Was ist nur los mit den Deutschen?

Sie schalten mitten in der grössten Energienot ihre Kernkraftwerke ab, weil es nun mal der Plan war. Sie ruinieren ihre Wirtschaft für den Klimaschutz, an dessen deutschem Wesen die ganze Welt genesen soll. Sie lassen alle Migranten über offene Grenzen ins Land oder wollen alle Migranten rauswerfen. Wenn eine Protestpartei wie die AfD zu stark wird, will man sie verbieten, erklärt Björn Höcke zum neuen Hitler, Putin zum zweiten Stalin und Greta Thunberg zur Heiligen Johanna.

Das Journalisten-Kollektiv Correctiv erhält für eine widerlegte «Reportage» einen Preis, weil die eigene Weltsicht auch dann noch richtig sein soll, wenn sie falsch ist. Die grüne Bundesfamilienministerin erklärt, dass Männer auch Frauen sein können, wenn sie es wünschen, in der Corona-Zeit wurden Parkbänke im Freien verboten und die Zahl der Familienmitglieder in Wohnzimmern gezählt, und wenn die islamistische Realität auf deutschen Weihnachtsmärkten und Strassen die vermeintlich falschen Parteien und Politiker bestätigt, verbiegt man lieber die Realität als die eigenen Illusionen zu korrigieren.

Die Deutschen – eine Mischung als Irrsinn, Comedy und grimmiger Verbissenheit.

Was immer die Deutschen tun, es folgt stets einem ideologischen Reinheitsgebot, das beim Bier segensreich ist und für eine Gesellschaft giftig. Immer schwingt etwas Totales mit, ein Hauch von Endsieg durchzieht das deutsch Leben von Mülltrennung bis Migrationspolitik. «Die Deutschen», hat Churchill einmal gesagt, «hat man entweder an der Gurgel oder zu Füssen.»

Der folgende Text ist eine Spurensuche nach der genetischen Sonderdisposition der Deutschen, die auf vielfältige Weise inzwischen wieder ganz Europa zu schaffen macht. Ein Text, der keine abschliessenden Antworten findet und selbstverständlich Widerworte duldet. Obwohl der Autor Deutscher ist.

 

Die Deutschen gibt es gar nicht. Und damit ist nicht jener Binsensatz gemeint, bei dem man die eigens betont, um zu erklären, dass auch die Deutschen ganz unterschiedliche Einzelmenschen seien. Nein, es wird für Sie, liebe Schweizer, und alle anderen Nachbarn der Deutschen ringsum, noch viel bitterer: Die Deutschen sind wie Sie!

Ganz im Ernst. Es gibt keinen Unterschied zwischen Herrn Rütli, Kaiserin Sissi, frère Jacques oder Herrn Przcebylski und Olaf Scholz. Gut, der letzte Name war ein Tiefschlag. Ich hätte auch einfach Frau Müller oder Herrn Schulze nehmen können. Nun weiss ich nicht, ob und wie Sie damit klarkommen, im Grunde auch Deutsche zu sein, aber die Deutschen sind jetzt so «vielfältig», dass sie sich als Volk und Nation gewissermassen aufgelöst und damit den Rest der Menschheit gewissermassen liebevoll – darauf legen sie diesmal besonderen Wert! – bunt, tolerant und divers bei sich integriert haben.

Das hat zumindest Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit unlängst (7. Juli 2024) in seinem Morgen-Briefing geschrieben. Und der muss es ja wissen. Der Anlass war das EM-Aus der deutschen Nationalmannschaft: «Jeder versteht, dass der Bundestrainer nach einer unglücklichen Niederlage eine emotionale Rede hält», schrieb Kurbjuweit. Kann mal passieren, sollte das wohl heissen. «Dass die deutsche Mannschaft diesem Land schöne Momente bereitet hat, ist richtig. Dass aber die Gemeinschaft, die er zwischen Mannschaft und Fans beobachtet hat, ein Vorbild für die Gesellschaft insgesamt sein soll – da muss ich widersprechen. Gemeinschaften setzen auf Einheit, demokratische Gesellschaften auf Vielfalt.»

