An einem Augustnachmittag stehe ich vor der Villa, die Robbie Williams sich in Beverly Hills gekauft hat. Seine Köchin, der ich bei früheren Besuchen nicht begegnet war, erklärt, dass er noch schläft, führt mich aber in den Garten und bietet mir Kaffee an. (Später werde ich erfahren, dass sie mich für einen neuen Leibwächter gehalten hat.) Ich geniesse den Blick über den sonnenglitzernden Swimmingpool bis nach Los Angeles hinunter, während Robbies drei Hunde um mich herumtollen und mit einem Knochen spielen. Ein Mann sammelt, Stück für Stück, ihre nächtlichen Hinterlassenschaften von dem gepflegten Rasen.

Eine Stunde später höre ich eine Stimme, die meinen Namen ruft. Durch die Bäume ist Robbie auf dem Balkon seines Schlafzimmers zu erkennen – splitternackt, abgesehen von seinen vielen Tätowierungen. «Das befreit», ruft er.

Wenig später kommt er, etwas bekleideter, zu mir herunter. Obwohl England nach wie vor sein offizielles Zuhause ist, verbringt er den grössten Teil des Jahres hier, meistens locker und entspannt wie selten. «Jeden Tag scheint die Sonne, wenn ich aufwache», sagt er. «Das ist doch fantastisch.» Als er in die Villa einzog, die er zuerst gemietet hatte, tauchte ein Hubschrauber mit einem Fotografen auf, der über dem Pool Schnappschüsse von ihm machte, aber hier ist er noch nie belästigt worden. Jetzt drängen sich die Hunde um ihn, suchen seine Zuwendung. Sammy, ein Pitbull-Labrador aus einem Tierheim, war der erste, den er sich angeschafft hat. Den zweiten Hund wollte er ursprünglich Davis und den dritten Junior nennen. «War aber eine bescheuerte Idee», findet er. Schäferhund Rudy bekam seinen Namen stattdessen von dem Song der Specials, «A Message to You, Rudy». Der dritte, ein Wolfshund, heisst Sid. «Sid Vicious?», frage ich. «Sid James», sagt Robbie.

Die Frisur von David Beckham

Er erzählt, dass man ihn gebeten habe, David Beckham anzurufen. Er lacht. «David ruft nicht selber an, weil er sich nicht traut, und ich rufe ihn nicht an, weil ich mich nicht traue.» Er glaubt, dass sie eine Art Scheu voreinander haben. «Ich finde ihn grossartig. Er kann toll mit den Medien umgehen, mit seiner Berühmtheit. Es lässt ihn einfach kalt. Man könnte glauben, er sei immun.» «Und, rufst du ihn an?» Robbie guckt leicht schockiert. «Nein.» «Vielleicht», sage ich, «will er seine alte Frisur wiederhaben (David Beckham hatte den gleichen Mohikanerschnitt wie Robbie).» Robbie meint, ihm sei tatsächlich aufgefallen, dass Beckham sich die Haare wieder wachsen lasse, dass seine aber schon länger seien und er den Wettlauf gewinnen würde. «Ich wollte sie mir ganz lang wachsen lassen und dachte, es geht schneller als bei ihm.» Dann fand er, dass sein Gesicht wie ein Fussball aussah, und liess sich die Haare schneiden. «Ich habe aber ein paar Leute extra dafür engagiert», lügt er, «dass sie mir berichten, mit welcher Frisur David Beckham herumläuft.»

Er schaut plötzlich nach oben. Über dem Hügelkamm taucht ein niedrig fliegender Hubschrauber auf. «Das darf doch nicht...», sagt er. Seine Miene verdüstert sich, der ganze Witz, hinter dem er seine Gefühle gewöhnlich verbirgt, besonders wenn es um wirklich ernste Sachen geht, weicht aus seinem Gesicht. «Wenn er kreist, dann...» Wenn er kreist, dann wird sich sein Leben wieder ändern. Doch der Hubschrauber fliegt weiter. Robbie Williams ist nie allein. Wenn er es irgendwie einrichten kann. Als er hört, dass ich vier Tage ganz allein von Oklahoma City nach Los Angeles gefahren bin, schaut er fasziniert und ungläubig zugleich. «Ich kann nicht gut allein sein», sagt er. «Grauenhafte Vorstellung.» Er ist immer von so vielen Leuten umgeben, dass ich mich frage, ob wir je die Gelegenheit haben werden, ein längeres Gespräch zu führen.

