Sie heisst «Meldezentrale für Eidgenossen» und nennt als ihre Bestimmung und Leidenschaft «Entsorgungen von Kommentaren und Ferienreisen für überforderte und gereizte Eidgenossen, SVPler, AfD-Mitglieder, Pegidisten, Rassisten und Sexisten aller Couleur». Die Facebook-Seite gehört zu den Trendsettern eines neuen Sports im Internet: der Treibjagd auf Andersdenkende. Die selbsternannten Meinungswächter haben es auf Personen und Ansichten abgesehen, die ihnen nicht genehm sind – mit dem Ziel, die unliebsamen Stimmen mundtot zu machen und vom Meinungsmarkt im Internet fernzuhalten, wenigstens vorübergehend («Ferienreisen»).

Ein aktuelles Beispiel: Die Jagdlust der Netzjäger konzentriert sich derzeit voll auf eine Lokalpolitikerin aus dem Kanton Aargau, die dank der Angriffe nationale Bekanntheit erlangen dürfte: Nicole Müller-Boder, seit 2016 Grossrätin der SVP, Fitnessinstruktorin, Hausfrau, Mutter von zwei Kindern. Die «Meldezentrale für Eidgenossen» brüstet sich öffentlich damit, Beiträge von Müller-Boder «anonym» bei Facebook gemeldet zu haben, weil sie «Hassreden» enthielten. Als Beleg dafür präsentiert sie die entsprechende Bestätigung auf ihrer Startseite, eingerahmt in einen Goldrahmen. Die didaktische Antwort von Facebook präsentieren diese «Eidgenossen» ebenfalls stolz der Öffentlichkeit: «Vielen Dank für deine Meldung. Es war richtig, uns das mitzuteilen. Da die Seite, auf der dieser Beitrag veröffentlicht wurde, gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstösst, haben wir sowohl die Seite als auch alle zugehörigen Beiträge, auch den von dir gemeldeten, gelöscht.» In der Mitteilung fordert Facebook die «Meldezentrale» dazu auf, ihr – wie soll man es anders nennen? – denunziatorisches Treiben fortzusetzen: «Bitte informiere uns, wenn dir weitere bedenkliche Inhalte auffallen. Es ist unser Ziel, dass Facebook für alle eine sichere und einladende Umgebung bleibt.»

Barbie mit Maschinengewehr

Sicher und einladend? Für ausgeschlossene Nutzer wie Nicole Müller-Boder muss das wie blanker Hohn in den Ohren klingen. Ihr Facebook-Konto wurde zuerst für einen Tag, dann für drei Tage und schliesslich für dreissig Tage gesperrt sowie kürzlich «gelöscht». Ihre Erfolge als williger Zuträger der Facebook-Inquisitoren zelebriert die «Meldezentrale für Eidgenossen» auf ihrer Seite genüsslich, die aus dem sozialen Netzwerk verdammten politischen Gegner stellt sie aus wie Trophäen. Nicole Müller-Boder zeigt sie vorzugsweise als blondes Barbie mit Maschinengewehr. Wie sich diese zweifellos sexistische Verunglimpfung mit dem erklärten Kampf gegen «Sexisten aller Couleur» verträgt, bleibt das Geheimnis der Betreiber.

Dabei ist Facebook nicht das einzige Medium, auf dem die SVP-Politikerin massivem öffentlichem Druck von linken Gruppen ausgesetzt ist. Auf einer eigens gegen sie gerichteten Website wird sie als «heilige Nicole aus Buttwil» verspottet, die mit ihrem Eintreten für Meinungsfreiheit einen «Leidensweg» gehen müsse. Auf der Facebook-Seite «Perlen aus Blocheristan» (Untertitel: «Stopp dem Wahnsinn aus Herrliberg») wird ihr vorgeworfen, sie verbreite Fake News sowie «linken-, ausländer- und vor allem muslimfeindliche Posts». Es gehe darum, diese angeblich «xenophoben und menschenverachtenden» Aussagen zu dokumentieren und Facebook davon «sauber zu halten». Auch das «Eidgenössische Trollkommando» und die lokale Ausführung «Aargauisches Trollkommando» haben sich auf die SVP-Sicherheitspolitikerin eingeschossen.