Mit anderen Worten: «Gemeinschaft» ist von Übel, weil sie sich mit ihrer jeweiligen Gemeinsamkeit von anderen Gruppen und deren Gemeinsamkeit abgrenzt. «Vielfalt» ist das neue Wir, und ein vielfältiges Wir kennt keine Grenzen. «Selbst beim Thema Fussball ist die Gesellschaft keine Gemeinschaft, weil viele Menschen, die hier leben, nicht Fans der deutschen Mannschaft sind, sondern der türkischen oder englischen, französischen.» Das ist schon einigermassen putzig, weil gerade beim Fussball, und in internationalen Wettbewerben zumal, eben Nationen ihre Mannschaften entsenden und sich in der Regel überwiegend hinter ihnen versammeln.

Kurbjuweit will das aber in einem viel tieferen, gesellschaftlichen Sinne verstanden wissen: «Zudem ist der Antrieb demokratischer Gesellschaften nicht das Gemeinsame, sondern der Unterschied, der Widerspruch, die Debatte. Ihr Anspruch ist nicht die Einheit der Identitäten, sondern deren Integration unter einem gemeinsamen Dach. Selbst die von Nagelsmann beklagte ‹Schwarzmalerei› wird in einer Gesellschaft gebraucht als Korrektiv für Politiker, die einem weismachen wollen, dass es fantastisch läuft.»

Mit anderen Worten: Schlimmes Foul von Nagelsmann. «Also, lieber Julian Nagelsmann: Danke für die guten Spiele der deutschen Mannschaft, aber bitte nicht das Falsche fordern. Selbst die schwarz-rot-goldene Fangemeinschaft wird nun zerfallen: Ich bin in den nächsten Tagen Spanier.»

Warum schildere ich das so ausführlich? Weil es ein geradezu hinreissendes Beispiel für das Deutschsein an sich ist. Wenn es ein deutsches Gen gäbe, hätte Dirk Kurbjuweit es nach Gregor Mendel «reinerbig» als dominanten Erbgang mitbekommen. Weil Vielfalt, Buntheit und Diversität zum modernen Dogma der sich progressiv dünkenden Eliten geworden ist, schlägt der Spiegel-Chef geradezu atemberaubende intellektuelle Purzelbäume, um «Vielfalt» zum konstitutiven Kern von «demokratischen Gesellschaften» zu machen. Und damit, liebe Nachbarn, gibt es im Grunde ja keine abgrenzende Begründung für die Trennung von deutscher Vielfalt und Schweizer oder polnischer Vielfalt. Diesmal haben wir euch ganz ohne Waffen einfach in unsere Vielfalt aufgenommen, die wir zum universellen Wert erklären.

Ihr dürft euch freuen: Wir sind jetzt alle Vielfältler. Was allerdings das «gemeinsame Dach» sein soll, von dem Kurbjuweit schreibt, wenn Gemeinsamkeit doch von Übel ist, bleibt etwas schleierhaft. Und wenn wir uns auf die Suche nach einem vermeintlichen «Deutschen-Gen» machen wollen, dann haben wir hier zumindest eine interessante Spur gefunden: Der Deutsche denkt die Dinge gern zu Ende. In diesem Falle denkt der Chef des Hamburger «Nachrichtenmagazins» nicht nur die Nation an sich zu Ende, sondern auch das Deutschsein überhaupt. Vielfalt ist das neue Weltgefühl, das niemand so konsequent zu Ende denkt wie eben ein Deutscher. Noch konsequenter wäre es, auch den Türken mit ihrem Wolfsgruss oder den nationalistischen Serben, den orangen Oraniern und Trikolore-Franzosen das mal wieder in aller «Deutschlichkeit» einzubläuen. Sich etwas ausdenken ist übrigens nicht das Gleiche wie zu Ende denken, obwohl sich irgendjemand diese Kapriolen ja ausgedacht haben muss.