Einfach rumlaufen, das Leben geniessen

Eines Nachmittags in seiner Villa (es sind viele Leute da, darunter auch sein Vater, mit dem er, bevor er ihn diese Woche einlud, zuletzt vor anderthalb Jahren gesprochen hat) verkündet Robbie plötzlich, dass er sich mit mir ein Haus in der Nähe ansehen will, das zum Verkauf steht. Einfach so. Wir steigen in seinen schwarzen Jaguar, er fährt. (Er hat zwar mehrere Autos, aber keinen Führerschein, die Strassen in dieser privaten Siedlung sind allerdings nicht öffentlich.) Und plötzlich fängt er an zu reden. Das Haus finden wir nicht, Robbie fährt aber weiter, auf den sechs oder sieben kurzen Strassen, kreuz und quer, in immer neuen Kombinationen, manchmal schneller, manchmal langsamer.

Er sagt, er sei nach Los Angeles gezogen, um einen ihm gemässeren Lebensstil zu finden, aber auch, um einem Leben zu entfliehen, das zunehmend unmöglich erschien. «Seit sechs Jahren war mir klar, dass ich aus England weggehen musste, wenn ich ein Leben führen wollte, wo ich nicht ständig unter Beobachtung stehe. Aber ich wollte nicht weg, es war zum Heulen. Immer musste ich an den Park denken, in dem ich als Kind war, an die Spaziergänge mit den Hunden, an die Picknicks in Buxton – all diese schönen Dinge, die nicht mehr möglich waren.» Aber auch in L.A. sei seit kurzem der Lack ein bisschen ab. «Es ist alles irgendwie kaputt», sagt Robbie. «Sie erzählen dir von den Leuten hier draussen und überall nur Hintergedanken und Karriere und Beziehungen. Und ich dachte wirklich, ich erkenne diese Leute, viele haben sich einfach sehr clever getarnt. Die letzten Wochen waren ernüchternd. In der ersten Zeit habe ich hier alles bekommen – Freunde, viel Arbeit und die Möglichkeit, einfach rumzulaufen und das Leben zu geniessen, und auf einmal...» Er seufzt. «Sie sind wirklich sehr geschickt, normalerweise erkenne ich diese Leute nämlich.»

Ausserdem quäle ihn der Gedanke, jemand aus seiner Umgebung könnte der britischen Boulevardpresse Storys verkaufen. «Ich muss nur etwas denken, und schon steht es in den Zeitungen. Das macht mir wirklich Angst», sagt er. «Wahrscheinlich sind alle Telefone angezapft. Ich kann niemandem mehr trauen.» Robbie erzählt, wie sehr er sich darüber freut, dass sein Vater da ist. «Wir verstehen uns prima», sagt er. «Es ist so, als wäre nie etwas gewesen.» Sein Vater, Komödiant und Entertainer, hat sich von der Mutter getrennt, als Robbie jung war. Robbie hatte immer eine enge Beziehung zu seiner Mutter, mit dem Vater war es schwierig. Dass er den Kontakt zum Vater nicht gerade gesucht hat, hat mit seiner eigenen Alkoholvergangenheit zu tun. Gemeinsame Sauftouren spielten eine wichtige Rolle in ihrer Beziehung, und Robbie hatte Sorge, dass er auch wieder anfangen würde, wenn er seinen Vater trinken sieht. «Ich habe gern mit meinem Dad getrunken», sagt er. «Wir haben uns super amüsiert.» Das war das Problem. «Ich brauchte einen Vater, keinen Freund. Er war ein Kumpel, mit dem man trinken konnte. Was nicht schlecht ist, aber ich habe einen Vater gebraucht.» «Und jetzt? Ist er inzwischen mehr der Vater, oder akzeptierst du ihn als Freund?» Robbie hält an. Der Blick geht über einen buschbestandenen Hang. «Ich akzeptiere ihn als Freund», sagt Robbie, gibt plötzlich Gas, um sofort wieder zu bremsen. Ich überlege, ob er mit seinem Fahrstil seine Gedanken unterstreichen will. «Und es ist gut so. Ich möchte nicht gern für ihn verantwortlich sein, wenn er total besoffen ist.»