Aber was hat Nicole Müller-Boder überhaupt auf Facebook geschrieben? Die bisher längste Sperre erhielt sie wegen eines Kommentars zu islamistischen Terroranschlägen. Ein anderer Facebook-Nutzer hatte die Anschläge mit dem Argument zu rechtfertigen versucht, die Terroristen seien halt arme Teufel, die weniger zum Leben hätten als wir. Müller-Boder konterte, indem sie dieses Argument ironisch ad absurdum führte. Wörtlich schrieb sie: «Sie haben Recht . . . Diese Menschen haben weniger als wir, deswegen ist es auch absolut legitim, dass sie uns mit einer Axt umbringen, die Köpfe abschneiden, uns in die Luft sprengen, abknallen, überfahren etc.» Für diesen Post wurde Müller-Boder einen Monat lang vom sozialen Netzwerk ausgeschlossen. Was daran «Hassrede» sein soll, bleibt schleierhaft.

Nach der dreissigtägigen Sperre jubelte die «Meldezentrale für Eidgenossen» letzte Woche, nun sei die Facebook-Seite der unliebsamen SVP-Frau sogar ganz «gelöscht» worden, wenn vielleicht auch noch nicht definitiv. Tatsächlich schloss Facebook die Seite wegen angeblicher «Gewaltverherrlichung». Müller-Boder hatte zuvor alle ihre Posts gesichert und dokumentiert. Darunter finden sich vor allem kommentierte Links zu Zeitungsartikeln, beispielsweise zu einem Interview mit SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga oder einem solchen mit dem deutschen Islamkritiker Thilo Sarrazin. Im engeren Sinn um das Thema Gewalt geht es in einem von Müller-Boder geteilten Artikel der Berner Zeitung über die jüngsten Angriffe auf Polizisten beim alternativen Berner Kulturzentrum Reitschule («Mehrere Verletzte bei Tumulten vor der Reitschule»). Aber der selbsterklärten SVP-Hardlinerin vorzuwerfen, sie verherrliche diese Ausbrüche linker Gewalt, wäre nachgerade absurd. «Wer die Polizei angreift, greift unseren Rechtsstaat an», schreibt Müller-Boder in ihrem Kommentar. Dies gelte es mit harten Strafen zu ahnden. Man findet in ihren Beiträgen zwar klare politische Meinungsäusserungen, aber weder verbale Entgleisungen noch Beleidigungen. Trotzdem wird ihre Seite von Facebook regelmässig entsorgt – Giftklasse eins.

Weil Facebook selbst auf Nachfrage keine weiteren Angaben zur Löschung der Seite macht, bleibt unklar, weshalb sie überhaupt gelöscht wurde. Denkbar ist, dass dabei auch Dritte eine Rolle spielen, die auf der Seite der Politikerin ihre eigenen Kommentare hinterlassen. Da gebe es schon Aussagen, die sie nicht goutiere und manchmal selber entferne, sagt Müller-Boder. Anstand und Respekt müssten gewahrt bleiben. Im Fall Reithalle habe sie einen Kommentar entfernt, der die Polizei in grober Sprache zum Gebrauch der Schusswaffen aufgefordert habe. Falls ihre Seite aufgrund eines solchen Fremdkommentars gelöscht wurde – genauer weiss man das nicht –, würde sich die Frage stellen, inwieweit eine Politikerin oder ein Politiker dafür verantwortlich ist, was Drittpersonen so denken und schreiben. Genügt es nicht, wenn man die Leute sperrt, deren Kommentare überborden? Oder glaubt Facebook an eine Art erweiterte Sippenhaft?

Facebooks missionarisches Pathos

Wie der Aargauer Politikerin geht es vielen auch weniger bekannten Bürgern in diesem Land, die vielleicht nicht dieselben Möglichkeiten haben, sich öffentlichkeitswirksam gegen das Verpetzen und Verbieten zu wehren. Die Weltwoche erreichen immer wieder Zuschriften von Leuten, die sich zu Unrecht am Pranger sehen und deren Facebook-Konten gesperrt wurden. Sie alle dürften sich fragen: «Wie steht es mit dem Grundrecht der freien Meinungsäusserung im Internet? Gelten dort andere Gesetze als im restlichen Leben? Wie kann ich mich gegen die Verunglimpfungen wehren?»

