Die wilden Rehe auf dem Basler Friedhof am Hörnli können vorläufig weiter am Grabschmuck knabbern, ohne Gefahr zu laufen, hinterrücks abgeschossen zu werden. Es ist dies der jüngste Erfolg von Vera Weber. Sie hat mit Vehemenz gegen das von den Basler Behörden geplante «Reh-Massaker» protestiert und die Empörung vieler Tierliebhaber gegen die Abschussaktion orchestriert. Man meint, heiligen Zorn in Vera Webers Augen zu sehen, als sie von der «unglaublichen Dummheit» erzählt, die die Basler vorhatten. Wir treffen uns beim Sitz der Fondation Franz Weber im Berner Mattequartier, wo Vera Weber arbeitet, wo sie die Geschäfte der Stiftung führt und die Kampagnen plant, unterstützt von rund zehn Mitarbeitern. Die 45-Jährige wohnt gerade um die Ecke. Nebenan rauscht die Aare vorbei; das Altstadtquartier – ehemals schlecht beleumdet und von Überschwemmungen geplagt, heute ein gesuchtes Wohnviertel – sei irgendwie magisch, ganz anders als die restliche Stadt, wie ein Dorf, findet Weber. Wegen der zentralen Lage hat sie den offiziellen Sitz der Stiftung vor ein paar Jahren von der prächtigen Villa in Montreux nach Bern verlegt.

 

Einsames Mädchen

 

Vera Weber kennt man als die Tochter von Franz Weber, auch heute noch. Sie ist das einzige Kind des Grossmeisters der Schweizer Umweltbewegung, der letztes Jahr im Alter von 91 Jahren, zunehmend umnachtet, gestorben ist. Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet Vera Weber bereits für die Fondation Franz Weber, hat die Stiftung in dieser Zeit geprägt und modernisiert. 2014 setzte sie der Vater offiziell als seine Nachfolgerin ein. Geschenkt wurde ihr das nicht. Ihr Vater sei über ihr Engagement nicht immer nur erfreut gewesen und habe sie teils als Konkurrenz betrachtet, sagt sie. Es habe heftige Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben, fast wäre es zum definitiven Zerwürfnis gekommen – «dabei ging es nie um die Sache an sich, da waren wir uns einig, sondern über den besten Weg zum Ziel».

Anders als ihr Vater hatte Vera Weber kein Erweckungserlebnis, das sie plötzlich zur Umweltschützerin machte. Bei ihm war es das Vorhaben, das Oberengadiner Dorf Surlej zu einer Kleinstadt auszubauen, das ihn Mitte der 1960er Jahre zum leidenschaftlichen Kämpfer gegen «Baulöwen», «Spekulanten» und «Naturfrevler» werden liess – so zumindest geht die Legende. «Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem es nur ein Thema gab. Meine Mutter und mein Vater arbeiteten pausenlos, ich war viel allein. Und für mich war immer klar, dass ich weitermachen muss – nicht, weil meine Eltern das von mir verlangt hätten, überhaupt nicht, sondern, weil ich das selber wollte.»

 

Jugend im «Giessbach»

 

Vera Weber war nicht nur allein, sondern empfand sich auch als Aussenseiterin. «In der Schule in Montreux waren meine Klassenkameraden oft distanziert, ja manchmal auch gemein zu mir. Viele Eltern von Mitschülern wollten nicht, dass sich ihre Kinder mit einem Mädchen anfreundeten, dessen Vater derart polarisierte, der sich mit Bauriesen heftige Auseinandersetzungen lieferte und sich mit deutlichen Worten gegen Tierversuche, Robbenmassaker und andere Grausamkeiten aussprach. So waren Geburtstagsfeste oder Silvesterabende oft eine einsame Angelegenheit», schrieb sie letztes Jahr in einer Würdigung ihres Vaters in der Schweizer Illustrierten. Heute herrschen andere Zeiten, Umweltschutz ist voll im Trend, und Vera Weber wäre wegen ihres kämpferischen und unerschrockenen Erzeugers jetzt der Star jeder Schulklasse – sie lacht, als wir ihr das sagen: Das habe sie sich noch nie überlegt.

Eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielte das am Brienzersee gelegene «Grandhotel Giessbach», ein historisches Schmuckstück, dem in den 1980er Jahren der Abriss drohte und das von Franz Weber «gerettet» wurde – wie so viele andere Kulturgüter und Landschaften im In- und Ausland, von den Weinbergen des Waadtländer Lavaux über die Donau-Auen bis zur griechischen Stadt Delphi. Vera Weber verbrachte als Teenager viel Zeit im «Giessbach», fand Anschluss an das Hotelteam, arbeitete im Betrieb mit und gewann Abstand zum übermächtigen Vater und zu den allgegenwärtigen Kampagnen. Sie absolvierte die Hotelfachschule in Luzern – «Ich wollte einen Beruf haben, der Hand und Fuss hat, der mir die Existenz sichert, und zwar überall auf der Welt.» Im Hotelfach arbeitete sie später aber nie.