Er erzählt, was er in diesem Jahr seiner Popstarkarriere alles erlebt hat: Nachdem wir uns im Januar gesehen hatten, flog er mit Guy Chambers auf die Bahamas, um dort Songs zu schreiben. Chambers hatte er kennen gelernt, als er nach seinem Ausstieg aus der Boygroup Take That neue Leute suchte, und zwischen den beiden hatte es sofort gefunkt. Seitdem haben die beiden fast jeden Song von Robbie Williams gemeinsam geschrieben. Chambers hat auch (mit Steve Power) seine Platten produziert und ist Musical Director von Robbies Band. Robbies drittes Album, «Sing When You’re Winning», ist Chambers gewidmet («der ebenso Robbie ist wie ich»). Robbie ist erst 28, aber er hat einiges erlebt. Wenn man eine Weile mit Robbie Williams zusammen ist, stösst man auf Schnappschüsse aus der Zeit, in der Depressionen, Drogen und Alkohol sich zu einer unheilvollen Spirale verbanden. Eines Abends sagt er plötzlich: «Weisst du, wann ich das erste Mal Kokain genommen habe? Zwei Minuten vor dem ersten Bühnenauftritt mit Take That. Schreib das auf!» David Enthoven, sein Co-Manager und zuständig dafür, ihn von diesen Problemen fernzuhalten, erzählt, wie er Robbie um sieben Uhr morgens auf einer Parkbank in Newcastle entdeckte, nach einer Tour durch Stripclubs und völlig zugeknallt. («Ich habe Rotz und Wasser geheult», fügt Robbie hinzu.) Oder er erzählt von den 25 Guinness, die er an einem Tag getrunken hat. «Ich habe die ersten fünf Gläser hintereinander, in einem Zug geleert. Und dann habe ich alles über Liam Gallaghers Vorhänge in New York wieder ausgekotzt.» Oder er erzählt von einer Zeit, als es ihm besonders dreckig ging: «Es war wirklich schlimm – ich wusste nicht, wie ich an einem normalen Tag um fünf Uhr nachmittags ohne Kokain zurechtkommen sollte.» Oder er erwähnt den Londoner Club, wo er einmal ein Tütchen Trill herumgehen liess, und einen anderen Club, wo auf der Toilette eine Gedenkplatte angebracht wurde, als er seinen ersten Entzug in einer Klinik machte. Oder er erzählt, wie er nach der Premiere von «The Filth and the Fury» mit den Sex Pistols rückfällig wurde, nachdem er acht Monate clean gewesen war, und dass er aufpassen müsse, wenn er Bücher über Punk Rock in die Hand bekommt, weil Punk etwas in ihm auslöse, als seien «hemmungslose Exzesse der Schlüssel zu diesen ganzen Problemen».

