Borgen: Das Reich, die Macht und die Ehre (Dänemark, 2022) Von Adam Price. Mit Sidse Babett Knudsen, Johanne Louise Schmitt, Birgitte Hjort Sørensen. Netflix.

Birgitte Nyborg war Idealistin, als sie mit den linksliberalen Neuen Demokraten in die Politik ging und sich Schritt für Schritt nach oben mendelte, bis zum ersten weiblichen Premier Dänemarks. Der Start in die Politik gelang der Mittvierzigerin eigentlich nur mit ihrer sie stützenden Familie im Rücken. Doch aus dem Start wurde mühsame Kärrnerarbeit, von zeitraubendem Lavieren über Kompromisse bis zur Bildung von Seilschaften, die Opfer forderte.

Das erste war ihre Familie. Sie zerbrach. Aber einmal auf dem Weg nach oben, konnte und wollte sie nicht aufgeben. Ihre rüde Landung in der Realpolitik hatte sie trotzdem süchtig gemacht, süchtig nach politischem Einfluss. Das war vor neun Jahren, und Birgitte Nyborg, gespielt von Sidse Babett Knudsen, war die Heldin der legendären, weltweit erfolgreichen Polit-Serie «Borgen». Das schrie nach einer Fortsetzung.

In der neuen «Borgen»-Staffel «Das Reich, die Macht und die Ehre» ist sie Aussenministerin der Neuen Demokraten im Kabinett der Sozialdemokratin Signe Kragh (Johanne Louise Schmitt). Nach wie vor in der Öffentlichkeit beliebt, hat sie sich nun der Umweltpolitik verschrieben. Das Verhältnis zu ihrer Ex-Familie (Sohn Magnus ist militanter Tierschützer) ist so lala. Sie trifft auf alte Bekannte wie ihre Ex-Beraterin Katrine Fønsmark (Birgitte Hjort Sørensen), die Chefin der TV1-Nachrichtenredaktion und kritische Gegnerin wurde. Für Nyborg spielt Privates nur noch eine Rolle, wenn es ihr Image gefährdet, ihr Sohn mit der Befreiung von Schweinen aus einem Transporter in die Medien gerät und die Mama Stellung beziehen muss.

Die Figuren, allen voran Sidse Babett Knudsen, sind «normal», fast wie aus einer Doku.

Ein echtes Problem aber hat sie an der Backe, als sie die (Hiobs-)Botschaft erhält, Grönland sei auf Öl gestossen. Nyborg lehnt eine Gewinnung wegen des Ökosystems ab, die Grönländer aber wittern Milliardengewinne, um damit ihre vollständige Unabhängigkeit von Dänemark durchsetzen zu können. Die Premierministerin wiederum setzt aufs Öl wegen des Ukraine-Kriegs, des Ölboykotts und auch, um als Player bei den Ölnationen mitzuspielen. Sie massregelt Nyborg, die daraufhin einknickt, mit der Begründung, den Einfluss eines Putin-Oligarchen, der Anteile am Ölunternehmen hält, aus dem Geschäft zu drängen.

Doch nicht nur Russland, auch die USA und China bringen sich für Grönland in Stellung. In dieser komplizierten Gemengelage will Nyborg nicht auf die Verliererseite geraten und plädiert für die Ressourcenausbeutung. Ihre Partei ist entsetzt, der Sender TV1 auch. Nachrichtenchefin Katrine Fønsmark, die Härte gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Schonungslosigkeit gegenüber Nyborgs Politik zu zeigen versucht, gerät unter Druck ihrer Sender-Chefs. Was sie Nyborg vorwirft, passiert ihr selbst.

In «Borgen» (acht Folgen), der Titel bezieht sich auf Christiansborg, den Regierungssitz in Kopenhagen, ist, wie in den früheren Staffeln, Innenpolitik auch immer Aussenpolitik. Schöpfer der Serie ist Adam Price. Auch in der Fortsetzung «Das Reich, die Macht und die Ehre» zeigt er nicht den geringsten Niveauverlust. Eher das Gegenteil ist der Fall. Sozialpsychologisch vom Feinsten und politisch auf dem aktuellsten Stand, macht die Serie mit geradezu spielerischer Leichtigkeit die Mechanismen der Macht anschaulich – wie die Verantwortungsträger diese nicht verlieren wollen, dabei zwangsläufig korrumpiert werden, und welche innere Überwindung es braucht, sich ihr zu widersetzen. Mit Birgitte Nyborg als Identifikationsfigur ist das emotional immer «greifbar».

Frei von dämonischer Zuspitzung

Dramaturgisch auch noch raffiniert und clever: Adam Price geht das Machtproblem im Polit-Zirkus gewissermassen kreisförmig an. Im Zentrum steht Nyborg, die ihre Integrität nicht verlieren will, sie zur Machterhaltung neu justiert und, auch sich gegenüber, damit begründet, bei Ablehnung der Ölförderung Grönlands in eine überwunden geglaubte Kolonialhaltung zu verfallen. Um Nyborg «kreist» Chefin Kragh, die sie häufig in den Senkel stellt und die Unterstützung ihrer Politik verlangt oder eben Konsequenzen zu ziehen. Für die Neuen Demokraten (sie ist die Präsidentin) ist Nyborg eine Opportunistin; für den anberaumten Parteitag stellt sich ein Gegenkandidat zur Verfügung.

Einen weiteren «Kreis» bilden die Medien mit Katrine Fønsmark, die journalistische Härte zeigen will, von einer höheren Instanz und den Einschaltquoten ausgebremst wird, bis sie entnervt das Handtuch wirft. Und «draussen», am äusseren Rand sozusagen, bewegt sich das Private, Nyborgs Familie, Sohn Magnus, dessen Ideale an der machtpolitischen Wirklichkeit der Mutter wie an einem Fels zerschellen. Die «Kreise» tangieren, kreuzen sich und sorgen für richtige suspense.

Im Gegensatz zu «House of Cards», jener anderen exzellenten Polit-Serie, ist «Borgen» völlig frei von dämonischer Zuspitzung. Die Figuren, allen voran Sidse Babett Knudsen, sind «normal», fast wie aus einer Doku. Angesichts dieser Realitätsnähe beschleicht einen das Gefühl, die Serie sei eben erst aus der Postproduktion gekommen, so aktuell ist die Thematik – bis zu Nyborgs Politik, die an den Grünen Habeck erinnert, der wieder für Kohleförderung ist.