Fast im Monatsrhythmus publiziert die Aargauer Gemeinde Dottikon Baugesuche der Dottikon Exklusive Synthesis AG für eine Mehrzweckanlage, eine Abgasverwertungsanlage oder ein Löschwasser-Rückhaltebecken. In der Firma tut sich etwas. Es ist Markus Blochers Spezialchemieunternehmen Dottikon ES, vormals als Ems-Dottikon und noch früher als Schweizerische Sprengstoff-Fabrik bekannt, das am Ausbauen ist – und seit einiger Zeit auch an der Börse Funken sprüht. Wer vor einem Jahr Dottikon-ES-Aktien gekauft hat, hat heute den vierfachen Wert in der Hand, wie die Grafik unten zeigt.
Wobei: Funken und Sprengstoff sind heikel. Geht man in Dottikon durchs Areal, sind Strukturen der früheren Sprengstoffabrik noch sichtbar: Einzelne Arbeitskammern sind im Gelände verteilt, betretbar durch längere Betongänge, die möglichst einen Winkel haben, um allfällige Explosionen abzudämpfen. Ist das nur Nostalgie, übriggeblieben in Bauten? Nein, der gewaltige Sprengstoffunfall vom April 1969 war zwar aus einer anderen Welt, aber eine Ahnung des Explosiven ist noch da: Dottikon ES verwendet hochbrisante Ausgangsprodukte für Pharma-Reagenzien, erstklassige Sorgfalt ist nötig.
Wenn man Aktien der Dottikon ES kaufen kann, ist es dann gleichwohl Markus Blochers Firma? Ja, jedermann kann zwar dabei sein, aber eher passiv. Der 49-jährige Hauptaktionär ist der dominierende Eigentümer, seit 2014 auch Verwaltungsratspräsident, seit 2003 operativer Chef, Gestalter, Innovator, Antreiber. Er hielt bis kürzlich 71,7 Prozent des Aktienkapitals, 7 Prozent lagen bei Peter Grogg, gut 5 Prozent bei seiner Schwester Miriam Baumann-Blocher und folglich weniger als 20 Prozent beim Börsenpublikum. Jetzt gibt es eine kleine Gewichtsverschiebung.
Vorige Woche schloss Dottikon ES eine Kapitalerhöhung um einen Zehntel ab, die nun 200 Millionen Franken in die Kasse bringt. Blocher selber zog nur etwa mit Viertelkraft mit, um seinen Aktienanteil etwas zu verringern – zwei Drittel sieht er als unterste Limite. Das gibt Spielraum für Aktionäre aus dem breiten Publikum. Die Aktie soll in den Schweizer Börsenindex SPI gelangen, und dafür ist ein Streubesitz von mindestens 20 Prozent nötig.
Wozu dient das Geld? Blocher plant für die nächsten sieben Jahre Ausbauinvestitionen von rund 600 Millionen Franken, neue Produktionsanlagen für Pharmawirkstoffe, neue Infrastruktur, verbunden mit 200 neuen Arbeitsplätzen in Produktion und Technik/Engineering am Standort Dottikon, der heute etwas über 600 Vollzeitstellen hat.
Dottikon ES ist nach langer Durststrecke zu einer Erfolgsgeschichte der Schweizer Pharma- und Chemieindustrie geworden. Die Aktien haben jetzt etwa den achtfachen Wert von früher. Gespannt erwartet man die Zahlen zum Geschäftsjahr 2020/21, das Ende März endet.
Ein Geschwister-Vergleich liegt nahe: Markus Blocher hat mit seiner Dottikon ES jetzt etwa die gleiche prozentuale Wertsteigerung seit 2005 erreicht, wie sie seiner Schwester Magdalena Martullo-Blocher mit der Ems-Gruppe gelungen ist. Beide sind ähnlich erfolgreich, beide im Chemiegeschäft – wenn auch nicht auf gleichem Terrain und keineswegs auf gleiche Art. Grob gesagt: Markus ging mit einer viel kleineren und weniger gut geölten Maschine an den Start als Magdalena. Sie ist die erfolgreiche Managerin, er der Unternehmer, der alles wagt, um seine Firma in Schuss zu bringen.