Zu viel Raum zum Nachdenken

Er erzählt also gute Storys, aber klar ist auch, dass es für ihn ziemlich bald nicht mehr lustig war und dass schon damals Unglück und Selbstvorwürfe meistens stärker waren. «Am Abend fühlt man sich erst ganz gut», erinnert er sich, «aber dann tut sich bald eine Hölle auf, die man durchqueren muss. Wie viele Pferde waren es bei den Apokalyptischen Reitern? Vier? Als ich abgestürzt bin, waren es fünfzig. Und ich war länger unten als oben.» Er erinnert sich an das (wie er hofft) letzte Mal. An diesem Tag hatte er kapituliert und beschlossen, sich dem Suff hinzugeben. Inzwischen hatte er genug Geld, um sich zu Tode trinken zu können. Irgendwann würde er genauso aussehen wie diese aufgedunsenen Männer mit geröteten Wangen und Kolbennase. Und nachdem er sich schon mit seinem Schicksal abgefunden hatte, kam ihm der Gedanke, doch noch einmal zu einem Meetings einer Selbsthilfegruppe zu gehen.

«Schau mal», Robbie grinst, «in meiner Villa gibt’s einen Lift.» Wir befinden uns im Erdgeschoss. Wenn man in die oberen Geschosse will, kann man einen langen Korridor entlanggehen und die Treppe hinaufgehen. Robbie fährt lieber mit dem Aufzug. Er geniesst es einfach. Von seinem breiten Bett mitten im Schlafzimmer kann er meilenweit sehen. In der ersten Zeit wachte er auf, zog die Gardinen zurück, streckte sich, und dann meldete sich sofort die innere Stimme: «Das hast du nicht verdient. Irgendwann werden sie dir alles wieder wegnehmen.» Dann schaute er hinaus und sah den Mann, der das Laub aus dem Pool fischte (die innere Stimme: «Wie viel verdient der Mann?»), und die Frau, die seine Wäsche besorgte («Wie viel verdient sie?»), und dann setzte Panik ein. «Wenn es mein Schicksal ist, dass mir das alles wieder weggenommen wird, muss ich daraus etwas lernen», sagt er. «Wenn ich es bis an mein Lebensende behalte, muss ich auch dann etwas daraus lernen.»

Robbie wacht nicht immer in diesem Zimmer auf. Oft kann er nicht schlafen, und wenn er allein ist, zieht er in ein kleineres Schlafzimmer um. «Das Zimmer ist zu gross», sagt er. «Es ist zu offen, es gibt zu viel Raum zum Nachdenken. Zu Hause hatte ich nur eine winzige Kammer, deswegen bin ich es gewohnt, direkt an der Wand zu schlafen.» Am Frühstückstisch sitzt Robbies Vater. Er schaut hinaus über die Stadt. «Nächste Woche bin ich in Torquay», sagt er. Er arbeitet noch immer als Entertainer, und man sieht sofort, dass Robbie diese Seite – den witzigen, frechen, hellwachen Entertainer – von seinem Vater hat. Wenn die beiden zusammen sind, fliegen Witze zwischen ihnen hin und her, so als wären sie Rivalen oder ein Komikerduo. Zum Beispiel sein Vater: «Ich habe dieses chinesische Dings mit Nadeln probiert.» «Wie, Akupunktur?», gibt Robbie zurück. «Nein, Heroin.» Nach einer Weile gehen sie zur Garage und dem Tischtennistisch, der neben Robbies Jaguar steht. (Robbie liebt schnelle Autos, auch wenn ihm das peinlich ist. In England hatte er einmal einen Ferrari bestellt, aber dann war ihm so unwohl dabei, dass er sich ein Kennzeichen mit der Buchstabenfolge SORRY kaufte und das Auto am Ende noch vor der Auslieferung weiterverkaufte. Das Nummernschild hat er noch. Es ist typisch für die inneren Verrenkungen, mit denen er vielleicht zeigen will, dass das Luxusteil verloren, die Demutsgeste aber geblieben ist.) Vater und Sohn spielen Tischtennis – scheinbar fair und rücksichtsvoll, aber man merkt trotzdem, wie sehr die beiden miteinander kämpfen. Sein Vater schwitzt mehr und gewinnt öfter. Am Tag nach dessen Abreise sprechen wir über diese Rivalität. Sein Vater hatte erzählt, dass er den jungen Robbie nie habe gewinnen lassen. Und wir wissen, was der Vater damit sagen wollte – Robbie sollte lernen, dass einem im Leben nichts geschenkt wird.

