben wir das Bedürfnis, uns weiterzuentwickeln, um einzigartig zu bleiben? Das finde ich superspannend.

Weltwoche: Das «Baur au Lac», fussend auf den Zahlen, die das private Unternehmen veröffentlicht, ist erfolgreich – Gäste bleiben länger, zahlen höhere Zimmerpreise als anderswo, und Sie haben mehr Stammgäste. Wie geht das?

Kracht: Erfolg ist immer schwierig zu erklären. Ich denke, es ist die Summe vieler Dinge, die wir unternehmen, um nicht austauschbar zu sein, sondern ein einzigartiges Hotel. Nur ein paar Beispiele: Unsere Möbel werden auf Mass angefertigt, es gibt sie so sonst nirgends. Ähnlich verhält es sich mit den Stoffen in den Zimmern oder den Spiegeln in den öffentlichen Bereichen, sie sind handgemacht.

Weltwoche: Und das merken Gäste tatsächlich beziehungsweise ist ihnen Geld wert?

Kracht: Sie bemerken einzelne solche Anstrengungen wahrscheinlich nicht. Doch die Gesamtheit dieser scheinbaren Kleinigkeiten ergibt ein Gesamtbild, das unserer Kundschaft gefällt, weshalb sie länger bleiben und wieder bei uns wohnen wollen. Aber, klar, es ist eine Kombination. Dazu gehört der Standort, der schöne blaue Zürichsee mit den manchmal schneebedeckten Berggipfeln im Hintergrund, auf der anderen Seite die Zürcher Bahnhofstrasse und so weiter. Vielleicht auch unsere Familie, die hinter dem Angebot steht, das schafft wohl auch Vertrauen.

Weltwoche: Von welchen Hotels können Sie was lernen?

Kracht: Es ist mir ganz wichtig zu sehen, was andere erfolgreiche Betriebe anbieten. Im Zusammenschluss der Leading Hotels of the World sind über 400 eigenständige Betriebe in achtzig Ländern lose miteinander verbunden, diese Häuser sind unser Benchmark [das Richtmass; ihr Vater, Andrea Kracht, war Chairman der Vermarktungsallianz]. Meine Favoriten sind die Resorts der Aman-Gruppe in Asien und das «Hotel du Cap-Eden-Roc» in Antibes. Dieses Haus hat etwas Magisches, das beeindruckt mich.

Weltwoche: Und Ihre Referenzrestaurants?

Kracht: Wir haben uns an Betrieben in Paris, Mailand und London orientiert. Wichtig war uns, kein klassisches Hotelrestaurant anzubieten. Wir haben diese Wunschvorstellung, dass ausländische Gäste sagen: «Wenn ich das nächste Mal in Zürich bin, gehe ich ins ‹Marguita›.» Der dafür verantwortliche Designer, Martin Brudnizki aus London, hat dort tolle Lokale gestaltet, etwa das «Daphne’s». Er hat unseren Anspruch verstanden und jetzt in Zürich umgesetzt, finde ich. Weiter mag ich das «Gigi» in Paris und die «Langosteria» in Mailand oder St. Moritz.

Weltwoche: Zum Schluss: Was werden Sie als Nächstes tun?

Kracht: Wir holen unsere Hochzeitsreise nach. Mein Mann und ich haben zwar schon vor fünf Jahren geheiratet, sind aber bis jetzt noch nicht dazu gekommen, wegen der Pandemie und der anschliessenden Geburt unseres Sohns. Doch im kommenden Januar reisen wir endlich nach Japan, unter anderem um auf Hokkaido Ski zu fahren.