Für eine Stadt mit einer halben Million Einwohnern ist Edinburg erstaunlich selbstbewusst. Vielleicht auch deswegen, weil Edinburg seit 1582 die Hauptstadt von Schottland ist und eine guterhaltene mittelalterliche Altstadt hat.

Im Gegensatz zu Coventry wurde Edinburg im Zweiten Weltkrieg nicht komplett zerstört. Neben Bath im Südwesten Englands stellt die New Town in Edinburg das wohl schönste Ensemble neoklassizistischer und georgianischer Architektur in Britannien dar. Überragt wird diese Szenerie durch das Schloss, das auf einem erloschenen Vulkan errichtet wurde. Doch es sind nicht allein die prächtigen Bauwerke, die Edinburg in eine Reihe stellen mit den herausragenden Kulturzentren der Welt wie Florenz, St. Petersburg und Kyoto. Edinburg bietet auch ein dynamisches Kulturleben. Das Edinburgh International Festival, 1947 ins Leben gerufen, findet im Sommer und zeitgleich zum Edinburgh Festival Fringe statt, einem Jury-freien Kulturfestival, das drei Millionen Besucher anlockt. Dazu gibt es inzwischen 25 weitere Grossveranstaltungen wie das berühmte Hogmanay-Festival über Silvester.

Hochnäsig und kühl

Alle Welt liebt also Edinburg, die Kulturmetropole? Mitnichten. Mir ist Edinburg zuwider. Und zwar wegen der Leute, die dort leben. Sie sind hochnäsig und kühl, ihre Sprache ist unerträglich. Edinburg ist eine Stadt voller einfältiger, narzisstischer Wichtigtuer.

Vergleichen wir das mit Glasgow. Die Stadt ist nur eine Stunde von Edinburg entfernt, aber dort leben die humorvollsten Leute, die ich kenne – auch wenn man eine Weile braucht, um ihren Dialekt zu verstehen. Wie der Singer-Songwriter Nik Kershaw sagte: «Glasgow ist nicht so höflich wie Edinburg, aber das ist gut, die Leute sind ehrlich. Glasgower sind herzlich, offen und direkt, ihr Humor ist oft schwarz und selbstironisch.» Aus gutem Grund gehören Witze über Tod und Armut hier zum Alltag. In Glasgow sterben Männer mit 54 Jahren, zehn Jahre früher als Inder. Ein kurzes Leben, geprägt von Alkohol und schlechter Ernährung (etwa frittierten Schokoriegeln), kann ihrem Humor nichts anhaben. Wie Anthony Bourdain, der berühmte Koch und Reisejournalist, schrieb: «Glasgower haben mehr Spass bei einer Beerdigung als Edinburger bei einer Hochzeit.»

Glasgow und Alkohol gehören zusammen. Einmal habe ich den Historiker Norman Stone, den gebürtigen Glasgower und späteren Redenschreiber von Margaret Thatcher, für einen Vortrag über Osteuropa gewinnen können. Der Chauffeur, der Stone in Oxford abholen sollte, hatte strikte Anweisung, ihn nüchtern in London abzuliefern. Sein Vortrag war brillant. In besonderer Erinnerung habe ich aber ein alkoholisiertes Mittagessen mit ihm und der Schwiegerenkelin von Leonid Breschnew.

«Glasgower haben mehr Spass bei einer Beerdigung als Edinburger bei einer Hochzeit.»Angesichts der Armut, in der Glasgow nach dem Krieg versank, ist es keine Überraschung, dass die Stadt stets mit Kriminalität assoziiert wird. Vor zehn Jahren traf ich den bekannten Glasgower Gangster und verurteilten Mörder Jimmy Boyle bei einem Lunch am Rand des Atlas-Gebirges. Nach seiner Haft wurde Boyle ein erfolgreicher Bildhauer und Autor. Sein Buch «A Sense of Freedom» (1977) ist eine der elegantesten und spannendsten Autobiografien, die ich kenne. Ich empfehle sie jedem, der Glasgow und seine Einwohner verstehen will.

Auch konfessionelle Spannungen prägen die Stadt. Das zeigt sich besonders in Zusammenstössen zwischen protestantischen Fans der Rangers und den katholischen Fans des Lokalrivalen Celtic FC. Als die Rangers 1989 ihren ersten katholischen Spieler unter Vertrag nahmen, war das eine Sensation. Sir Alex Ferguson, gebürtiger Glasgower und langjähriger Trainer von Manchester United, ist Protestant und mit einer Katholikin verheiratet. Seit langem wendet er sich gegen protestantische Fanatiker. Gleichwohl trägt diese konfessionelle Kluft zur kreativen Unruhe Glasgows bei.

Glasgow, einst die zweitwichtigste Stadt des Britischen Empires, mit dreimal so vielen Einwohnern wie Edinburg, ist eine wunderbare Stadt – historisch, kulturell, architektonisch. Die Burrell Collection zählt zu den bedeutendsten Museen des Königreichs. Die Grösse Glasgows beruht aber nicht auf Bauwerken oder Kultur, sondern auf der Vitalität seiner Einwohner. Glasgow, nicht Edinburg, ist die Nummer eins.

Francis Pike ist ein britischer Historiker. Er gehört dem Clan Buchanan aus dem 11. Jahrhundert an.

Aus dem Englischen von Matthias Fienbork