Das Gebrüll im eigenen Kopf

Im Aufnahmestudio höre ich eines Tages ein Gespräch über Robbie und seine neue professio-nelle Einstellung zur Plattenproduktion. «Früher lag er unter dem Mischpult.» «...und hat Guinness getrunken.» «Nur an sich gedacht.» «Genauso war’s.» «Und jetzt sagt er: Hier an dieser Stelle muss es etwas lyrischer sein, vielleicht noch eine Geige dazu...» «Oder: Das Hi-Hat ist zu laut...» «In zugedröhntem Zustand war er besser.» «Kam rein, hat die Rezeptionistin gevögelt...» «...und gleich wieder die Fliege gemacht.» Dieser Tage hängt er im Studio herum. Manchmal ist er konzentriert und nüchtern, manchmal ein bisschen gedämpft und down. Und heute ist er in einer eigentümlichen Stimmung, verrückt und unberechenbar. Er lehnt jeden Vorschlag von Chambers ab, woran sie arbeiten sollten, geht in die Aufnahmekabine, holt sein Feuerzeug heraus und zündet das Tischtuch an. Wieder im Technikraum nimmt er eine akustische Gitarre und tut, als wollte er sie zertrümmern. Zwischen ihm und Chambers spürt man eine gewisse Spannung, die vielleicht mit dem Auf und Ab dieses Jahres zu tun hat, aber auch mit der Unterschiedlichkeit ihrer Charaktere. Die beiden haben etwas von rivalisierenden Brüdern. Man hat das Gefühl, es sind zwei Menschen, die einander immer ärgern und reizen und geradezu verzweifeln über die Schwächen des anderen und blind sind für die eigenen, die aber immer weiterkommen, weil sie etwas Magisches verbindet.

Popstars (oft zerrissen zwischen verquerem Ego und Unsicherheit) sind an schlechten Tagen womöglich mit Leuten konfrontiert, die ihnen von der ersten Reihe aus zurufen, dass sie unfähige Hochstapler seien, und sie mit anderen Bemerkungen fertig machen. Wenn man aber Robbie Williams heisst, dann ist alles noch viel schlimmer (jedenfalls war es jahrelang bei ihm so). Der Mann, der einem die übelsten Sachen zuruft, steht nicht vorn in der ersten Reihe, sondern auf der Bühne. Er ist in einem selbst. Das Gebrüll findet im eigenen Kopf statt, und wenn man sich die Ohren zuhält, wird es nur noch schlimmer.

An alle Leser, die mit Robbie Williams nichts anfangen können, die immun sind gegen seine exzentrisch-ungestüme Art und ihn für einen zweitklassigen Pseudokünstler, einen Angeber, einen Scharlatan halten – Sie vergeuden Ihre Energie. Robbie Williams sieht sich selbst in noch viel schlechterem Licht, und er glaubt jedes Wort. Natürlich ist er auch sein grösster Fan, aber auch sein schärfster Kritiker und ein abgrundtiefer Zweifler. Auf die Frage, wo solch enorme Unsicherheit herkommt, darf man keine simple Antwort erwarten. (Er selbst sagt, dass es in seiner Vergangenheit kein dunkles Geheimnis gibt: «Meine Mama und meine beiden Grossmütter haben mich sehr geliebt, und auch mein Vater, als er noch da war. Ich wurde nicht missbraucht und nicht belästigt, ich bin einfach von Natur aus sensibel.» Er glaubt, dass die Jahre mit Take That ihren besonderen Tribut gefordert haben. «Die Psyche hat viel abbekommen. Die ständige Konkurrenz, Paranoia rund um die Uhr.» All diese Erfahrungen, glaubt er, haben seine Unsicherheiten verhundertfacht. Wenn ihm beispielsweise jemand erzählte, wie viele Millionen Platten er verkauft hatte, hörte er nur die Stimme in seinem Kopf sagen: «Von ‹The Birdie Song› haben sie genauso viel verkauft.» Er trat auf die Bühne hinaus, sah die Menge, die Menschenmassen und dachte: Wieso seid ihr alle gekommen, euch diesen Idioten anzuhören? «Und wenn man vor 60000 Leuten steht», sagt Robbie, «dann ist das wirklich schlimm.»