Nach der Wahl ihres Vaters und Ems-Hauptaktionärs Christoph Blocher 2003 in den Bundesrat erhielten die vier Kinder je gleiche Anteile am Konzern. Magdalena wurde Chefin der Ems-Gruppe, Markus Chef der Tochterfirma Ems-Dottikon. 2005 kam es zur Abspaltung, und Ems-Dottikon wurde an die Börse gebracht. Markus tauschte seine Ems-Anteile bei den Geschwistern gegen Aktien des auf Dottikon ES umfirmierten Unternehmens und kam mit der Zeit auf einen Kapitalanteil von gut 70 Prozent. Voller Einsatz.
Der Grössenunterschied ist nach wie vor gewaltig: Ems ist heute mit einer Börsenkapitalisierung von knapp 20 Milliarden Franken fast zehnmal so schwer und umsatzmässig auch zehnmal so gross wie Dottikon. Ems ist seit langem Spitze bei Betriebsmarge und Rendite pro eingesetzten Franken, Dottikon seit jüngstem auch. Anders gesagt: eine ähnliche Ertragsperle, im kleineren Massstab.
Wie ist Dottikons Erfolg zu erklären? Daniel Buchta, Experte für die Pharmaindustrie und Finanzanalytiker bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB), sieht zwei Einflüsse im Vordergrund. «Erstens ist das Marktumfeld für Produzenten von Pharmawirkstoffen besser geworden, weil ein Teil der asiatischen Konkurrenz aus dem Rennen gefallen ist», sagt er. Viele Konkurrenten der Dottikon ES seien jüngst asiatische Firmen gewesen, von denen nun ein substanzieller Teil wegen Qualitätsproblemen von Gesundheits-Aufsichtsbehörden, vor allem der amerikanischen, vom Markt ausgeschlossen worden seien.
Dottikon ES ist ein Auftragsproduzent primär für die Pharmaindustrie. Das ES im Namen bedeutet «Exklusive Synthesis» und heisst, dass man massgeschneidert chemische Spezialprodukte und Dienstleistungen für die jeweiligen Kunden herstellt – als strategischer Partner und Spezialist für sicherheitskritische Reaktionen, die komplex, mit Hochdruck, tiefen Temperaturen et cetera verbunden sind. Ziel ist es, chemische Prozesse oft möglichst früh in der Entwicklungsphase eines Medikaments in Kooperation mit den Kunden zu entwickeln und in deren Auftrag dann die Wirkstoffe herzustellen.
Nach Buchtas Einschätzung ist die Firma gut positioniert für die Herstellung qualitativ hochstehender sogenannter small molecule-Medikamente, also von Arzneimitteln, die kleinere Moleküle darstellen. «In dieser Kategorie ist die Synthese komplex, anspruchsvoll; in diesem Nischenmarkt für innovative Medikamente ist Dottikon mit Lonza wahrscheinlich weltweit führend», sagt er. Und in diesem Segment gebe es weniger Anbieter als im Massenmarkt, die Aussichten auf Umsatzwachstum seien gut.
Früher hatte Dottikon darunter gelitten, dass Grossprojekte plötzlich wegfielen – und wie sieht es heute aus? Buchta stuft die Geschäftsbeziehungen als vergleichsweise langfristig und stabil ein. Solche Auftragsfertigungen liefen je nach Geschäft über fünf bis sieben, im Idealfall bis über zehn Jahre. Dottikon sei oft schon von den ersten Entwicklungsarbeiten an dabei, beim Vorbereiten der Produktion bis hin zur Phase der Grossvolumenproduktion. Auf Kundenseite gewännen zudem kleinere Biotechnologieunternehmen gegenüber traditionelleren Pharmafirmen an Gewicht. Auch das führe zu engerer und stabilerer Zusammenarbeit.