Das Recht, dass jeder seine Meinung frei äussern darf, gelte auch im Netz, sagt der Staatsrechtsprofessor und Demokratie-Experte Andreas Glaser (siehe Interview Seite 30). Juristisch sei jedoch umstritten, welche Verpflichtungen Facebook gegenüber seinen Nutzern habe. Als private Firma sei Facebook nicht verpflichtet, spezifische Meinungen zuzulassen. Trotzdem gilt aufgrund von Artikel 35 der Bundesverfassung der Grundrechtsgehalt der Meinungsäusserungsfreiheit: «Die Behörden sorgen dafür, dass die Grundrechte, soweit sie sich dazu eignen, auch unter Privaten wirksam werden», heisst es dort in Absatz drei. In Deutschland hat kürzlich das Oberlandesgericht München entschieden, die Meinungsfreiheit gelte vor den Richtlinien von Facebook. Das wäre auch in der Schweiz denkbar, so Glaser.

Das soziale Netzwerk definiert seinen Anspruch nicht ohne ein gewisses missionarisches Pathos: Es wolle den Menschen die Möglichkeit geben, «Gemeinschaften zu bilden und die Welt näher zusammenzubringen». Die Freiräume sind allerdings begrenzt. Facebook entscheidet, «was du auf Facebook teilen und tun kannst». Die Selbstentfaltung darf «nicht auf Kosten der Sicherheit und des Wohlergehens anderer oder der Integrität unserer Gemeinschaft erfolgen». Daher stimmen Facebook-Nutzer automatisch den «Gemeinschaftsstandards» zu, die festlegen, «was auf Facebook gestattet ist und was nicht». Darin heisst es, Facebook sei ein Ort, an dem «Menschen sicher und unbesorgt miteinander kommunizieren können». Dabei sei «jegliche Art von Missbrauch» untersagt. Ziel des Leitfadens sei es, «die freie Meinungsäusserung zu unterstützen und dazu ein sicheres Umfeld zu schaffen». In erster Linie gehe es um «Vielfalt der Meinungen und der Sichtweisen». «Im Zweifelsfall lassen wir Inhalte zu, selbst wenn manche sie für unangemessen halten», vermeldet Facebook.

Nicht erlaubt sind gemäss den Facebook-Richtlinien «glaubhafte Gewaltabsichten» sowie Inhalte, die «eine glaubhafte Bedrohung» oder «eine reale Gefahr für Leib und Leben» darstellen. «Hassrede» (ein «direkter Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften») werde grundsätzlich nicht zugelassen. Bei schweren Zuwiderhandlungen will Facebook die «Posting-Rechte [...] einschränken oder das entsprechende Profil deaktivieren».

So weit die Theorie. Wie Facebook dabei konkret vorgeht, bleibt allerdings intransparent; auf entsprechende Fragen der Weltwoche traf bis Redaktionsschluss keine Antwort ein. Beispiele lassen vermuten, dass es in der Praxis oft darauf hinausläuft, dass das liberale Credo im Zweifelsfall eben nicht mehr gilt – und dass politisch rechtsstehende Meinungen strenger und häufiger geahndet werden als linksstehende. Das mag mit den Vorlieben der unbekannten Facebook-Zensoren irgendwo in Irland oder sonst wo zu tun haben, liegt aber auch daran, dass linke Aktivisten weit mehr Energie investieren, um politische Gegner zu «melden».

Obwohl etwa die «Meldezentrale für Eidgenossen» von sich sagt, sie kämpfe allgemein für «weniger Hass» im Netz und habe es «nicht auf eine rechte Zielgruppe» abgesehen, ist sie auf dem linken Auge nachweislich blind. Die Weltwoche fragte explizit nach Beispielen von linker Hassrede, welche die «Meldezentrale» an Facebook übermittelt hat. Die Antwort lautete so: «Nun, bei linken Hasskommentaren müssen wir etwas suchen, da wir unser Archiv nicht nach Parteizugehörigkeit unterhalten, sondern nach Aussagen. Vielleicht finden wir einige, welche sich klar dem, wie Sie sagen, ‹linken Lager› zuordnen lassen.» Gekommen ist dann aber nichts. Unter den über 8000 «Meldungen», die sie nach eigenen Angaben an Facebook übermittelt haben, fanden die Betreiber offenbar keine einzige eines linken Absenders.