Ein schöner Tag dank Antidepressiva

«Ja», sagt er. Er zögert, überlegt, ob er damit herausrücken soll. Doch dann kommt es: «Ich bin depressiv. Die Leute glauben, dass man wegen bestimmter Dinge depressiv ist. Es ist ganz anders. Ich fühle mich einfach... beschissen. Das hat nichts mit Verkaufszahlen oder den Medien oder meinem Zuhause zu tun. Es ist eine richtige Krankheit.» «Was macht man in so einem Fall?» «Man nimmt Medikamente», sagt er. Ich: «Du auch?» Er: «Ja.» Wieder eine lange Pause. Er sagt, er habe sich lange dagegen gesträubt – «ich habe mir vorgenommen, eines Tages wachst du auf, und alles ist verschwunden. Ich wollte es ganz allein schaffen» – aber seit einem halben Jahr nimmt er Antidepressiva. «Und deswegen geht es mir heute gut», sagt er. «Wirklich. Deswegen finde ich, dass heute ein schöner Tag ist. Deswegen kann ich mir meine alten Platten anschauen, und sie gefallen mir, und ich finde mich gut. Dass mein Vater hier ist, hat viel damit zu tun, dass ich Medikamente nehme.»

An einem anderen, ebenso schönen Tag kommen wir noch einmal auf dieses Thema zurück. «Ohne Medikamente kann man keine Rekorde brechen», sagt er mit einem schiefen Grinsen. Als wir eines Tages den Santa Monica Boulevard entlangfahren, sagt er zu mir: «Ich dachte immer, es gibt ein Happy End, und natürlich sollte es die grosse Liebe sein. Genau wie im Kino und in den Songs.» Er sagt das so, als könnte er sich immerhin vorstellen, dass die Sache nicht ganz so einfach ist. «Ich glaube, in den letzten zehn Jahren habe ich die Nächte damit verbracht, nach der Mrs. Williams zu suchen.» Er grinst spöttisch, um seine Gefühle zu verbergen. «Und im ‹Stringfellows› oder im ‹Spearmint Rhino› habe ich sie komischerweise nicht gefunden... Ich habe keine Lust mehr, nachts in Stripschuppen rumzuziehen. Ich möchte mich gern niederlassen. Ich habe drei Hunde – und würde gern drei Kinder haben. Ich hätte überhaupt nichts gegen einen Bauch und sonnengebräunte Haut. Nach den nächsten Platten werde ich das machen – mir einen Bauch zulegen und eine schöne braune Haut, Backgammon spielen und Zigarre rauchen.»

In der letzten Zeit war er viel mit Rachel Hunter zusammen, der Ex-Frau von Rod Stewart. Im Sommer brachte News of the World Fotos von Rachel Hunter und Robbie Williams, ziemlich eindeutige Fotos. «Ich hab sie mir im Internet angesehen», sagt er. «Fand sie ganz witzig. Die sahen ja fast gestellt aus, oder?» Er hält inne. «Irgendwie inszeniert.»

Und dann: «Meine Beziehung zu Rachel ist, entgegen der öffentlichen Meinung und diesen Fotos, sehr privat, so sehr, dass wir nicht einmal wissen, was da mit uns passiert. Ich will nur sagen, dass wir furchtbar gern zusammen sind.» Er hat gehört, dass manche Boulevardblätter die Beziehung als gestellt bezeichnen. Andere behaupten, sie hätten sich getrennt. «Ich sage nur so viel: Ich vertrage keine allzu grosse Nähe. Wenn es mir zu eng wird, muss ich eine Zeit lang weglaufen, und dann weiss ich wieder, dass sie die erstaunlichste Frau ist und wir wirklich ungeheuer schöne Momente miteinander haben und ich sie wirklich vermisse. Ich weiss nicht, was das für uns bedeutet, und ich kann eigentlich nur sagen, dass sie die wunderbarste Frau ist, der ich je begegnet bin.» Noch ein Kommentar zu ihrem Verhältnis: «Sex ist kein Thema in den Briefen, die ich nach Hause schreibe – schade eigentlich, meine Mutter mag die Briefe.»