Aber im Ernst: Kurbjuweits Kurzessay gibt den Blick frei auf Teile des deutschen Gen-Codes. Da ist das «Zu-Ende-Denken», das Beenden von Dingen mittels Denken bis zur Selbstaufgabe (Migration, Euro-Krise), das schon Kanzlerin a. D. Angela Merkel (CDU) stets als eine Art intellektueller Ehrenmedaille umgehängt wurde, obwohl am Ende ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft viele Dinge nicht so aufgingen, wie sie sie «zu Ende gedacht» hatte. Und andererseits zeigt sich hier der deutsche Idealismus in Reinkultur, der zwar lediglich einer kleinen vermeintlich progressiven Elite eigen ist, dafür aber umso radikaler die gewünschte Realität zur wahren Wirklichkeit erklärt, je offensichtlicher die Welt da draussen eine andere ist.

Wenn man nach einer Art genetischen Formel für das Deutschsein an sich sucht, findet man in diesem Vorgang ein Paradebeispiel: «Der Deutsche» hudelt nicht, Vielfalt ist nicht einfach, dass unterschiedliche Menschen frohen Mutes zusammenleben, sondern Vielfalt wird im deutschen Denken zum Dogma. Es wird konsequent und präzise ausbuchstabiert mit allen Folgen und Schlussfolgerungen und – das ist ganz wichtig: Es wird für allgemeingültig erklärt. Präzision und Sorgfalt kennen viele Völker. Die Schweizer mit ihren sprichwörtlichen Uhrwerken beispielsweise, die Tschechen mit ihren vortrefflichen Ingenieuren, Chinesen mit ihrer geradezu preussischen Disziplin und ihren beeindruckenden Fähigkeiten als Kopisten.

Das Ungute am Deutschen-Gen ist die Verbindung aus Sorgfalt, Präzision und Mission. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) predigt beim Indo-Pazifik-Gipfel in Neu Delhi nicht nur «Multilateralismus», er will ihn auch als universellen Wert verstanden wissen. Überhaupt sieht ein grosser Teil der Welt genau das, was der Westen als «universelle Werte» erkannt zu haben glaubt, als Bevormundung und geschickten Versuch neuer Dominanz. Die Deutschen sind da wieder einmal besonders penetrant. Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) pflegt ihre «feministische Aussenpolitik» nicht nur als eigenes Hobby, sondern übergibt auf Auslandsreisen auch gern Broschüren mit ihren Grundsätzen den Amtskollegen in Schwellenländern.

Hier geht’s lang, schwingt da mit und wird besonders ätzend und übel, wenn die Deutschen im Nahen Osten als Musterschüler der Lehren aus ihren eigenen Verbrechen auftreten und Israel erklären wollen, wie es in Rafah oder mit der Hisbollah umzugehen habe. Das Fazit aus dem eigenen Zivilisationsbruch lautet nicht etwa «Klappe halten», sondern aus dem Mord an Millionen Juden die Berechtigung abzuleiten, ihnen Tipps zu geben. «Sündenstolz» (Henryk M. Broder) in deutscher Reinkultur.

Dabei ist es auch völlig einerlei, ob die gewonnenen Erkenntnisse womöglich komplett falsch sind, was vor allem für jene Deutschen unvorstellbar ist, die immer nur das Beste für die Welt wollen. Im Falle Kurbjuweits: Vielfalt regiert eben gerade nicht die Welt, sondern Abgrenzung. Die explodiert derzeit wieder einmal besonders heftig im Gegeneinander von Gemeinschaften, die meist auch intern gar nicht vielfältig sind und es auch nicht sein wollen, im Gegenteil. Gaza, Ukraine, Kosovo, Kampf «gegen rechts» und Populisten … Jene, die «gegen rechts» kämpfen, betrachten sich als Einheit der Demokraten und schliessen damit bewusst anders Meinende aus.