Vera Weber ist eine charmante Gesprächspartnerin. Doch man spürt, dass man sich vom sanften Auftreten der Frau mit den langen blonden Haaren, von ihrer mädchenhaften Stimme nicht täuschen lassen sollte. Die Umweltschützerin scheint von ihrer Mission beseelt zu sein – «Ich fühle die Pflicht sehr stark, mich einzusetzen und für Verbesserungen zu kämpfen, meine Arbeit ist nie zu Ende» –, und man traut ihr einen eisernen Willen zu und dass sie sämtliche Register zieht, um ihre Vorhaben voranzubringen. Wie einst ihr Vater, so spricht auch Vera Weber gerne in blumigen Sätzen und bedient sich einer gewissen Theatralik. «Jedes Mal, wenn ich einen Bulldozer in der Landschaft sehe, dann blutet mein Herz. Genauso blutet es, wenn ich an die Schlachttiere denke oder an die Stiere in den Stierkampfarenen.»

Dass sich die Jugend für das Klima einsetzt, sei wunderbar, findet Vera Weber. Allerdings ist ihr die jetzige Diskussion oft zu abstrakt und technokratisch. «Man redet über Abgaben und Steuern, über Treibhausgase, das alles kann man nicht anfassen. Um Naturschutz erfolgreich voranzutreiben, muss man die Herzen der Menschen ansprechen.» Die Jungen dürften zudem noch ein bisschen konsequenter sein, meint sie, also beispielsweise damit aufhören, Fastfood-Burger zu essen oder wie wild in der Gegend herumzureisen. «Heute meint jeder, es sei sein Recht, eine Safari zu machen, Wale zu beobachten, die Wochenenden in Mallorca zu verbringen. Wir tun so, als ob uns das alles zustehen würde, doch das tut es nicht. Ein bisschen Mysterium schadet nicht – nicht jeder muss den Machu Picchu gesehen haben.»

 

Gefährliches Wallis

 

Verglichen mit ihrem populären, etwas exaltierten Vater, zieht Vera Weber weniger Aufmerksamkeit auf sich. An Gegnern fehlt es ihr aber dennoch nicht. Denn mit ihren Referenden, Einsprachen, Rekursen ist die Fondation Franz Weber häufig erfolgreich und durchkreuzt so manche langgehegten Träume, so manche schönen Pläne und gewinnversprechenden Vorhaben. Wie beispielsweise das Prestigeprojekt des Basler Zoos, das Ozeanium, das 2019 an der Urne gescheitert ist. «Zehn Jahre haben wir dagegen gekämpft, lange Zeit alleine, gegen Ende kamen dann weitere Mitstreiter dazu.» Mit der Zweitwohnungsinitiative, die 2012 an der Urne angenommen wurde und ein sensationeller Erfolg für die Webers war, haben sie zahlreiche Tourismusgemeinden und Bauherren gegen sich aufgebracht. Schlaumeier, die meinen, sie könnten die Regeln umgehen, werden von Helvetia Nostra, der Tochterorganisation der Stiftung, konsequent vor Gericht gezogen. Ob sie sich noch ins Wallis wage, möchten wir von Vera Weber wissen. «Ich war einige Male dort. Sagen wir es so: Ich wurde zumindest nicht mit Eiern beworfen.» Da ging es ihr besser als ihrem Vater, über den eine Serviertochter in einer Walliser Gaststube einst einen Kübel Gülle auskippte. «Unangenehme Erlebnisse gibt es immer, einmal wurden mir zwei Jagdpatronen zugeschickt: eine für mich, die andere für unseren Rechtsanwalt.»

 

Versöhnung mit der Weltwoche

 

Zur Weltwoche hatte die Familie Weber lange Zeit ein angespanntes Verhältnis. Ende der 1980er Jahre gab es einen heftigen Streit zwischen ihrem Vater und dem damaligen Weltwoche-Journalisten Felix E. Müller, der Weber intransparentes Finanzgebaren vorwarf. Die Auseinandersetzung führte zu Klagen, Gegenklagen und umfangreichen Prozessen und endete 1993 mit einer Vereinbarung. «Der Begriff Weltwoche wurde damals zu einem ‹Angstwort› bei uns zu Hause, mein Vater regte sich fürchterlich über die Zeitung auf, und als Kind zuckte ich jedes Mal zusammen, wenn der Name fiel.» Doch das ist lange her, Franz Weber hat sich vor ein paar Jahren gegenüber der Weltwoche versöhnlich gezeigt, und Vera Weber findet die Zeitung heute sogar «ein wichtiges und nötiges Blatt».