«Thank you for the money»

Robbie Williams trinkt Tee im Garten seines Hauses in West-London. Es ist der erste Freitag im Oktober. Dienstagabend traf er in England ein. Am Mittwochvormittag gab er eine kurze Pressekonferenz, um den Achtzig-Millionen-Pfund-Vertrag mit seiner ehemaligen und jetzigen Plattenfirma EMI Records bekannt zu geben. (Ein Teil der achtzig Millionen dürfte für den Fall zugesagt sein, dass alles gut läuft, aber wenn er weiter Platten macht, bekommt er einen Grossteil der Summe auch so.) Vor den versammelten Medienvertretern riss Robbie – in der bekannten Mischung aus Ironie und Angeberei – die Arme in die Luft und rief: «Ich bin reicher als in meinen wildesten Träumen.»

Er sagt, er sei heute aufgewacht und habe «And I thank EMI for the money and giving it to me» zur Melodie von Abbas «Thank You for the Music» gesungen. Gestern, bei Proben mit der Band, sei ihm klar geworden, dass dieser neue Vertrag vielleicht neuen Druck bedeutet. In seinem Kopf habe er immer diese Stimme gehört, die «Achtzig Millionen! Achtzig Millionen! Achtzig Millionen!» rief, das habe ihn sehr irritiert. «Ich habe mich gefragt, wie man als Achtzig-Millionen-Pfund-Mensch Musik macht. Ich war wirklich ratlos. Ich musste so tun, als hätten sie mir zwei Pfund gegeben.»

Seit unserer letzten Begegnung vor zwei Wochen ist viel passiert. Während Robbie in den kanadischen Bergen bei Calgary mit der Schauspielerin Daryl Hannah ein Video für seine neue Single «Feel» drehte, erschienen die ersten Auszüge des Buches, das seine Ex-Freundin Nicole Appleton von der Girlgroup All Saints gemeinsam mit ihrer Schwester Natalie geschrieben hat. Die traurige News: Nicole war von Robbie schwanger, hatte aber abgetrieben, gegen bessere Einsicht, wie sie heute sagt – unter dem Druck der Plattenfirma, des Managements der Band und der Bandmusiker. Robbie erscheint meist rücksichtsvoll und einfühlsam, aber die Boulevard-presse schilderte gleichwohl in aller Ausführlichkeit, wie überrascht und wütend er auf diese Enthüllung reagiert haben soll.

Nicole, sagt er, habe ihm schon vor langer Zeit erzählt, dass sie das Buch schreibe und die Schwangerschaft erwähnen werde. Er habe ihr gesagt, dass er das mutig finde. Während des ganzen Trubels der letzten Woche hätten sie wieder miteinander gesprochen, zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr. Er habe einfach sagen wollen, dass er nicht wütend sei, und ihr viel Glück wünschen wollen. Er hat die Auszüge gelesen und meinte, sie seien ziemlich zutreffend. «Ich fand das alles sehr schade», sagt er. «Für uns beide. Denn dann gäbe es jetzt ein Kind, drei oder vier Jahre alt – und ich weiss nicht, wo ich jetzt wäre. Ich verstehe völlig, warum Nic das tun musste. Aber ich war wirklich sehr traurig. Es ist eine Phase meines Lebens. Es tut mir Leid für sie, weil sie die ganze Zeit mit einem Idioten zusammen war. Ich war nicht der verträglichste Mensch. Es hat mir Leid getan für alle Beteiligten. Ich habe mir selbst Leid getan. Das ungeborene Kind hat mir Leid getan. Ich habe mich gefragt, was das alles bedeutet, wie Gott darüber denkt und welche Rolle ich dabei spiele und was ich akzeptieren und was ich wieder gutmachen muss.»