Mit anderen Worten: Die kurbjuweitsche Logik, einfach Vielfalt zur neuen Gemeinschaft zu erklären, geht nicht auf, wird aber gerade deshalb umso hartnäckiger propagiert. Und genau hier, scheint mir, sind wir wieder an einem Punkt, wo das Deutschen-Gen durchschimmert: Deutsche machen Dinge nicht nur gründlich (Vielfalt als Idee), sondern gründlichst: Es genügt nicht, die Idee zu haben, sie zur Debatte zu stellen, nein, man muss sie auch mit Penetranz durchsetzen. Zur Not gegen alle Widrigkeiten.

Da darf man nicht schludern und sich mit «halben Sachen» zufriedengeben.

Kleines biografisches Beispiel: Weil es im Osten nur eine Sorte Motorräder (ETZ – «Einheitstyp Zschopau», Einzylinder, Zweitakt) gab und mein Vater Oldtimer-Motorräder sammelte, war ich in der privilegierten Lage, eine alte BMW R 35 mit Handschaltung am Tank fahren zu können. Immer wenn ich mit meinem Ingenieurs-Vater daran etwas zu reparieren hatte, bin ich an seiner Gründlichkeit und Sorgfalt fast verzweifelt. Während ich vor allem raus wollte auf die Strasse, verliess bei meinem Vater nichts die Garage, was nicht mustergültig instandgesetzt war. Und so ist das Deutschen-Gen, das Zu-Ende-Denken, das Zu-Ende-Bringen, im Positiven womöglich für den weltweiten Ruf der deutschen Automobilindustrie ebenso verantwortlich wie im Abgründigen für die Wannseekonferenz. Ein Perfektionsgen ohne Ethik-Molekül plus Durchsetzungswille mit gnadenloser, im Grunde lebensfremder Konsequenz. Dem Deutschen-Gen fehlt – zumindest in der elitären Form – eine Aminosäure der Lässigkeit, der den grimmigen Ernst aus der Sache nimmt.

Oder um es mit dem gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz zu sagen: Wir sind schon ein radikales Volk. Im Guten wie im Negativen. Wobei das vermeintlich Gute bei radikaler Durchsetzung eben auch negativ wird. Zu Wort kommt Schulz in einer ebenfalls typisch deutschen ARD-Doku vom April 2019, in der Ranga Yogeshwar der Frage nachging: «Was ist deutsch?» «Typisch deutsch», weil sich die Autoren ein klares Schlagwort-Schema zurechtgebastelt hatten, an dem sie das Deutschsein untersuchen wollten. Ist Deutschsein also …

Made in Germany mit Topmarken wie VW, Kärcher, Playmobil …? Ja, schon auch, aber nicht wirklich, weil Teile aus aller Welt kommen und auch weltweit produziert werden.

Deutsche Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiss, Ehrlichkeit, Ordnung und Sauberkeit? Ja, schon auch, aber die Deutschen haben auch viel Ferien, mit der Ehrlichkeit des Deutschen Fussballbunds ist es auch nicht weit her, und die deutsche Sauberkeit wird nicht selten von türkischen und anderen Putzkräften gewährleistet. Ausserdem verringen die Deutschen statistisch weniger Zeit im Bad als andere Nationen. Immerhin: Sie planen gründlich, reservieren Liegen mit dem Handtuch im Ausland und fordern dort Sauberkeit und pünktliches Erscheinen. Deutsche machen im Hotel sogar ihre Betten selbst, damit das Housekeeping keinen schlechten Eindruck bekommt.

Sprache? Nein, die ist innerhalb Deutschlands ganz unterschiedlich und wird in der Schweiz und Österreich auch gesprochen.