Eine ähnliche Erfahrung machte Nicole Müller-Boder mit dem von Jolanda Spiess-Hegglin geführten Verein «Netzcourage», der sich nach eigenem Bekunden dem Kampf gegen Hass im Internet verschrieben hat und «Menschen in Situationen der Onlinewelt» helfen will, «in welchen sie allein nicht weiterkommen». Müller-Boder berichtete Spiess-Hegglin von konkreten Beispielen sexistischer Beleidigungen gegen sie («SVP-Hure», «Halt die Fresse», nicht zitierbare Sexualfantasien) und fragte die ehemalige grüne Zuger Kantonsrätin, ob sie auch bei Ehrverletzungen gegenüber rechten Frauen aktiv werde. Natürlich unterstütze sie auch rechte Politikerinnen, antwortete Spiess-Hegglin. Doch sie habe dann immer weniger von der zunächst angekündigten Unterstützung wissen wollen. Als die Facebook-Seite der SVP-Politikerin nach einem veritablen Shitstorm in den sozialen Medien schliesslich gesperrt wurde, jubilierte Spiess-Hegglin im Chor der linken «Melder»: «Wo ist die Seite von Nicole Müller-Boder denn hin? Furt, weg, nümmeda.»

Der angeblich neutrale, nach allen Seiten offene Verein «Netzcourage» offenbart seine politische Schlagseite. Tatsächlich ist die gegenseitige Verbindung zwischen Jolanda Spiess-Hegglin und der «Meldezentrale für Eidgenossen» vielfach belegt. Bei den Sperrmeldungen Letzterer drückt Spiess-Hegglin regelmässig den «Gefällt mir»-Knopf, herzt digital oder hinterlässt gar den hämischen «Haha»-Smiley. Die «fleissigen Bienen» der «Meldezentrale» hätten ein «Hoch» und viele Likes verdient, findet die Ex-Politikerin aus Zug. Auch mit den «Leckerbissen aus Blocheristan» arbeitet Spiess-Hegglin fruchtbar zusammen, jedenfalls bedankt sich die Seite öffentlich bei ihr für die wertvolle Mithilfe.

Rechte hinken hinterher

Und wie sieht es auf der Gegenseite aus? Gibt es auch Rechte, die im Internet Linke aufspüren und «melden»? Die «Meldezentrale der Eidgenossen» beteuert, es gebe «genug Rechte, welche seit Jahren auch Linke zu melden versuchen». Halt einfach mit «viel weniger Erfolg». Es stimmt: Seiten wie «Das lassen wir uns nicht länger bieten», «Schliessen wir das Kapitel ‹Meldezentrale für Eidgenossen›» und «Nicht links» gehen zum Gegenangriff über und greifen in die gleiche Trickkiste. Im «Album des Grauens» auf «Nicht links» kursieren Screenshots, die zeigen, dass gemeldete Beiträge von Facebook entfernt wurden. «Je mehr Meldungen [beim Facebook-Support, Anm. der Red.] eingehen, desto grösser ist die Chance, dass die Seite von Facebook entfernt wird», schreiben die ebenfalls munter «meldenden» Gegner der «Meldezentrale».

Allerdings muss man die Proportionen im Auge behalten: Rechte Links-Melder sind gegenüber linken Rechts-Meldern in krasser Unterzahl. In den genannten rechten Gegenorganisationen weibeln insgesamt rund fünfzig Personen. Mehr haben den «Gefällt mir»-Knopf nicht gedrückt. Sie stehen über 400 Nutzern allein in der «Meldezentrale für Eidgenossen» gegenüber. Der Schluss drängt sich auf: Die Linken beherrschen das Handwerk der Netzzensur und -beeinflussung ungleich virtuoser als die Rechten. Und sie dürfen sich auch leichter in Beschimpfungen ergehen, ohne dass sie dafür geahndet würden. Facebook-Gruppen wie «Anti SVP – Stoppt den Wahnsinn!» oder «Scheiss! SVP» müssten eigentlich schon von ihrem Namen her bei Facebook durchfallen, gemessen an den eigenen Standards des Sozialnetzwerks. Demokratisch gewählte Nationalräte werden auf diesen Seiten von Usern als «Neo-Nazi. Punkt» bezeichnet und die SVP als «erbärmliche braune Partei» abgestempelt. Selbst die FDP-nahe NZZ bekommt ihr Fett weg: Ein Facebook-Nutzer fragt, ob die Zeitung «wirklich so tief gesunken» sei, «dass sie einfach Behauptungen der Neonazis und Faschos» übernehme. In vielen Posts von mehreren der genannten Gruppen finden sich gleichzeitig die Hashtags «fcksvp» und «fcknzs», abgekürzt für «Fuck SVP» und «Fuck Nazis». Dass vielfach ein «#NOH8» (sprich: «No hate») auf gleicher Linie flimmert, erstaunt. Oder eben nicht.

Auch beim Hass im Netz gilt: Die grössten Kritiker der Elche sind oft selber welche.