Ende dieser Woche hiess es, Robbie habe sich nach der Unterzeichnung seines neuen Vertrags von Guy Chambers getrennt. Zu meinem Erstaunen höre ich, dass das stimmt. «Unsere Beziehung ist beendet», sagt Robbie. Obwohl er einige Beispiele für überzogene Forderungen und unakzeptables Verhalten von Chambers erwähnt, gerade in den letzten Wochen, wählt er seine Worte sehr sorgfältig: «Guy glaubt anscheinend, die Leute kommen seinetwegen in die Konzerte», sagt er. «Es ist furchtbar schade, denn der Song, den wir zuletzt geschrieben haben, ist wirklich gut. Bei diesem Album wurde es besser. Wir haben eine höhere Ebene erreicht.»

So wie die Geschichte in den Medien verbreitet wird, klingt es, als würde Robbie ohne Chambers Schwierigkeiten bekommen, als würde er zu den fertigen Songs nur noch ein bisschen Wortgeklingel beisteuern. «Die sehen mich als Bernie Taupin und Guy als Elton John», sagt er. «Ich fände es extrem illoyal, wenn jemand in meiner Plattenfirma denkt, der Löwenanteil an den Songs kommt nicht von mir.» Vielleicht ist es kein Zufall, dass ich ihn an diesem Tag einen Song auf der akustischen Gitarre spielen höre, den er gerade geschrieben hat. Inspiriert von dem «Soft corrosion» auf einem Vintage T-Shirt von Vivienne Westwood/ Malcolm McLaren, das eingerahmt in einer Toilette in seinem Haus hängt, ist daraus ein melancholischer Antikriegs-Song geworden.

Zur Zeit versucht er, sich in seinem klaustrophobischen Londoner Leben einzurichten. Er zeigt auf die Wohnung gegenüber, von der es kürzlich auf der Immobilienseite der Times korrekt, aber etwas unheimlich hiess, sie biete einen Blick auf den Garten von Robbie Williams. Draussen vor dem Anwesen lungern gewöhnlich Paparazzi herum. Heute werden sie Fotos von dem neuen Tischtennistisch machen können, der am Nachmittag geliefert werden soll. «Die würden noch an meinem Tod verdienen», sagt er. «Die warten doch nur auf irgendeinen spektakulären Misserfolg, den sie dann ausschlachten können.» Früher hat ihn das aggressiv gemacht, aber in der letzten Zeit hat er verstanden, dass man die Sache auch anders sehen kann. «Ich fand alles so unfair», sagt er. «Es ist ja auch wirklich unfair, aber auf der Welt geht es nun mal nicht fair zu. Wenn es fair zuginge, hätte ich diesen Achtzig-Millionen-Vertrag nicht bekommen und ich wäre kein Popstar. Dann sässe ich jetzt in Stoke-on-Trent in irgendeinem Pub und würde erzählen, wie ich als Kind gesungen habe. Also kann ich nur von Glück reden, dass die Welt nicht fair ist.»

Nachdem der neue Mega-Vertrag unterzeichnet war, wurde ihm berichtet, dass die Sun schreiben wollte, er habe nach der Feier den «Groucho Club» nachts um eins verlassen – und zwar nicht mehr ganz nüchtern. Dabei war er überhaupt nicht in dem Club. Der Punkt ist ja nicht nur, dass es eine Falschmeldung war. Sie können sich nicht vorstellen, wie Robbie Williams tatsächlich lebt. «In Wahrheit», sagt er, «habe ich mit einer Schachtel Pralinen vor dem Fernseher gesessen und Fussball geschaut. Und anschliessend bin ich ins Bett gegangen.»

Aus dem Englischen von Matthias Fienbork.
W Daily Telegraph

Zuletzt erschienen: Robbie Williams: Escapology (EMI)