Gene? Natürlich nicht, obwohl es durchaus regional nachweisbare Übereinstimmungen gibt, die durch die Fortpflanzung innerhalb der Gruppe über lange Zeiträume entstanden sind, sich aber nicht an Ländergrenzen halten.

Aussehen? Selbstverständlich auch nicht, wie beim Besuch eines Treffens von schwarzen Deutschen in Frankfurt am Main bewiesen wird.

Ein anderer deutscher Wesenszug: Die Deutschen zerdenken gern Dinge.

Und so kommt Ranga Yogeshwar (Luxemburger Mutter, indischer Vater) zu dem nicht ganz überraschenden, um nicht zu sagen, öffentlich-rechtlich gewünschten Schluss, dass Deutschsein eher so ein diffuses Gemisch aus Eigenheiten ist. «Es gibt Tugenden und Verhaltensweisen und ein Grundgesetz, das uns alle in unserer Vielfalt eint», sagt er zum Schluss und geht am Ende der Doku durch das Brandenburger Tor davon, das lange vermauert war und nun als Symbol für ein offeneres, grenzenloses Deutschland stehen soll.

So platt, so gut. Auf die Idee, der Spur eines Berliner Taxifahrers nachzugehen, kommen Yogeshwar und seine Mitstreiter allerdings nicht: «Mein Blut ist auf jeden Fall arabisch», sagt der in die Kamera, auch wenn er schon lange in Berlin lebe. Und ein Türke in Kreuzberg erklärt nach mehr als dreissig Jahren in Deutschland: «Mein Kopf ist immer noch in der Heimat. Aber da kann ich nicht mehr leben. Ich fühle mich hier wohl.»

«Blut» (Abstammung) und «Heimat» (Herkunft) mögen zentral für die meisten Menschen auf dieser Welt sein. Für die Deutschen sind sie inzwischen tabu. Sie sollen es zumindest erwünschtermassen sein. Müssen es einem verbreiteten comment zufolge sein. Die rot-grün dominierte Ampelregierung hat mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht die Stellschrauben weiter weg vom «Blutsrecht» (ius sanguinis) der Abstammung hin zum Recht des Bodens (ius soli) gestellt, wonach Kinder, die in Deutschland geboren sind, viel einfacher Deutsche werden können. Einbürgerung wird erleichtert.

Die Zugehörigkeit zur deutschen «Schicksalsgemeinschaft» verliert im Land der weiter andauernden illegalen Zuwanderung noch rasanter an Bedeutung. Ohne gemeinsames Schicksal keine Schichsalsgemeinschaft. «Deutschland schafft sich ab», betitelte Thilo Sarrazin 2010 seinen Bestseller. Er hat recht behalten.

Das ideologische Reinheits-Gen der Deutschen wäre allerdings völlig unschädlich, wirkungslos und für alle Welt bekömmlich, wenn es nicht toxisch ergänzt würde durch ein ebenso mysteriöses Opportunismus-Gen. Während die Franzosen beispielsweise eine recht kurze Zündschnur, gelbe Westen und in kürzester Zeit Barrikaden haben, auf die sie steigen, hat der Deutsche die geballte Faust. In fast jeder Tasche eines Deutschen steckt eine geballte Faust. Ein Phänomen, dass dazu führt, dass einem hochrangige CDU-Funktionäre unter dem Siegel der Verschwiegenheit sagen, dass die AfD selbstverständlich eine «demokratische Partei» sei, auch wenn man sie öffentlich gegenteilig tituliere, und dass ihre Frauen Plätze mit lungernden Araber-Gruppen meiden und nachts «selbstverständlich» nicht durch den Stadtpark gehen.

Deutschland ist zum Land der gesenkten Stimme geworden, in dem die grossen Wirtschaftsverbände keine marktwirtschaftlichen Lobbyvereinigungen mehr sind, weil ein Teil ihrer zahlenden Mitgliedsunternehmen für die unrentablen Klimaprojekte (z. B. «grüner Stahl», Teilzeit-Kraftwerke zum Puffern der unsteten erneuerbaren Energien, schwerverkäuflichen E-Autos etc.) auf Milliardensubventionen angewiesen sind.

