Nicht nur Medaillen haben zwei Seiten, auch der zerschossene Panzer vor der russischen Botschaft in Berlin.

Die deutschen Aktivisten, die den im vergangenen März vor Kiew zerstörten T-72 in die Hauptstadt geschafft haben, richten ihren Blick auf die russische Botschaft. Für sie verkörpert er die Schande und die Aussichtslosigkeit des russischen Kriegs.

Auch der deutsche Staat, dessen Gerichte der martialischen Demonstration (entgegen den Gepflogenheiten diplomatischer Zurückhaltung) stattgegeben haben, verbirgt nur mühsam seinen Stolz. Beweist doch das Happening auf dem Berliner Prachtboulevard Unter den Linden der grossen, weiten Welt: Seht her, wir Deutsche stehen auf der richtigen Seite der Geschichte. Endlich einmal.

Die andere Seite besagter Medaille erschliesst sich aus den Fenstern der Botschaft heraus. Das Panzerrohr ist auf die Büros der Kultur- und Wirtschaftsabteilung gerichtet, nicht auf die zentralen Prunksäle des Stalinbaus aus der Nachkriegszeit. Von der Botschaft aus gesehen blickt man in die Mündung einer 125-Millimeter-Glattrohrkanone. Theoretische Feuergeschwindigkeit bis zu acht Schuss in der Minute, Durchschlagsleistung bis zu 85 Zentimeter Stahl auf 6 Kilometer Entfernung. Auch wenn man weiss, dass der Panzer zerschossen, das Rohr durchbohrt ist – das lässt keinen kalt.

Gut möglich, dass die Initiatoren, aber auch der Mainstream der deutschen Politik und der deutschen Medien genau diesen Effekt beabsichtigen. Sollen die Diplomaten ruhig eine Idee davon bekommen, wie sich das anfühlt: vor Geschützrohren zu stehen.

Wie immer in der menschlichen Kommunikation kommt es darauf an, was verstanden wird – nicht darauf, was gemeint ist.

Vom Botschafter abwärts wird kein Mitarbeiter eine Miene verziehen. Es wird auch kein russischer Diplomat vergessen, was sein Gastland von ihm hält. Und was er von seinem Gastland zu halten hat.

So viel moralischer Hochmut fällt Deutschland noch schwer auf die Füsse.