Und was ist der zweite wichtige Einfluss? Die Strategie und Qualität der Führung. Blochers Kompass, Ausdauer, Führung. Es ist jedenfalls bemerkenswert, wie unbeirrt der Chef und Eigentümer Durststrecken durchgestanden hat. Buchta bestätigt, Blochers Zielgerichtetheit und Suche nach Innovation seien wichtige Beiträge zum Erfolg. Die Grafik zu Umsatz und Gewinn zeigt aber anschaulich, wie Blocher sich zuerst durch viele magere Jahre kämpfen musste, bevor der Erfolg kam. Immerhin war die Eigenkapitalquote von rund 80 Prozent so etwas wie ein Granitsockel in der Brandung.
Vor allem ab 2010 drückten Überkapazitäten aufs Geschäft, asiatische Konkurrenten drängten auf den Markt. Aber Blocher begab sich nicht einfach in die Deckung von Kostensenkungen, er duckte sich nicht, indem er Forschung und Entwicklung reduzierte. Nein, wie nur wenige andere verhielt er sich antizyklisch, hielt den Aufwand für Forschung und Entwicklung sowie Investitionen so hoch, als müsse man sich in einer vorwärtsstürmenden Branche an der Spitze halten. Der Turnaround gelang dann, der Aufschwung kam ab 2017, nach den mageren sieben Jahren.
2020 wurde Blocher vom Beratungsunternehmen Obermatt zum «CEO des Jahres» gekürt, quasi zum Schweizer Meister. Die Bewertung der CEO-Leistung beruht auf Finanzfakten nach drei Aspekten: Wachstum im Vergleich mit dem Markt, operative Effizienz im Sinn von Kostenkontrolle und Gewinnsteigerung sowie strategische Leistung, ausgedrückt im Aktienkurs. «CEOs auf der strategischen Rangliste haben im Betrachtungszeitraum überzeugende Strategien gezeigt und gelebt», hiess es bei Obermatt dazu.
Das Wort «gelebt» trifft zu. Auch in der Kostenkontrolle ging Blocher voran, mit einem Jahreslohn von gut 600 000 Franken verkörperte er den Chef, der nicht abhebt, selbst wenn die Firma praktisch ihm gehört. Warum hat er sie nicht ganz gekauft, sondern an der Börse gelassen, was ja aufwendig ist? Es sei gut für die Disziplin, sagte er jeweils, wenn man alle halbe Jahre öffentlich Rechenschaft darüber ablegen müsse, was mit den Finanzen laufe. Und verkaufen? «Durch einen opportunistischen Verkauf rasch viel Geld herauszuziehen, wäre ein Verrat an meinen Mitarbeitern», sagte er 2017 in der Aargauer Zeitung.
Man kann den Firmennamen Dottikon ES auch als Standorttreue verstehen. Blocher verfolgt die sogenannte Einstandortstrategie: alles in Dottikon. Damit alles stimme mit «Chemie, Termin, Qualität» seien klare Kommunikation, kurze Entscheidungswege, geringe Verständigungskosten notwendig – alles am gleichen Ort, ohne Verzettelung, und Verständigung im Unternehmen auf Deutsch. Blochers selbstbewusstes, bestimmtes Auftreten strahlt auch fachliche Kompetenz aus. Er hat an der ETH in Chemie doktoriert, und mit seinem Fachwissen ist er ein anderer Gesprächspartner für Fachleute als ein Manager mit allgemeinerer Ausbildung. Ins Bild passt das Signet der Firma, das eine sechseckige chemische Verbindung darstellt.
Und wie ist es mit der Politik? Hat er als Sohn eines Politikers und Vater von sieben Kindern Anreize, die Welt auch auf diesem Weg zu verändern? Da sehe er zu wenig Effizienz, und mit politischen Stellungnahmen hält er sich zurück. Aber doch nicht ganz. In den Jahres- und Halbjahresberichten von Dottikon ES schreibt er jeweils ausführlich über die Weltlage, etwa die «tripolare Weltordnung» USA–China–Russland, zu Nato, Uno, Europa, über die Weltwirtschaft generell bis hin zur Analyse der Gesundheitsmärkte und zur Einordnung seiner Firma in das Ganze. Gesellschaft und Politik sind ihm ein Anliegen, ja, privat.