Schulbuchverlage arbeiten grüne Klima-Ideologie in die Lehrbücher ein, militante Transaktivisten klagen gegen selbst versehentlich falsche Anrede durch die Deutsche Bahn, und allgegenwärtige Regenbogenfahnen signalisieren selbst kritischen Zeitgenossen, dass es besser ist, den Mund zu halten, als sich durch den Vorwurf der Trans-, Homo- oder sonstigen Phobie ins gesellschaftliche Aus zu schiessen. (Siehe auch vom Autor dieser Zeilen: «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde», Fontis-Verlag)

Mit anderen Worten: Meinungsterror und ideologische Drangsal können nur deshalb ihre totalitäre Macht entfalten, weil weder Medien noch Politik oder selbstbewusste Zivilgesellschaft sich den tonangebenden Milieus wirksam in den Weg stellen oder wenigstens klärende Debatten anstossen. Das deutsche Beherrschungs-Gen wäre ohne das deutsche Untertanen-Gen nicht denkbar und schon gar nicht lebensfähig.

Das Deutschen-Gen ist auch ein In-die-eigene-Tasche-LüGen! Während die Abstammung für viele Völker – ganz unabhängig von der Rechtslage – entscheidend ist, möchten einflussreiche Eliten in Deutschland das Deutschsein als eine Art Klubmitgliedschaft sehen, die die ganze Welt leicht erwerben kann. Alles andere ist angeblich «völkisch» (sprich ethnisch) und von Übel. Zwar holen auch die Deutschen ihre «Landsleute» wie Russland-Deutsche, sogenannte Spätaussiedler, auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit zurück ins Land, obwohl es nach der gewünschten Logik ja eigentlich Russen sein müssten, aber Ideologie schert sich halt nicht um Logik.

Die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein geniesst auf Grund von Sprache, (völkischer) Abstammung und Kultur Sonderrechte (hat einen festen Sitz im Bundestag), viele Migranten sehen sich per «Blut» zu anderen Völkern zugehörig, über das Deutschsein soll aber ausschliesslich der Pass entscheiden. Keine Nachfragen bitte bei dunkelhäutigen Deutschen. Halte es gefälligst für normal! Wenn Volkszugehörigkeit also keine Rolle spielt, dürfte es den «Antiziganismus-Beauftragten» der Bundesregierung gar nicht geben.

Während der Rest der Welt weiss und akzeptiert, dass man seine Herkunft wie einen Rucksack sein Leben lang mit sich herumschleppt und als blonder Norweger auch nach Jahren nicht zum Chinesen wird, wollen zumindest die tonangebenden Deutschen es nicht wahrhaben und kämpfen verbissen gegen jeden, der mit eingebürgerten randalierenden Arabern fremdelt.

Und dass gewissermassen seitwärts in die deutsche Schicksalsgemeinschaft eingewanderte Migranten den Holocaust eben nicht als ihr Schicksal und ihre Geschichte betrachten, liesse sich ebenfalls leicht nachvollziehen. Migranten haben in diesem Sinne auch als eingebürgerte Deutsche nichts «aufzuarbeiten». Die deutsche Kultur wird – bestenfalls – zur Zweitkultur, wenn die eigene Familie anderswo ihre Wurzeln hat, wo ganz andere, nicht minder dramatische Glaubens- oder ethnische Kämpfe ausgetragen wurden und werden. Nichts verändert eine Gesellschaft so tiefgreifend wie Massenmigration aus kulturfremden Regionen. Grosse Teile des politischen Establishments in Deutschland können oder wollen das nicht wahrhaben, begrüssen das oder halten sich mit ihrer Meinung zurück.

Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert hat das einmal sehr klar formuliert: «Ohne ein Mindestmass an Gemeinsamkeit scheitert jede Vielfalt.» Ein kluger, wahrer und gleichwohl folgenloser Satz. Wo Vielfalt zum bedingungslosen Dogma wird, gibt es am Ende keine Gemeinschaft mehr, sondern nur noch viele. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), hat das auch ganz direkt als erstrebenswertes Ziel ausgesprochen: «In der Gemeinschaft der vielen gibt es kein Normal mehr.»

Und so fügt dann der deutsche EM-Kommentator beim Eröffnungsspiel der Hymnen-Formel «Einigkeit und Recht und Freiheit» eilfertigst den Halbsatz «und natürlich Vielfalt» hinzu. Experten der Umwelthilfe kritisieren, dass die Fussbälle einen schlechten ökologischen «Fussabdruck» hätten, was eigentlich ein lustiger Wortwitz wäre, wenn man es nicht ernst meinen würde. Das Deutschen-Gen bedeutet, dass der Kuchen nur klimaneutral ist, wenn auch die Krümel klimaneutral sind.

Deutschland erfüllt Vorgaben der Europäischen Union übereifrig (im EU-Jargon Gold-Plating genannt), und die Umweltministerin erklärt Botswana, wie man korrekt mit Elefanten umgeht und diese keinesfalls zum Abschuss freigibt. Koloniales Bevormundungs-Comeback mit deutschtypisch besten Absichten.

Und so kehrt ausgerechnet im Wirken jener, die das Deutsche als solches für ein Übel halten, der übelste deutsche Zug in die Politik zurück: die Rechthaberei. Das Dominanzstreben, verbrämt als missionarischer Kampf für das Gute und Richtige in der Welt. Wie gut Moderator Ranga Yogeshwar in diesem Sinne integriert ist, erkennt man an seinem Fazit am Ende der Suche nach dem Deutschsein: Vom Geist des Grundgesetzes könne die Welt etwas mehr gebrauchen und in diesem Sinne etwas deutscher werden.

In wenigen Jahren wird es ohnehin rein demografisch der Normalfall sein, dass Menschen mit Migrationsgeschichte uns das Deutschen-Gen erklären. Ungeklärt bleibt allerdings, woher dieses seltsam dominante Genom kommt, wie es sich bildet und auf diesem Fleckchen Erde im Herzen Europas so zäh und hartnäckig fortpflanzt.

Ist es das hügelige Land, das diesen Hang zu Mission ausdünstet? Sind es die Mütter (und Väter selbstverständlich), die von Generation zu Generation weitergeben, dass man Joghurtbecher ausspüle, bevor man sie in die richtige von mindestens vier Recycling-Tonnen gibt? Oder ist es schlicht das Erbe des hellsichtigen Emanuel Geibel, der das Deutschen-Gen schon 1861 in ehernes Versmass goss:

Am deutschen Wesen

Dass die Welt nicht mehr, in Sorgen
Um ihr leichterschüttert Glück,
Täglich bebe vor dem Morgen,
Gebt ihr ihren Kern zurück!
Macht Europas Herz gesunden
Und das Heil ist euch gefunden.

Dann nicht mehr zum Weltgesetze
Wird die Laun’ am Seinestrom,
Dann vergeblich seine Netze
Wirft der Fischer aus in Rom,
Länger nicht mit seinen Horden
Schreckt uns der Koloss im Norden.

Macht und Freiheit, Recht und Sitte,
Klarer Geist und scharfer Hieb
Zügeln dann aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb,
Und es mag am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen.

Medizinisch ist das Deutschen-Gen bislang nicht nachzuweisen. Fakt ist allerdings, dass es sich offenbar dennoch fortpflanzt. Noch zumindest. Aber die Deutschen arbeiten mit einer ausgefeilten Migrationspolitik daran, dass sich das ändert. Mit aller Ernsthaftigkeit und Konsequenz, versteht sich.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.